Der Deichbrand-Sonntag begann dann bewölkt, die Hitze drückte aber noch immer, was es nicht einfacher machte, nach einer durchfeierten Nacht im Zelt bis halb 6 einigermaßen auszuschlafen. Die zwei super sonnigen Tage machten sich auch kräftemäßig bemerkbar – obwohl viele Festivalbesucher ziemlich gute Kondition hatten. Unter anderem die Besucher von Revolverheld, die zu einem großen Teil aus Frauen bestand. Überraschend muss man sagen:
Die Jungs machen eine richtig gute Festivalshow! Solobattle mit Keytar und Gitarre, schöne Umsetzung ihrer (zugegebenermaßen manchmal arg kitschigen) Radiosongs. Als sie „Ich lass für dich das Licht an“ spielten, bringt etwas aus dem Security-Fotograben Sänger Johannes Strate völlig aus dem Konzept. „War das ein Antrag? Ach ihr seid schon zusammen!“ Anscheinend gibt’s unter den Securities ein Paar, das sich bei dem Song küsste. „Willkommen bei Woodstock! Hier ist alles möglich!“ ist Strate völlig baff.
Vor SDP aber noch mal was essen gehen. Deichbrand bot ein ziemlich gutes Essensangebot, besonders gut: Auch für Veganer war ein leckerer Falafelstand mit dabei, außerdem eine coole Innovation: Rocklette, eine Art riesige Version von Raclette, auch in einer vegetarischen Variante. Sehr lecker und ein sehr sympathischer Chef. Ab und zu fing es etwas an zu tröpfeln, ab und an kam die Sonne raus, aber bis nach The Prodigy sollte es den Tag noch relativ trocken bleiben. Dennoch erst mal ins schon vollkommen überfüllte Zelt, um SDP zu sehen.
Die Jungs aus Berlin wirkten etwas wie alte Kindergartenkumpel , die sich auf eine Bühne verirrt haben. Besonders gut singen können sie live auch nicht, aber dafür brauchten sie wohl mehr Spaß mit auf die Bühne als jede andere Band an dem Wochenende – mit gut pointierten Songs und heimlichen Hits wie „‚Ne Leiche“ oder „Die Nacht von Freitag auf Montag“ untermauerten Vincent Stein und Dag-Alexis Kopplin ihren Anspruch auf „Die bekannteste unbekannte Band der Welt„. Sicherlich profitierte SDP auch von der Platzierung vor dem plötzlich sehr bekannten Alligatoah im Zelt, dennoch kann die Band auch dank amüsanten, mit „Kleine-Jungs-Humor“ gespickten Überleitungen eine ziemlich breite Fanbase ihr eigen nennen, wie man auf der Zeltbühne sehen konnte.
Alligatoah ist wohl DER Shooting Star der Stunde, spätestens nach seinem diesjährigen Rock am Ring Auftritt auf der Centerstage ist er nicht zuletzt dank seines Hits „Willst du“ aus seinem (schon dritten!) Album „Triebwerke“ sehr schnell sehr bekannt & groß geworden – zu groß für die Zeltbühne. Zum Zeitpunkt des Booking wird er wohl noch nicht so bekannt gewesen sein, und im Nachhinein eine Bühne mit bspw. Triggerfinger zu tauschen, die parallel Open-Air spielten wird vertraglich schwierig gewesen sein – was bei Gentleman indes keine Entschuldigung sein kann (bereits 2010 auf der RaR Centerstage), war er doch letztes Jahr beispielsweise Headliner beim Summerjam. So jemanden auf die Zeltbühne zu schicken ist einfach arg falsch kalkuliert.
Alligatoah war also in einem auch noch von SDP völlig überlaufenden Zelt – so überlaufen, dass selbst auf der Straße neben dem Zelt, dass durch Bauzäune getrennt wurde (nur Notausgang) alles voll war von Menschen, die versuchten, noch einen Blick zu erhaschen. Das schlug sich auf bei der Temperatur nieder: „Hier im kalten Norden, wo es immer regnet, hab ich euch extra ein Zelt mit Heizung hinstellen lassen“ erzählt Alligatoah. So wirkte es auch fast mit den tropischen Temperaturen im Zelt.
