Die ganze Straße ist erfüllt mit lauten Trommelrythmen: Von der WAZ-Bühne beim Bochum Total tönen die Barulheiros, die mit mitreißenden Beats, gepaart mit amüsanten Tanzeinlagen, versuchen die Menschen auf den letzten Festivaltag einzustimmen. Das gelingt ihnen auch, denn die sieben jungen Männer aus Witten versprühen Euphorie in so einem Maße, dass man sich schon fast schuldig fühlt, wenn man sich nicht dazu bewegt. Sie scheinen sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen, mit ihren neongrün-schwarz-gestreiften Krawatten und dauernder Witzeleien über ihren schwer auszusprechenden Namen und kreieren so eine lockere Atmosphäre. Ihre Rythmen bauen aufeinander auf und nehmen gefangen, ihre Hände bewegen sich schneller, als man gucken kann und alle Trommler sind energiegeladen genug um jeden trüben Gedanken zu vertreiben.
Auf der 1LIVE Bühne sind Susanne Blech angekündigt. Als fünf, eindeutig männliche, Gestalten die Bühne betreten, herrscht bei vielen im Publikum erstmal Verwirrung: „Und wer von denen ist jetzt Susanne?“ tönt es aus der Menge. Susanne Blech ist nämlich gar keine singende Frau, wie der Name vermuten lassen könnte, sondern eine rein männlich besetzte Elektropunk-Band. Der kurz nach Konzertbeginn einsetzende Regen vertreibt leider einen Teil der Menschen unter die nächsten Dächer, aber unterstützt von der mittlerweile allbekannten Gießkanne bleiben genug Tanzwütige vor der Bühne um sich von den aggressiven Elektrobeats beschallen zu lassen. Die Aufmachung der Musiker setzt einen netten Kontrast zu ihrer Musik: Fein herausgeputzt, der Schlagzeuger zum Beispiel in Hemd und Fliege, der Sänger mit gescheitelten Haaren, wirkt der Elektropunk noch ein bisschen provozierender. Wer verzweifelt versucht einen tieferen Sinn in ihren Texten zu finden, der wird schnell an seine Grenzen kommen, denn man kommt nicht wirklich dahinter, ob die Texte ernst gemeint sind, oder einfach nur Kunst. Manchmal provozieren sie schon fast übertrieben, aber bei anderen Stellen verknotet man sich das Gehirn, wenn man versucht einige Zeilen zu interpretieren: „Der Polizist hätte es beinahe verboten, Frauen malen Pferde oder warten auf Knoten“… äh, bitte was? Auch wenn Susanne Blech wirklich tanzbare Musik darbietet, ist nichts davon wirklich neu und um die Lieder wirklich zu genießen musste ich manchmal krampfhaft versuchen nicht auf die Texte zu hören.
Während Marina sich Susanne Blech reinzieht, geht’s für mich nach dem Interview mit Fiva erstmal zur Pottmob-Bühne. Da ist heute Ska-Tag und eröffnet wird das Programm von Ratatouille, die letztes Jahr noch im Begleitprogramm waren und am Sonntag Abend im Kult mein Bochum Total abgeschlossen hatten. Die Bochumer fahren die volle Bandbreite des Ska auf und bringen schon die ersten Menschen zum Tanzen, wenngleich natürlich auch hier der Regen seine Spuren hinterlassen hat. Aber Ska ist ja für seine entspannende Wirkung bekannt und so sehen es die meisten gelassen, dass sie jetzt klatschnass sind – zumal die warme Sonne, die noch während des Konzertes wieder rauskommt, die Klamotten eh schnell wieder trocknet.
Weiter geht’s mit Fiva & Das Phantom Orchester. Die hatte ich schon bei Rock am Ring gesehen, wo der Anteil an Fans am Ende des Konzertes deutlich höher war als am Anfang. Auch in Bochum sind viele Neue dabei, aber Rapperin Nina versteht es, darauf einzugehen, und spricht ausdrücklich die an, die vorher nichts von ihr gehört haben. Ein paar kurze Textzeilen sind schnell beigebracht und bei so einer positiven Ausstrahlung ist bald der ganze Platz vor der 1LIVE-Bühne begeistert. So begeistert, dass schon vorzeitig Zugaben gefordert werden, so früh, dass es eigentlich ein Set aus Zugaben ist. Auch ich bin normalerweise kein Fan von HipHop, aber Fiva wirkt so natürlich und sympathisch und die Texte sind so nachvollziehbar und frei von übertrieben provokanten Flüchen, dass ich hin und weg bin – und auch die Menschen um mich herum sind glücklich.
