Nach kurzem, aber heftigem Gewitter am Mittag, zeigt sich die Sonne auch am dritten Tag vom kostenlosen Straßenfestival Bochum Total wieder gnädig und lockt die Menschenmengen in die Bochumer Innenstadt. Vom Bochum Total berichten diesmal die Festivalhopper Christian (Donnerstag und Freitag nachlesen) und hier Marina.
BILDER vom Bochum Total gibt es in unserer Galerie.
Als erste Band auf dem Plan steht die berliner Punkrock-Band Radio Havanna, die spontan Jenix vertreten, da diese, aus gesundheitlichen Gründen (der Gitarrist Happy leidet unter einem Hörsturz), ihren Auftritt absagen mussten. Wirklich vermisst wurde Jenix aber nicht, denn Radio Havanna geht angriffslustig und voller Elan auf das Publikum ein. Die Menschen vor und auf der Bühne scheinen wie für einander gemacht. Die Punkrocker treffen mit provozierenden Texten und manchmal nahezu melodiösen Refrains genau den Geschmack der anwesenden Szene: es wird getanzt, ein kleines bisschen gemosht und obwohl man bei der ersten Band des Tages kein großartiges Publikum erwartet hat, muss ich tatsächlich ein bisschen drängeln, um zur 1Live Bühne zu gelangen.
Vorbei an der Fressmeile, in der zu horrenden Preisen fettige Gerichte und klebriges Zuckerzeug angeboten wird, vorbei an Werbeständen und Menschen, die offenbar schon am frühen Nachmittag das gesunde Limit an Alkohol deutlich überschritten haben, drängele ich weiter Richtung 1Live Bühne, vor der sich Liebhaber von Straßenmusik von Gitarrenklängen berieseln lassen.
Endlich im Fotograben angekommen, bekomme gerade noch die letzten paar Lieder vom Gewinner des New-Music-Awards Jan Röttger mit. Gemütlicher Pop, begleitet von Akustikgitarre und zwei Streichern, stellt einen deutlichen Kontrast zum Programm auf der Pottmob Bühne dar, klingt für mich persönlich aber ein bisschen zu weichgeklopft.
Die nächste Band auf der größten Bühne des Festivals sind Captain Capa, zwei Jungs aus der Audiolith-Familie. Mit denen steht nach dem Auftritt auch noch ein Interview an, also wird die Umbauphase noch kurz für ein paar Vorbereitungen genutzt. Mit Synthesizer und einem Hauch 80ger-Jahregefühl verwandelt Captain Capa die 1Live Bühne in ein Paradies für alle Elektrofans. Knallige Beats und futuristische Effekte vereint mit emotionalen Texten und grellem Licht schaffen eine grandiose Atmosphäre, doch leider scheint das Publikum noch ein bisschen schüchtern zu sein. Man sieht, dass die beiden Musiker voll in ihrem Element sind und nach anfänglicher Zurückhaltung taut die Menge auch endlich auf: man löst sich vom Geländer, fängt sich zaghaft an zu bewegen. Spätestens nach der Frage „Wollt ihr nochmal was fürs Herz oder mehr so was auf die Fresse?“ , auf die mit Gebrülle und Moshpits geantwortet wird, haben Captain Capa die Menschen für sich gewonnen. Ganz klar einer der Höhepunkte dieses Tages. Auch das Interview, das bald hier zu finden sein wird, läuft super entspannt und ich stelle fest: Captain Capa, das ist sympathische Musik von sympathischen Menschen.
Ein bisschen spät wegen dem Interview, versuche ich verzweifelt in die Nähe der Pottmob Bühne zu gelangen. Dort heizen My Baby Wants To Eat Your Pussy mit extravagantem Rock schon der Menge ein. Der Sänger trägt einen roten Frack, der weibliche Gegenpart ein ähnlich auffallendes Kleid, welches sich nach wenigen Songs quasi magischerweise in ein anderes Outfit verwandelt. Auch Der Sänger verwandelt sein Outfit, aber etwas unkreativer: er zieht sich einfach aus. MBWTEYP haben lange BochumTotal-Tradition und dementsprechend groß ist der Andrang vor der Bühne. Die Band überzeugt mit fantastischem Publikumsbezug und abwechslungsreichen Klängen und auch die Fotografen bewegen sich im Takt. Alles gröhlt, singt textsicher mit und pogt.
Während der nächsten Konzertpause tigere ich wieder ein bisschen über das Festivalgelände und treffe wieder mal auf eines der verwirrendsten und doch amüsantesten Phänomene von Bochum Total: Die Gießkanne. Diese, eigentlich ganz normale, grüne Plastikgießkanne, verziert mit Edding und offenbar gefüllt mit einer Mischung aus Bier, Dreck und anderen undefinierbaren Flüssigkeiten, wurde auch schon letztes Jahr fast götzenhaft angebetet und scheint in der Zwischenzeit viel rumgekommen zu sein.
Zurück an der Pottmob Bühne werden gerade die letzten Vorbereitungen für den Auftritt von Letzte Instanz getroffen. Die Mikroständer sind sichelförmig aus mittelalterlich anmutenden Stahl geformt, links zieht der seltsam geformte Stuhl des Cellisten die Aufmerksamkeit auf sich.
Nach langem Intro aus bedrohlich klingenden Tönen betritt die Band endlich die Bühne und mit der Mischung aus Folk, Rock und Metal, unterstützt durch Klänge von Geige und Cello, wird die Menge, die mittlerweile weit bis in die Straße hineinsteht, schon nach wenigen Minuten zum Toben gebracht. Nicht nur die Haare fliegen, auch manch Zuschauer lässt sich über die Menge tragen, um dann, mehr oder weniger sanft, in den starken Armen der Security zu landen. „Ich liebe dich!“ gröhlt ein junger Mann aus der ersten Reihe dem Sänger Holly zu. Besonderen Eindruck machen die beiden Streicher. Während dem gesamten Konzert gibt es kaum eine Minute, in der die beiden nicht wild headbangen, doch auf ihre Spielfähigkeiten scheint die dauernde Bewegung keinen Einfluss zu haben. Respekt dafür! Für alle, die sich dieses Spektakel noch einmal in voller Länge ansehen möchten spielen Letzte Instanz am 11.10 nochmal in Bochum (Matrix).
Abgeschlossen wird der Abend durch musisch-kulturelle Beiträge von der Trailer-Wortschatz Bühne. Sebastian 23, bekannt von zahlreichen Poetryslams, präsentiert junge und auch ältere Talente aus der Umgebung. Wortgewandt und voller Witz werden die verschiedensten Themen dargestellt. Mit Metaphern und Vergleichen geschmückt werden Kurzgeschichten und Gedichte vorgetragen, die dem geneigten Hörer wohl noch lange in den Ohren klingen werden.
In unserer Galerie: BILDER vom Bochum Total
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