Worin liegt also die Faszination des Hiphoppers? Die ganze Bühnenshow wirkte eher wie ein Theaterstück, vielleicht auch Musical, als ein Festivalauftritt. Dazu passte der rote Vorhang, die beleuchtete Treppe, die er exzessiv benutzte, sein weiß-roter Anzug mit elegantem Stock und Requisiten wie ein großer „Duschvorhang“. Auch seine Art, zwischen den Songs kleine Geschichten zu erzählen und so zu seinem nächsten Song überzuleiten, oder sein Side-Kick/Background-Sänger, der als Butler verkleidet als Untergebener des Meisters auftritt. In seiner Rolle, die Alligatoah spielte, zog er locker mit dem riesigem Ego vom Sänger von The Hives gleich, die zeitgleich auf der großen Firestage nebenan spielten.
Zeitgleich zeigte er sich aber auch selbstironisch. „Ich erzähl gleich wieder ne Geschichte, da braucht ihr nicht zuhören, das geht da rein, da raus, aber beim Refrain will ich euch wieder alle singen hören!“ Scheinbar trifft er damit den Nerv der Zeit, denn das Zelt war nicht nur einfach voll, es war voll mit (textsicheren!) Fans. Damit war Alligatoah wohl der umjubeltste Auftritt des Wochenendes.
„Will ein Feuerstarter sein“ – der popkulturelle Einfluss der Elektro-Innovatoren aus Großbritannien ist selbst bei eher radioformatigen Künstlern wie Adel Tawil nicht wegzudenken. Die Zuschauerreihen hatten sich aber schon durchaus gelichtet, eine gar nicht kleine Anzahl der Festivalbesucher hatten schon zusammengepackt und gefahren. Das zeigte sich auch an den Müllannahmestellen am Nachmittag: Um die 10 Euro Müllpfand zurückzubekommen, musste man seinen Müllsack und sein Ticket mitbringen und konnte sich das Geld an einer anderen Stelle auszahlen lassen – wenn man den Nerv hatte, ewig in der Schlage für die Müllannahme zu stehen. Kalkulation des Festivals, um die 10 Euro pro Person zu behalten? Das wahrscheinlich zwar nicht, aber dennoch muss das System nächstes Mal deutlich ausgebaut und verbessert werden.
Was die abgereisten Besucher dann verpassten, war in jedem Fall eine aufwändige Lichtshow. The Prodigy hatte scheinbar alle verfügbaren Moving Heads Großbritanniens mitgebracht und unter das Bühnendach gehängt – das Ergebnis zu sehen, war schon beeindruckend. Bei „Firestarter“ wurden gleich an zwei verschiedenen Stellen Bengalos gezündet (und von den Securities unmittelbar wieder abgeführt), der Frontsänger war vor allem damit beschäftigt, das Publikum anzuschreien und aufzuheizen, ähnlich wie bei Chase & Status am Vortag, für die The Prodigy sicherlich als starker Einfluss gezählt werden kann. Beeindruckende Show, aber irgendwie war bei einigen Besuchern dann doch schon die Luft raus. (Fotos von The Prodigy beim Deichbrand gibt es von uns keine, da wir damit weder „dem Künstler irreperabel schaden“ noch uns das „Kameraequipment zerstören“ lassen wollten – diesen Fotovertrag haben wir nicht unterschrieben. Unglaublich was man alles so formulieren kann. Die Show selbst war natürlich trotzdessen super.)
Die übrig gebliebenen Zuschauer, die noch konnten, zogen um ins Zelt, zum letzten Act des Festivals, der traditionell Le Fly ist. „Deichbrand, habt ihr ne Ausdauer!“ zollte der Sänger den verbliebenen Besuchern Respekt. Diejenigen, die noch weiterfeiern wollten, taten dies auch mit einer ungeahnten Energie und so wurde aus dem letzten Auftritt, der durch die Zeit und die Tradition fast schon familiär wirkte, ironischerweise so energisch gefeiert wie wenig anderes am Wochenende. Dafür sorgte nicht zuletzt eine brillante Vorstellung der Band aus St.Pauli.
Um 2 Uhr Sonntagnacht war es aber dann endgültig vorbei und pünktlich zum Ende begann es zu regnen. Auf dem Weg zurück: Viele zerstörte Pavillons, verlassene Zelte, Müllberge. Schade, hatte Deichbrand doch mit „Love Your Tent“ versucht, dem fragwürdigen Trend, sein Zelt als Wegwerfware zu missbrauchen, entgegenzuwirken.