Während ich mir etwas Essbares besorge, macht sich auf dem Gelände mal wieder die Festivalstimmung bemerkbar. Bei Bochum Total gibt es zwar kein Campinggelände, aber viele Besucher sind an allen Tagen da und feiern durchaus bis spät in die Nacht und dann am Vormittag schon wieder. Gießkannen, Gummipuppen und Voodoo-Figuren tauchen immer wieder auf und auch die Sinnlosigkeit in der Kommunikation ist da: „Ich krieg meine Hose nicht mehr runter!“ – „Dann iss was!“
Lange halte ich es an unserem Treffpunkt nahe der Pottmob-Bühne aber nicht aus, denn da spielen inzwischen La Papa Verde und auch, wenn es mir bei Ska immer schwer fällt, Unterschiede zu finden, ist es doch immer tanzbar und macht gute Laune. Außerdem gibt es eine kostenlose Spanisch-Lektion – wir lernen, dass „Que Vuelva“ eine wichtige Aussage in einem Liebeslied ist, denn man benutzt es, wenn er oder sie zurückkehren soll. Der Sänger schlägt die Zuschauer dabei um Längen, was Stimmgewaltigkeit angeht, aber angesichts der Tatsache, dass es der vierte Tag und da auch schon die dritte Band ist, schlagen wir uns gar nicht schlecht beim Mitsingen und Ton halten.
Die Band kommt zwar aus Köln, hat aber offensichtlich spanische Wurzeln und auch die Moderation wird teilweise auf spanisch abgehalten. Ob das nun authentisch oder verwirrend ist muss jeder selbst entscheiden… auf jeden Fall haben wir alle Spaß, als sie kölschen und spanischen Karneval mischen und dazu auch noch Verzerrer einbauen, die man im Ska ja sonst nicht so oft findet.
Nach Ska, Electropunk und HipHop gibt es mit Frittenbude nochmal eine Mischung aus den beiden letzteren. Beim unangefochtenen Highlight haben sich gefühlt alle vor der 1LIVE-Bühne versammelt, die irgendwann während der vier Tage mal da waren. Kein Wunder, sind Frittenbude doch eindeutig links positioniert – und das Bermuda3Eck ist Antifa-Area. Songs wie „Deutschland 500“ und „Von allem zu viel“ kritisieren aber auch den deutschen Lebensstil an sich. Zwischendrin ruft Frontmann Johannes zu einer Gegendemo auf, wenn am 1.9. der alljährliche Nazi-Aufmarsch in Dortmund stattfindet. „Zu zweit oder zu dritt könnt ihr einen Nazi essen!“
Von Anfang an gibt es in der Mitte große Moshpits – entsprechend viel Bewegung ist in der Menge insgesamt. Ab da, wo ich den Moshpit erreiche, fliege ich nur noch durch die Gegend – so viel gemosht wie bei diesem Konzert habe ich wohl nie. Trotz des ausgiebigen Bierkonsums geht es dabei sehr friedlich zu, wenn mal jemand stürzt oder einen Schuh verliert, wird sofort ein Loch gebildet und die betroffene Person geschützt. Und wem das zu bunt wird, der lässt sich von der Menge raustragen – Crowdsurfen wird zum Volkssport. Frittenbude sind am Ende schon fast nur noch Beiwerk, die Grundlage für eine riesige Party. „Benutzt Kondome, Aids ist noch nicht tot“, heißt es dazu passend von der Bühne vor den Zugaben. „Hildegard“ macht dann ganz am Ende den Abschluss – und ich bin am Ende nach über einer Stunde durchgehendem Moshpit.
Ein absolut würdiger Abschluss für ein grandioses Festival. Und in den vier Tagen Bochum Total hat sich mal wieder gezeigt: Es ist umsonst, es ist draußen und es ist in Bochum – Gründe genug, einfach hinzugehen, auch wenn man sich vom Line-Up nicht viel verspricht. Aber die Leute hier wissen wie man anständig feiert und was wäre ein Festival ohne neue Bands und erfreuliche Überraschungen!
Mehr Bilder von allen vier Tagen beim Bochum Total findet ihr in unserer Galerie hier. Die Artikel zu den vor Ort geführten Interviews erscheinen in den nächsten Tagen. Der Termin fürs Bochum Total 2013 wurde vom Festival auch schon verkündet – gefeiert wird dann vom 4. bis 7. Juli 2013.
20. August 2012 um 19:27
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