Seit fünf Jahren besuche ich das Berlin Festival. Jedes Jahr stellt es für mich den Abschied der Festivalsaison dar und markiert den Übergang des Sommers zum Herbst. 2014 ist mit dem kompletten Umzug zum Arena-Gelände eine Neuausrichtung erfolgt und setzt allein dadurch einen starken Erinnerungspunkt.
Es ist aber auch die Ausgabe mit wichtigen musikalischen Ereignissen gewesen: Darkside spielten eins ihrer letzten Konzerte, Fünf Sterne Deluxe betraten nach zehn Jahren mal wieder die Bühne und Moderat kündigte eine Auflösung zum Ende dieses Jahres an. Was noch alles passiert ist, wie die neue alte Location sich auf das Festivalerlebnis auswirkte und welche Konzerthighlights entstanden sind, lest ihr im folgenden Festivalbericht.
Natürlich spielen Location und Ambiente eines Festivals immer eine ausschlaggebende Rolle für den Erfolg des Events. Dadurch sie steht und fällt die Stimmung und sie kann dazu beitragen eine bestimmte Atmosphäre zu kreieren. Der Ort eines Festivals bringt das gewisse Etwas, das Abgrenzende gegenüber anderen Festivals und kann zur Entscheidung daran teilzunehmen, beitragen. Mit dem Umzug vom alten Flughafengelände aus Tempelhof hat das Berlin Festival den Charme des alten Flughafengeländes verloren, welcher nicht nur als imposante Kulisse einen guten Eindruck machte und dem Besucher gleichzeitig etwas deutsche Geschichte vermittelte, sondern eben diese Location transportierte ein leicht verständliches Konzept und ließ einen klaren Festivalcharakter entstehen. Eine Stimmung von Reiselust, Freiheit und Abenteuer gehörten dem Berlin Festival an. Eben all die Attribute, die ein Festival mit sich bringt.
Ein solches einprägsames Konzept fehlte der Kreuzberger Location bzw. war am Wochenende für mich schwer erkennbar. Das diesjährige Berlin Festival war clublastiger, mit Open Air Beach Feeling am Badeschiff, sowie verschwitzten Tanznächten im Glashaus. Doch so schön wie das auch ist, wo ist das Besondere im Vergleich zu den üblichen Sommerwochenenden in Berlin? Wo ist der Festivalcharakter? Im Club der Visionäre kann ich jeden Tag durchtanzen, am Badeschiff kann ich ebenfalls täglich abhängen und meine Runden schwimmen.
Der Umzug wurde an die Presse und Besucher als Neuausrichtung des Festivals verkauft. Entspricht es dem neuen Konzept ein Partywochenende in bekannten Berliner Clubs als Festival zu verkaufen, dann fehlt mir jeglicher eigentliche Festivalgedanke hinter dem Ganzen. Zum einen gab es definitiv ein Platzproblem. Tempelhof bot ein weitläufiges Gelände mit viel Lauffreiheit. Es war möglich schnell von Hangar zu Hangar zu gehen, um nicht den nächsten Konzertstart zu verpassen.
Dagegen gab es im Arenagelände Staus, Engpässe und kaum ruhige Ecken. Die Partywürdigen standen Schlange bei Glashaus und Co., so wie an jedem Wochenende Leute vor den populären Clubs in Berlin Schlange stehen. Da es ein Stadtfestival ist und somit der Campingpart wegfällt, gab es kaum Fußentspannungsphasen, denn es fehlte eindeutig an Sitzmöglichkeiten.
Das Art Village machte eine recht gute Figur am Eingang, wirkte dennoch etwas improvisiert. Von großen kulinarischen Genüßen will man gar nicht erst sprechen, denn weder Angebot noch die Lagerbestände in den Food Trucks waren ausreichend.
Werde ich gefragt, wie das diesjährige Berlin Festival war, dann antworte ich: „durchwachsen“. Das Line-up war selektierter, was ich persönlich als eine gute Entwicklung sehe. Es hat sich auf drei Genres, die bühnenmäßig getrennt waren, konzentriert: Hip Hop auf der SplashMag Stage, Konzerte in der Arena und DJs in Glashaus, Badeschiff, Arena Club und Club der Visionäre. Die Runningorder kam ohne große Überschneidungen aus, sodass es möglich war die meisten Lieblingsacts spielen zu sehen. Und damit kommen wir zum eigentlichen Kern des Festivals, der Musik.
