Samstag begann der Regen. Nach einer Woche Sonnenschein war der Samstag eher verregnet, hatte aber, wie Sonntag, auch sonnige Abschnitte. Zum Glück, denn am Montag & Dienstag nach dem Summerjam regnete es in Köln quasi nur durch, wodurch der Bereich vor der Bühne zu einem kleinen See in sich geworden wäre.
Festivalhopper Antonia und Aaron berichteten ebenfalls bereits vom SummerJAM Auftakt 2014.
Zu Martin Jondo zum Start kamen trotz des Regens und trotz der Platzierung als Nachtmittags Opening Act auf der kleineren Bühne überraschend viele. Weshalb Summerjam Martin Jondo einen so niedrigen Slot einräumte, bleibt fraglich. Der Musiker aus Berlin, der unter anderem schon mit Seeed zusammengearbeitet hat, kam mit seinem DJ „Mr. Nice Guy“ zum Summerjam. Schade: Mit einer Band hätten seine Songs noch besser gewirkt. So blieb es dabei, dass er ab und an Gitarre spielte und sonst zu Musik vom Laptop sang. Zum Ende seines Sets etwas irritierend: Martin Jondo geht von der Bühne und lässt seinen DJ Musik abspielen, unter anderem auch „Kids“ vom Headliner am Tag zuvor, ca. 10 Minuten lang. Was war genau der Zweck? Fast wirkte es, als habe er zu wenig Songs für ein Set von über einer Stunde, was allerdings mit seiner Diskographie nicht ganz passend sein kann. Als Zugabe kam er schließlich noch mal auf die Bühne, um seine bekanntesten Hits „Rainbow Warrior“ und „Jah Gringo“ zu spielen. Schön wäre eigentlich auch noch gewesen, seinen Kooperation „Rivers“ mit Peer Kursiv zu hören.
Später am Nachmittag konnten Milky Chance auf der großen Stage noch mal deutlich mehr Leute anlocken. Zuvor am Tag hatten die Jungs aus Kassel noch bei 1LIVE durchscheinen lassen, dass sie mit den Bedingungen des Auftritts nicht so ganz zufrieden seien; vielleicht waren die beiden deshalb auch noch mal etwas wortkarger als bei anderen Auftritten. Etwas verpeilt wie sonst häufig wirkten sie trotzdem auch hier.
Am härtesten erwischte der Regen wohl Irie Révoltés: Zur Mitte ihres Auftritts fing Starkregen an, die Festivalbesucher zu durchnässen. Das allerdings konnte die meisten Zuschauer von Irie Révoltés nicht abschrecken und so blieb es, außer am Rand des Publikums, voll – und begeistert: Unter anderem covern sie sehr gelungen „Watch out for this“ von Major Lazer und stoßen dabei auf Zustimmung. Mit Andrew, dem Mr. Summerjam, stehen die deutsch/französisch sprachigen Jungs aus Heidelberg wohl auf Kriegsfuß: Wie schon 2012 war Andrew Murphy die Show scheinbar etwas zu Rockmäßig – verständlich, wenn Irie Révoltés von der Bühne einen Circle Pit anzetteln – und verwies darauf, dass Summerjam nicht Rock am Ring sei. Die Band aus Heidelberg, die sich immer explizit links positionieren (nicht zuletzt mit Songs wie „Anti-Faschist„) sind auch außerhalb der Bühne sehr aktiv: Irie Révoltés sind wohl einer der stärksten Unterstützer der „Viva con agua“ Aktion, die beim Summerjam im Laufe der Jahre immer präsenter wird, unterstützen aber auch unter anderem Aktionen wie zum Beispiel „Make some Noise!“ gegen Homophobie im Reggae.
Wie Irie Révoltés sind Dub Inc. ebenfalls sehr sozialkritisch und multikulturell: Die Band aus Saint-Étienne singt mit Englisch, Französisch und Kabylisch sogar dreisprachig. Als Fundament für den Headliner Seeed wenig später sehr gut platziert, fühlten sich die Franzosen sichtlich auf der Bühne wohl und hatten auch etwas Glück, dass es aufhörte zu regnen.
