Der zweite Tag (Hier geht es zu Tag1 „Techno für Anfänger und Fortgeschrittene„) des Utopia Island startet und mich wecken die unfassbare Hitze und von der Zeltdecke herabtropfendes Kondenswasser. Zelt auf, Isomatte raus und erstmal in der Sonne grillen lassen. Meine Nachbarn haben eine unfassbare Sammlung an Soundtracks aus ihrer Kindheit mitgebracht und so hören wir stundenlang A-Team, Ghostbusters, Pokemon und die Cantina-Band der Raver [youtube].
Irgendwann ist dann aber mal wieder Zeit zum Tanzen und so geht’s zurück ins Aura-Zelt zu Future Proof (nicht zu verwechseln mit Futureproof). Der spielt klassischen Techno, wie ich ihn mit Moby verbinde, allerdings eher im niedrigen Tempobereich. Nicht so minimal wie Torsten Kanzler am Vortag und auch nicht so kantig und daher gut hörbar. Ein schönes Warm-Up für den zweiten Tag. Im Finale gibt’s noch ein paar Tracks zusammen mit Drunken Masters, die als nächstes spielen. Mir reden sie aber zuviel in die Musik rein, das erinnert mich an nervige britische Radiosender mit Voiceover.
Bei Kalipo im „Sea Side„-Zelt gibt es aber leider anscheinend technische Probleme, jedenfalls ist der Sound extrem leise und wird von der gegenüberliegenden Fire Stage locker übertönt. So bleibt Zeit, Slacklining auszuprobieren. Das Gleichgewicht auf dem Band zu finden ist eine ziemliche Herausforderung und es erfordert viel Übung, bis man so locker darauf laufen und regelrechte Kunststücke vollführen kann wie der Betreuer der Station. Allen Anfängern kommt aber zugute, dass man durch die Schwingung des Bandes leicht dafür sorgen kann, dass auch das Herunterfallen cool aussieht.
Zu Dapayk & Padberg hat die Technik wieder zu sich gefunden und so kann ich doch noch an der „Sea Side“ tanzen gehen. Neben der Hauptbühne ist das der einzige Floor, an dem man regelmäßig auch Vocals zu hören bekommt. Hier finden sich diejenigen zusammen, die eher auf House stehen – einer verbreiteten Definition nach finden sich im House mehr melodische Elemente, Vocals und Bass als beim Techno. Wobei natürlich alle Acts hier sehr basslastig sind – man kann aber nochmal differenzieren zwischen Basslines wie sie aus Synthesizern und von E-Bassgitarren kommen (House) und dem Kick von Schlagzeug oder Drumcomputer (Techno).
Kleine Pause, den Zeltnachbarn nochmal die gleichen Geschichten erzählen, weil sie im Suff von gestern alles vergessen haben, und Zeit für Flunkyball, dem sich sogar manche Crew-Mitglieder anschließen (wodurch die Taschenkontrollen am Campingplatz nun endgültig wegfallen). Auch auf dem Campingplatz-Parkett an der Shoppingmeile läuft immer gute Musik, aber zum Crystal Fighters-DJ-Set geht es doch wieder zurück ins Aura-Zelt. Dort muss ich das erste Mal anstehen, weil es sich staut, und drinnen ist es zunächst auch unangenehm brechend voll.
Crystal Fighters erfreuen sich immer größerer Beliebtheit und viele Festivalbesucher haben sich wohl auf ein Konzert eingestellt, so platzt das Zelt aus allen Nähten. Nach den ersten Tracks leert es sich aber deutlich. Nicht umsonst heißt das aktuelle Album der Londoner „Cave Rave“ – beim DJ-Set sind die Techno-Einflüsse offensichtlich. Es braucht etwas guten Willen, um die harten Cuts zu verzeihen, die so gar nichts mit den fließenden Übergängen der bisherigen Produzenten zu tun haben, aber generell bekommen wir hier ein buntes, hochwertiges Set präsentiert. Auch einige eigene Songs der Crystal Fighters und Klassiker wie „Standing in the Way of Control“ sind dabei und diese sind wiederum sehr sorgfältig in die anderen Titel eingewoben.