Nach Abschluss der zwei Tage First We Take Berlin in diversen Locations rund um die Oberbaumbrücke, startete das Berlin Festival für mich mit Austra. Nie höre ich diese Band, doch auf Festivals begegnet man ihnen immer wieder. Ein gelungener Auftakt, denn der Hit Lose it verblieb über das gesamte Wochenende in meinem Kopf. Anschließend folgte der heißt ersehnte und von vielen erwartete Auftritt von Darkside, ebenfalls in der Arena. Und das führt leider direkt zur Sounddiskussion in der enormen Halle. Um es auf den Punkt zu bringen: die Arena bringt es akustisch einfach nicht.
In diesem Sommer habe ich Darkside auf drei verschiedenen Festivals gesehen, wobei der Auftritt beim Melt Festival am besten war. Zum Berlin Festival dominierte Harringtons Gitarrenspiel stark, wobei Jaars Stimme etwas unter ging und recht dünn klang. Vielleicht war er erkältet. Insgesamt war es trotzdem legendär, allein weil man wusste, dass dies vielleicht die letzte Chance war, die Beiden in dieser Kombination live spielen zu sehen.
Anschließend folgte praktisch reines DJ Geballer. Todd Terje war recht enttäuschend und ging irgendwie in der Megahalle unter. Das DJ Set von Koze war recht nice, doch nach mehreren Stunden auf dem Betonboden der Arena wollten die müden Füße irgendwann nach Hause. Der erste Berlin Festival Tag glänzte mit Darkside und zeigte in der ersten Ernüchterung, dass ein richtiges Festivalfeeling nicht einsetzen wollte.
Das wurde natürlich noch dadurch verstärkt, dass man am nächsten Nachmittag in aller Frische von zu Hause aus wieder pünktlich zum ersten Act antanzte. Das war Kindness, der mich am Abend bereits durch seinen Auftritt im Astra beim First Week Take Berlin Showcase bereits überzeugte. Was auf der kleineren Astrabühne super funktionierte – in Clubatmosphäre und mit kleinem Publikum am Abend – wirkte in der Arena etwas verloren und nahm der witzigen Performance leider etwas den Charme. Doch Kindness gehörte definitiv zu einem der coolsten Auftritte des gesamten Festivals. Der Typ hat Humor, weiß sich zu bewegen, bringt zwei schnieke Sängerinnen mit und hatte auch stimmlich was zu bieten.
Anschließend ging es vor allem tanzbar für das Publikum weiter mit den Crytsal Fighters. Diese Band strotzt vor Energie und Hingabe und gehört definitiv zu einer der besten Festivalbands. Noch spezieller wird die Show in meiner Erinnerung, da dies einer der letzten Auftritte der Band in der Ursprungsformation war. Vor einigen Tagen ist der Schlagzeuger der Band verstorben und es ist derzeit ungewiss, wie es mit der Band weitergeht.
Nachdem wir eine Stunde lang mit den Crystal Fighters geschwitzt hatten, nutzen wir eine kurze Pause, um das Art Village zu inspizieren und uns eine Modern Dance Performance anzuschauen. Da, wie bereits erwähnt, die Essensauswahl etwas dürftig war, fiel die Wahl auf den Stand mit der kürzesten Schlange. Nach der Stärkung erfolgte der direkte Übergang zu Bombay Bicycle Club. Am meisten hat mich dabei die Stimme der Sängerin Liz Lawrence imponiert, die auch als Solokünstlerin eine gute Figur macht.
Im Anschluss ging es direkt in die Sauna aka Glashaus. Zu Mount Kimbies tiefen Klängen wurde richtig abgeschwitzt. 2011 spielten sie schon einmal beim Berlin Festival live, wobei der Sound im Hangar komplett verloren ging. Und hier zeigt sich ein Pluspunkt des neuen Konzepts: Clubmusik in einem Club zu präsentieren. Wäre es nicht so extrem heiß gewesen, hätte man das Set für Stunden spielen können, ohne dass es langweilig geworden wäre. Paralell zu Mount Kimbie spielten die Editors in der Arena, deren letzten Töne wir noch beim Anstehen im Glashausausgang hörten. Die kurze Erfrischungspause wurde dann durch den einsetzenden Regen gestört. Und hier ging das Konzept der Veranstaltungsplaner wieder nicht auf. Nachdem alle Leute das Freigelände verließen und in die Gebäude stürmten, entstanden Staus, unangenehme Menschenmassen in zu engen Gängen und ein Gefühl von Platzangst.