Schließlich fiel der Vorhang für den Aufbau von Seeed, die dorthinter, wie man später sehen konnte, eine eigene kleine Moving-Head Wand aufbauten, etwas, das aussah wie eine leuchtende Sonne und natürlich die Stufenkonstruktion, die sie schon seit einiger Zeit begleitet. Die hat den Vorteil, dass man auch als eher kleiner Mensch noch was von der Band sehen kann und es auch einfach ziemlich beeindruckend aussieht. Seeed beantwortete die Frage, ob die Band aus Berlin wohl mehr Reggae ins Set aufnehmen würde, wenn sie auf dem Summerjam spielen, mit einem klaren Ja: Neben ihrer aktuellen, reggaelastigen EP „Cherry Oh 2014“ spielten sie mit unter anderem „Psychedelic Kingdom“ Songs, die schon länger nicht mehr in der Setlist aufgetaucht sind. Auch, wenn auf dem Festival andere Acts noch (deutlich) längere Bühnenerfahrung (Jimmy Cliff) oder mehr Auftritte (Irie Révoltés mit über 500 Auftritten) als Seeed vorweisen kann, zeigten die 11 Musiker aus der Hauptstadt jedoch eine solche Professionalität und Abgeklärtheit, mit der sie zu den Top-Headlinern Europas mithalten können – und dazugehören. Insgesamt mal wieder ein Hightlight, dass dank des Wetters, das während des Auftritts weiter trocken blieb, in Erinnerung bleibt.
Der letzte Tag, Sonntag, startete sonnig, sehr sonnig sogar: Gegen Mittag konnte man noch nett im See schwimmen gehen. Das ist laut Summerjam zwar eigentlich verboten, aber wird trotzdem gemacht. Solange man nicht versucht, die Festivalinsel schwimmend zu erreichen, beschränkten sich die Patrouillenboote der DLRG und des Festivals auch auf überwachen. Generell lässt sich sagen, dass die meisten Verbote beim Summerjam eher, sagen wir mal, flexibel gehandhabt werden & wurden. Das einzige Verbot, dass wirklich effektiv griff, ist ein Verbot von Generatoren. Andere Verbote wie „Nicht im Wald zelten“ oder ähnliches, wurden unterschiedlich strikt befolgt; es funktionierte trotzdem irgendwie.
Für Raging Fyah blieb es auch noch sonnig. Zum Glück, denn im Gegensatz zu Rock funktioniert Reggae im Regen einfach nicht so gut; nicht umsonst kommt er aus dem sonnigen Jamaika. Genau so, wie Raging Fyah. Dafür lieferte die Band auch überzeugenden New Roots Reggae, unter anderem von ihrem Album „Judgement Day„, das dieses Jahr erstmals auch in Europa offiziell in den Handel kam, nachdem sich Raging Fyah in Jamaika bereits einen passablen Namen erspielt haben.
Immer wiederkehrende Schauer wechselten sich dann den Nachmittag über mit Sonne ab. Sehr schade: Summerjam schaffte es nicht, was gegen den Matsch zu unternehmen (z.B. Holzmulch, Gummi-Abdeckungen, Metallplatten), sodass man beispielsweise vor der Green Stage, der kleineren Bühne, hinter dem zweiten Wellenbrecher einen Matschbereich hatte, der die Stimmung etwas hemmte.
Gehemmt war die Stimmung bei Dilated Peoples jedoch keinesfalls. Die Rapper, die immer mal wieder als Retter des amerikanischen Old-School Hiphops gehandelt werden, konnten beweisen, dass sie ihr Publikum voll im Griff haben. Insgesamt gab es auch am Sonntag, wie schon am Freitag, wieder einen Hiphop Schwerpunkt – diesmal jedoch auf der Green Stage. Die Rote Bühne wurde den Tag über von Reggae beherrscht.
Mit deutschem Hiphop ging es danach weiter. Die Orsons, ein wild auf der Bühne rumwuselndes Hiphop Kollektiv, zeigten sich erstaunlich sympathisch. Einer der Rapper wirkte mit seiner weiten Hose beinahe so, als gehöre er selbst als Zuschauer bzw. Besucher auf’s Festival und nicht als Künstler. Glück für die Orsons: Während ihres Auftritts kam die Sonne raus. Das passte auch gut zu dem Gute-Laune-Hiphop, der die Bühne beherrschte. Die Orsons positionierten sich überdies im Vorwort zu „Horst & Monika“ als klar Anti-Rechts, obwohl das mit diesem Song eigentlich relativ klar sein sollte. Die Band verwies darauf, dennoch ab und an missverstanden zu werden und erntete Applaus für ihre klare Worte gegen Nazis.
Für Maxim aus Köln war es nun das erste mal beim Summerjam und gleichzeitig quasi ein Heimspiel; während seines Auftrittes zogen allerdings bedrohliche dunkle Wolken auf. So richtig konnte er dann auch mit seinem sehr poppigen Set nicht begeistern. Mit zwei Reggae Alben und einem Hiphop Album im Rücken wäre es wohl besser gewesen, die Setlist etwas an das Publikum anzupassen, insbesondere, wenn man den diskographischen Hintergrund dazu hat.
