Schon bei der Ankündigung des Traumzeit Festivals 2013 in Duisburg war uns die ausgefallene Musikmischung aufgefallen. Vor Ort fiel dann – nachdem wir die etwas merkwürdig gelaufene Akkreditierung überstanden hatten – erstmal auf, dass auch das Gelände außergewöhnlich ist.
Zwischen alten Gebäuden eines Stahlwerkes finden sich Fressbuden und eine kleine Open Air-Bühne, drei weitere Bühnen sind in den Gebäuden untergebracht. Konzerte im strömenden Regen sind hier also vermeidbar, auch wenn das Wetter noch wechselhaft ist. Die Open Air-Bühne ist übrigens kostenlos – das Gelände ist öffentlich begehbar, für die Acts auf der Bühne am Gasometer braucht man also kein Ticket.
Dort startete mein Tag dann auch, Paperstreet Empire, die auch selbst aus Duisburg kommen, eröffnen das Festival. Das – vergleichsweise alte – Publikum ist entsprechend noch nicht so recht motiviert, aber zumindest immer dann, wenn der Sänger dazu motiviert, trauen sich ein paar näher heran. Es gibt keinen Fotograben – für den ungeübten Festivalgänger ist es ganz vorne also schlicht auch sehr laut.
Die Band selbst hat jedenfalls einen riesigen Spaß an ihrem Auftritt: „Wir hoffen, dass ihr da unten ungefähr so viel Spaß habt wie wir – auch wenn wir das kaum für möglich halten!“ Auch ein paar Fans im Publikum reißen immer wieder ein paar Leute mit. Und mehr als ein Opening Act sind die fünf Duisburger auf jeden Fall – anspruchsvolle Rockmusik wird uns präsentiert, die keineswegs den billigen Abläufen schlechter Vorbands folgt. Am Ende gibt es noch zwei Stücke mit ausufernden Gitarrensoli und die Band wird mit tosendem Applaus verabschiedet. Die Traumzeit ist eröffnet!
Nach kurzer Orientierung auf dem Gelände geht es direkt weiter zur Kraftzentrale. Die Gebäude stehen zwar alle recht dicht beieinander, sind aber durch sehr gute Schallisolierung und fehlende Einlassschlangen nicht sofort als genutzte Location erkenntlich. In der Kraftzentrale, der mit Abstand größten Halle, haben sich in der Tat erst einige hundert Menschen eingefunden. Vermutlich liegt das an dem krassen Kontrast zwischen Hauptact und Vorgruppe: Hier sollen später die Editors spielen, zuvor tritt jedoch der Knappenchor Homberg auf – mit Gründung vor 130 Jahren der älteste Bergmannschor in Westdeutschland.
Damit steht nach Paperstreet Empire auch in der Kraftzentrale als erstes ein Duisburger Act auf der Bühne. Als sie mit warmem Applaus die Bühne betreten, fällt direkt auf, dass mangels Bergbau auch der Nachwuchs fehlt. Das schmälert nicht die Leistung des Chores, zeigt aber doch erneut die Diskrepanz zwischen der üblichen Zielgruppe und den hier anwesenden Leuten. Als der Dirigent Hase und Jäger mit den Worten „Das kennt ihr sicher alle!“ ankündigt, sind etliche Zuschauer doch sichtlich irritiert.
Ein interessanter Blick weit über den Tellerrand der typischen Festivals hinaus ist es trotzdem allemal. Und mit Lokalpatriotismus und Alkohol kriegen die Knappen dann doch noch alle Festivalbesucher – Glückauf, der Steiger kommt ist unter den größtenteils aus dem Ruhrgebiet stammenden Besuchern bestens bekannt, erst Recht, da hier auch viele Erwachsene vertreten sind, die auch die Hochzeiten des Bergbaus noch erlebt haben.
Anschließend darf bei den Editors gemeinsam gefeiert werden – die, die nach dem Chor bleiben, mit denen, die jetzt erst gekommen sind und die Halle füllen. In düsterem Licht kommt die Band auf die Bühne und haut ohne viele Worte die ersten Lieder raus. Der Sänger scheint auf den ersten Blick neben sich zu stehen, lässt Mikroständer umfallen, einmal fällt ihm das Mikro aus der Hand. Auch das Publikum steht scheinbar nur rum. Schaut man sich aber im Verlauf des Konzertes die Band und die Zuschauer genauer an, merkt man: Die sind einfach total abgetaucht in der Musik, vergessen darüber ihre Umgebung und genießen einfach nur noch. Auch mich packt es bald.
Das ist nicht eine dieser Bands, bei denen das Konzert schlecht war, wenn man ohne blaue Flecke rauskommt. Es ist ein Konzert für Genießer. Auch die Beleuchtung artet nicht in wilden Effektspielereien aus – die meisten Lichter stehen direkt auf der Bühne, sind eher schick als eindrucksvoll. Nur bei besonders aufwühlenden Parts wechselt das Licht zu aggressiven Stroboskopen.