Jedoch bescherte der Regen dem Auftritt von Zoot Woman in der Arena einen neuen Besucherrekord, den es so sicher nicht gegeben hätte. Für eine lange Zeit habe ich nicht mehr ein so langweiliges Konzert gehört. Leider wurde es beim darauffolgenden Act nicht besser. Fünf Sterne Deluxe hatten sich nach zehn Jahren mal wieder zusammengerottet und zu Dritt, anstatt zu Viert, durch ein einstündiges Konzert gequält. Das Publikum, zu 20 Prozent bestehend aus alten Hard Core Fans des Quartetts und dem Rest, der zur Blütezeit wahrscheinlich noch nicht mal Schreiben konnte, nahm es hin und brachte mäßige Begeisterung auf. Gut, dass sie am Ende den Hit Türlich, türlich brachten, was sicher die meisten aus Teenie-Disco-Tagen noch mitträllern konnten. Für einen Samstagabend war das Ganze trotzdem ziemlich lame. Ich erinnere mich an riesige Liveshows von Franz Ferdinand oder Boys Noize, die es stets schafften noch ein Festivalhighlight auf der Mainstage zu setzen. Das fehlte dem diesjährigen Berlin Festival am Samstagabend.
Dafür war das Programm des Sonntags mit Abstand das Gelungenste. Der Nachmittag startete gediegen mit Highasakite, Warpaint und Jessie Ware. Als fulminant ist die Show von Woodkid einzuordnen, die die meisten Besucher des Wochenendes gesehen und sicher auch beeindruckt haben. Der Showmaster weiß genau, wie man es schafft, das Publikum zu unterhalten. Neben der Visuals, dem instrumentalen Aufgebot und der Dramaturgie der Show, war es Sänger Yoann Lemoine selbst, der die Aufmerksam des Publikums völlig gewinnen konnte. Alle feierten ihn und er genoß das sichtlich. Eine zwanzigminütige Zugabe des Songs Run Boy Run brachte die Show zu einem phänomenalen Abschluss mit Gänsehauteffekt.
Die letzten Acts des Festivals bescherten ebenso tolle Erlebnisse. Moderat können die Sympathien auch von Nicht-Techno-Fans gewinnen. Sänger Sascha Ring erinnerte an den im letzten Jahr gecancellten Auftritt aufgrund eines Unfalls und kündigte zugleich an, dass die Konzerte der Combo bald gezählt sind. Im Dezember wollen sie ihr vorerst letztes Konzert im Berliner Tempodrom geben.
Zuletzt spielten Trentemøller, welche es schafften noch einmal die letzte Energie aus den Tanzbeinen herauszukitzeln. Wer danach noch Energie hatte, konnte im Club der Visionäre noch weitertanzen, schließlich ging das Berlin Festival in diesem Jahr 48 Stunden nonstop. Ich habe mich nach Wasser und liegen gesehnt und bin schließlich glücklich und zufrieden nach Hause gekehrt.
Im Fazit lässt sich festhalten: das diesjährige Berlin Festival fühlte sich wie ein normales Berliner Clubwochenende gespickt mit ein paar besonderen Konzerterlebnissen an. Wenn dies dem „neuen Konzept“ entspricht, dann haben es die Macher ja geschafft es zu dem zu machen, was sie der Presse im Vorfeld schmackhaft machen wollten. Vom ursprünglichen Festivalgefühl und dem besonderen Flair einer ungewöhnlichen Location bleibt aber nur wenig übrig.
Für das nächste Jahr sind dennoch einige konzeptionelle Feinheiten im Ablauf zu klären. Bis dahin genießen wir noch die letzten Sommertage, Open Airs und freuen uns auf die Konzert- und Clubsaison in Berlin.
Weitere Bilder vom Berlin Festival 2014 findet ihr hier in unserer Galerie.
4. Juni 2015 um 15:31
[…] Festival an seiner neuen Örtlichkeit, dem Arena-Gelände, eher kurzfristig improvisiert wirkte (hier unser Bericht vom letzten Jahr), hatte es in diesem Jahr ein ganzheitliches Konzept durch und durch – und das war […]