Barrington Levy auf der anderen Bühne hatte es ebenfalls schwer, die Stimmung bei den aufziehenden Wolken zu halten. Obwohl er eigentlich ein sympathischer und begeisterungsfähiger Frontsänger ist und sogar im solidarischen Deutschlandtrikot auftrat, tat sich das Publikum schwer. Das mag auch daran gelegen haben, dass Barrington Levy das Publikum mit seinen interaktiven „Ich-singe-vor-ihr-singt-nach“ schlichtweg mit Scat-ähnlichem Gesang überforderte. Kaum einer konnte seine komplizierten Pattern nachsingen, sodass es nach einer Zeit etwas nervig wurde. Mit anschwellenden Regen wurden alle Plastikvorräte noch mal ausgepackt, sodass an manchen Stellen gar ein Gemeinschaftsunterstand aus einer Plastikplane und vielen Händen entstand. Auch, wenn die Stimmung nicht so funktionierte, wie Barrington Levy das gerne hätte: Mit seinen Bemühungen wirkte er als einer der sympathischsten Entertainer des Festivals.
Ähnlich aufgedreht, aber effektiver im Verbreiten von Stimmung war schließlich der Altmeister Jimmy Cliff. Mit seinem größten Hit „You can get it if you really want“ beginnend, alberte und tanzte sich der Jamaikaner durch ein eher poppiges Set seiner Diskographie, die immer mal wieder mit Covern wie z.B. „Cupid“, aber auch mit persönlichen Anekdoten gespickt wurde.
Zum Abschluss gab es dann noch das übliche Ritual des Summerjams: Andrew Murphy spielt auf einer Akustikgitarre „Redemption Song“, dazu Feuerwerk und wünscht allen eine gute Heimreise.
Weil das Zelt langsam nass war und wir keine Lust mehr hatten, im Regen zu Campen, machten wir uns Sonntag Abend schon auf den Weg nach Hause und erlebten damit erneut das katastrophale Shuttle-Bus System. Die Shuttlebusse kamen in Abständen von entweder 2 oder 25 Minuten und rotierten scheinbar eher zufällig um den See. Natürlich ist es immer auch eine gewisse „Schuld“ der Besucher, die sich um jeden Preis noch in einen Bus quetschen wollen, das liegt aber vor allem daran, dass man nicht weiß, ob man dann eine halbe Stunde auf den nächsten Shuttle im Regen warten muss. Summerjam, das kriegen andere Festivals besser hin!
Was bleibt also vom Summerjam? Trotz der verhältnismäßig langen Erfahrung (nächstes Jahr steuert man auf das 30-jährige Jubiläum zu) bleiben Infrastrukturelle Schwächen wie das Shuttlebussystem oder fehlendes Krisenmanagement bezüglich Matsch und Regen über die Jahre hinweg konstant – nämlich konstant nervig. Die Stimmung und, wie man auf dem Festival sagen würde, der Vibe, machen aber das sich immer weiter öffnende Reggae Festival zu einer Besonderheit im Festivalbetrieb. Ohne den beinahe schon mantrischen Beschwerden einiger Roots-Reggae Vertreter auf der Facebookseite nachgeben zu wollen, die sich bei nahezu jeder Band, die für das Line-Up gefordert wird, beschwert und fragt, was das mit Reggae zu tun habe, mag es schon sinnvoll zu sein, sich in Zukunft wieder stärker auf einen starken und (!) populären Reggae Kern zu besinnen. Auch, wenn die Mischung aus Hiphop und Reggae dieses Jahr ziemlich gut funktioniert hat.
25. April 2015 um 12:24
[…] es letztes Jahr doch zu weiten Teilen ziemlich verregnet war, hoffen die Veranstalter zum prestigeträchtigen 30. Geburtstag auf besseres Wetter. Mit dem […]
6. Dezember 2016 um 16:30
[…] Wo Seeed sich schon vor Jahren vom Reggae abwendeten und zu fetten Dancehall Beats mit gelegentlichen Rock-Songs kamen, zeigt Sänger Dellé astreine Reggae Sounds, aufgefrischt mit ungewöhnlicheren Elementen wie Theremin und Synthies. Großartiger Auftritt beim Summerjam – auch, wenn Seeed mit der “Cherry Oh / Waiting” EP zuletzt auch noch bewies, dass Reggae noch geht, ist Dellé ein guter Ersatz, die bei Seeed Songs á la “Psychedelic Kingdom” vermissten, den Seeed beim Headline-Slot Summerjam 2014 ausnahmsweise noch mal spielten. […]