Lieblos erscheint dagegen immer noch die Lightshow, die mich schon das ganze Festival nervt. Während der Sound abgesehen von der Panne am „Sea Side“-Zelt durchweg großartig und an den jeweiligen Act angepasst ist (Stichwort Tiefenbass oder Kickbass), scheint das Licht von den Azubis gemacht zu werden. Das Equipment ist da und die programmierten Szenen würden auch eine schöne Untermalung bieten, aber die Abläufe weichen ständig vom Takt ab und es kommt nicht selten vor, dass Songteile im Dunkeln gespielt werden, auf der Bühne kein Licht ist oder Breaks total verpasst werden. Auch wenn wohl kaum ein Act eigene Techniker dabei hat – das geht wesentlich besser und gerade bei elektronischer Musik, bei der auf der Bühne nicht viel passiert, sollten beim Licht anständige Techniker eingesetzt werden.
Auch ein anderer wichtiger Aspekt funktioniert nicht besonders gut: Der Informationsfluss beim Shuttlebus. Der Fahrplan auf der Website ist nicht erreichbar, die Informationen des Busfahrers widersprechen denen der Mitarbeiter (sofern diese überhaupt etwas darüber wissen). So verbringe ich den Frittenbude-Gig im einsetzenden Regen damit, herauszufinden, ob man denn am Sonntag überhaupt abreisen kann (man kann). Halb so wild allerdings, Frittenbude passen ohnehin nicht so recht in meinen Plan – wohl aber in den der Fans an der inzwschen rappelvollen Hauptbühne, die sich für den Regen mal so gar nicht interessieren.
Um nicht wieder anstehen zu müssen, mache ich mich dann auch direkt wieder auf den Weg ins große Aura-Zelt, um rechtzeitig zu Kid Simius dort zu sein. Der wandelt sich langsam vom Geheimtipp zum neuesten „heißen Scheiß“ und nach einem etwas überzogen langen Intro haut er auch direkt so viele kreative Bausteine raus, dass man sich fast wünscht, er würde die Loops etwas länger laufen lassen. Macht er dann im Laufe des Sets auch und während man einige der bisherigen Acts noch einigermaßen in Schubladen stecken konnte, kriegen wir nun ein vielfältiges Programm aus allem, was elektronisch und etwas härter ist. Dazu immer wieder die E-Gitarre, eines der auffälligen Elemente bei Kid Simius, die teilweise allerdings recht deplatziert wirkt zwischen den ganzen elektronischen Sounds. Den Eindruck, dass der 26-jährige in seinen vielen Ideen noch nicht genug Struktur hat, werde ich nicht mehr los, trotzdem bekommen wir hier schon ein sehr hochwertiges Set geboten, das auch dem Festival insgesamt nochmal mehr Abwechslung verpasst.
Zum anschließenden Finale mit Flux Pavilion wird es dann nochmal richtig voll und auf diesem Festival erstmalig tauchen nun auch die Leute auf, die ich nicht verstehe, schon gar nicht bei Dubstep-Konzerten: Dauerknutschende Päärchen, Leute, die versuchen, mit ihrem Handy ins Festival-WLAN zu kommen, und diejenigen, die Streit anfangen, weil man sie beim Tanzen im vorderen Bereich versehentlich angerempelt hat. Zu fortgeschrittener Stunde (Flux Pavilion spielten bis morgens um 3) ergeben die sich aber alle ihrem Bedürfnis nach Schlaf und Bier und überlassen das Zelt erneut denen, die wegen der Musik da sind. Und auch der Dubstep-Produzent beweist noch einmal, dass er mehr kann als das populäre „I can’t stop„. Immer wieder folgende schwere Bassteppiche auf spitze Synthi-Riffs und lassen unsere Tanzbewegungen zwischen Koks und Zombie wechseln. Wohl dem, der vorher nicht zuviel gegessen hat.
Am Ende kann sich kaum noch jemand auf den Beinen halten, zwei Tage „Modern Music“ haben deutliche Spuren hinterlassen. Wer sich nicht sicher ist, ob er den großen elektronischen Festivals gewachsen ist, kann das beim Utopia Island ausprobieren, für ausreichende Vielfalt ist auf jeden Fall gesorgt. Man darf sich dabei nicht von gelegentlichen organisatorischen Patzern irritieren lassen und fette Lightshows wie bei Skrillex bei Rock am Ring sollte man auch nicht erwarten. Musikalisch jedoch ist das Utopia erste Sahne und darum sollte es letztlich ja auch vorwiegend gehen.
Hier geht es zu Teil eins unseres Utopia Rückblicks „Techno für Anfänger und Fortgeschrittene„.
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