„Normalerweise haben wir so ein Wochenende wie jetzt nur an einem Wochenende im Jahr in Cuxhaven und das haben wir jetzt schon zwei Jahre hintereinander“, so die Aussage vom Veranstalter. Deichbrand hatte bei dem 10-Jährigen Jubiläum, wie schon im Jahr zuvor definitiv Glück mit dem Wetter. Nicht zuletzt das wird auch ein Grund gewesen sein, weshalb es nach letztem Jahr noch mal um ganze 5000 Besucher auf insgesamt 40 000 Besucher gewachsen ist. Diverse Künstler waren ganz überrascht, wie viele Menschen mittlerweile vor der Bühne stehen – hatten sie doch drei oder vier Jahre zuvor auf dem Festival noch vor deutlich weniger Menschen gespielt. Grund dafür dürfte nicht zuletzt eine gewisse Detailverliebtheit haben.
Auch die immer freundliche und nahezu immer souveräne Security wird ihren Teil zu einem sympathischen Image des Festivals beigetragen haben. Trotzdem bleiben noch Wermutstropfen, beispielsweise die völlig falsche Platzierung von Gentleman. Dass das Festivalgelände verhältnismäßig relativ klein ist, mag gleichzeitig ein Vorteil und ein Nachteil sein: Zwar sieht die Zuschauermenge recht schnell recht voll aus und die Wege sind nicht so weiter, wenn die kurzen Wege aber von Menschen versperrt werden, sodass man doch viel länger braucht, um sich durch die Menge zu drängeln, kann es auch nervig sein – da besteht auch noch Potential zur Optimierung.
Mal sehen, ob Deichbrand 2015 erneut solches Glück hat. Nach 2012 müsste man ja auf Sturm UND auf Sonne eingestellt und erfahren sein. Wir freuen uns zumindest schon sehr aufs nächste Jahr!
Hier geht es zu unseren Rückblicken „Der Samstag beim Deichbrand: Watt’n Festival!“ und „Brennende Hitze am Meer beim Deichbrand 2014 – Freitag„.
25. Juli 2014 um 20:54
Prodigy waren verdammt geil. Dafür allein hat das Festival gelohnt, was die da für eine Show abgezogen haben, war grandios. Bei Thunder dachte ich, jeden Moment kommt Platzregen, blieb aber leider bei ein paar Tropfen.
Danke nochmal, dass ihr mich hingeschickt habt. <3
Habe es in vollen Zügen genossen.
15. Oktober 2014 um 17:48
Sehr schöner Rückblick auf ein tolles Wochenende, mir bleiben nur 2 Kritikpunkte. 1. Le Fly spielt nicht traditionell als letztes, 2013 haben sie Samstags um 13:00 Uhr gespielt.
2. hätte man erwähnen können das die Jungs von Le Fly 30 Minuten länger gespielt haben als sie gebucht waren.
Ansonsten alles top ( gilt auch für die anderen Berichte zum Deichbrand.
3. Februar 2015 um 16:56
[…] Jahr einige Solo-Erfolge und versammelte zudem viel Publikum vor den Festivalbühnen – beim Deichbrand sprengte er die kleine Stage, bei Rock am Ring spielte er auf der Hauptbühne. Grund für die erneute Buchung ist vor allem aber […]
14. Juni 2015 um 14:10
[…] Currywurst anzubieten, bei modernen Festivals immer stärker wird – wir berichteten schon aus letztem Jahr Deichbrand von Riesenraclette, Falafel und co. Dafür hat das Hurricane auch schon im vorhinein eine schön aufgeschlüsselte Karte […]
19. Juli 2015 um 12:43
[…] an einem Wochenende im Jahr in Cuxhaven und das haben wir jetzt schon zwei Jahre hintereinander” hieß es letztes Jahr von Seiten des Veranstalters. Das konnte ja nicht ewig so weiter […]
22. Juli 2015 um 09:06
[…] die Securities: Das Deichbrand hat schon letztes Jahr mit der Freundlichkeit und Ausgelassenheit der Securities punkten können. Zwar scheint es insgesamt der Festival-Welt gedämmert zu sein, dass der direkte […]