Zwischendrin schiebt Sänger Tom Smith einen Akustikpart am Klavier ein, der beim zweiten Stück aber schon wieder eindrucksvoll übergeht in die volle Besetzung, die nun mit weniger mit aggressiven Sounds, als viel mehr mit regelrechten Klangteppichen aus Gitarrenriffs und Basslines arbeitet. Ich als Editors-Neuling bin schon sehr beeindruckt – aber auch die Fans um mich herum, die alle Alben auswendig kennen und die Briten nun live erleben, sind begeistert. Nach minutenlangem Applaus gibt es am Ende noch drei Zugaben, eingeleitet von Papillon und endend mit einem neuen Song, bei dem sich noch einmal die Bescheidenheit des Sängers zeigt: Schon während des ganzen Konzerts hat er keine großen Worte verloren, sich nur mal kurz für eine kleine Ablaufpanne entschuldigt, und auch nun heißt es nur sinngemäß: Wir haben diesen Song noch nie gespielt, ich hoffe es klappt und gefällt euch. Hat es! Ein fantastischer Auftritt, und auch nachdem das Saallicht wieder an ist, wollen die Leute die Halle noch gar nicht verlassen.
Draußen toben allerdings schon Dirty Honkers. Elektronische Beats vom Computer mit Live-Saxofonisten und Sänger – wäre nicht so spannend, wenn die Band dazu nicht so eine abgefahrene Show abliefern würde! Immer wieder wechseln die Akteure auf der Bühne, Tänzerinnen tauchen auf und verschwinden wieder, die Band wirft sich immer wieder in andere Kostüme, animiert uns zu „Fitnessaktivitäten“. Effekte zwischendrin werden mit dem Dildo, Verzeihung, Joystick gesteuert, den der Frontmann an passender Stelle platziert, bevor er anfängt sich auszuziehen.
Am Ende wissen wir alle gar nicht mehr so genau, was bei dem Konzert eigentlich passiert ist – der Beat trieb alles voran, es wurde gefeiert bis zum Abwinken und die Band war am Ende nur noch mit Unterhose bekleidet! Später hörte ich sogar von Besuchern mit Tageskarte für die Kraftzentrale „die 30 Euro für die Editors hätte ich woanders investieren sollen – da geht’s ja noch viel mehr ab!“ Und auch von Rock am Ring-erfahrenen Besuchern hieß es, es sei doch ganz egal, dass das Festival so ungewöhnlich ist und die Leute so anders – die Location kann eben alles.
Stimmt. Während die Editors die Zuschauer in den Bann zogen und Dirty Honkers sich auszogen, gaben sich ja parallel in den kleineren Hallen auch noch Thees Uhlmann und Agnes Obel die Ehre. Mich faszinierte aber an der Bühne am Gasometer schon der umfangreiche Percussion-Aufbau der nächsten Band. Skip&Die zeigten schon beim Soundcheck, was gleich passieren wird: Die Bassboxen werden an ihre Grenzen gefahren.
Nach dem wahrscheinlich längsten Soundcheck des Festivals ging das Partyniveau dann nochmal nach oben. Mit zwei großen Schlagzeug/Percussion-Sets, Gitarre, Sitar und elektronischen Effekten gab’s vor allem mächtig Wumms auf die Ohren. Dazu eine Sängerin im knallbunten Outfit, die größten Wert darauf legt, dass wir auch alle Spaß haben. Als das Publikum nach einigen Songs immer noch geteilter Meinung ist, ob sie nun schreiend wegrennen oder vor Freude total ausrasten sollen, stürzt sie sich kurzerhand selbst hinein und feiert mit. Danach sind die Entgeisterten weg und beim Rest geht’s richtig ab!
Mit der Kombination aus der afrikanischen Sängerin Cata Pirata, dem holländischen Producer Jori Collignon und deren Bandkollegen bekommen wir ein Feuerwerk aus Rhythmen geboten. Wenn Cata auffordert „Feel the beat!“, ist das wörtlich zu nehmen – es ist unmöglich, dem Bass zu entkommen. Und durch dem ausgefallenen Gesang und die verschiedenen Instrumente wird es auch nicht zu stumpf – wir reden hier nicht nur über Trommeln und Gitarren, sondern auch über Metallfässer, Luftangriffssirenen und verschiedene afrikanische Instrumente, die ich noch nie gesehen habe!
Diese ausgelassene Feier schließt den ersten Tag des Traumzeit-Festivals würdig ab. Und so unterschiedlich die Besucher auch zu sein scheinen – am Ende feierten wir alle zusammen, Teenager, Studenten und Erwachsene, die locker deren Eltern sein könnten. Wer sich auf die Musik einlässt, wird hier reichlich belohnt!
25. Juni 2013 um 11:39
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