Lest nun im zweiten Teil unseres ausführlichen Berichts über das Berlin Festival 2010, wie es unseren Festivalhoppern Steini und Teliko am Samstag ergangen ist, nachdem der Freitag auf dem Festival so chaotisch geendet ist.
Der zweite Tag sollte nach dem chaotischen Ende des ersten Abends ruhig anfangen und tat dies auch bei wunderbarem Sonnenschein. Man dachte, die wirklich wichtigen Bands spielen erst später am Nachmittag bzw. Abend und man könnte somit vorher noch etwas Kräfte sammeln.
Diese Einstellung veränderte sich aber schlagartig, als wir gegen 12 Uhr auf der Homepage des Berlin Festivals die Newsmeldung lasen, dass es gravierende Änderungen in der Running Order geben würde. Die Veranstalter hatten sich über Nacht dazu entschieden, nahezu alle Bands vorzuziehen, einige Auftritte, wie die von Baby Monster, Housemeister, Shadow Dancer und einigen Anderen sogar komplett zu streichen und das Festival um 23 Uhr zu beenden, um eine derartige Situation wie am Freitag zu vermeiden. Leider wurde darin auch bekannt gegeben, dass der Auftritt von Fat Boy Slim nicht am Samstag nachgeholt wird.
Ab da war es um die Ruhe geschehen, denn es hieß so schnell wie möglich aufs Festival zu gelangen, um keine weitere Band zu verpassen und noch so viel wie möglich zu sehen und zu erleben. Und so schlugen wir kurz vor 15:00 Uhr auf dem Vorplatz des Flughafens auf – empfangen von einer Entschuldigungswelle aus Flyern und Zetteln, die überall rum lagen, hingen oder verteilt wurden.
Dafür hatten wir aber ehrlich gesagt überhaupt keine Zeit, denn Seabear starteten nach neuem Timetable genau 15:00 Uhr im Hangar 5 – also schnellstmöglich durch die Einlasskontrollen, die Empfangshalle sowie den Außenbereich und vor die kleinste der drei Bühnen, die wir am Vortag noch gar nicht besucht hatten. Es hatte schon etwas von einer Schülerband, so wie die Mädels und Jungs von Seabear in Reih und Glied da vorne auf der Bühne standen. Allerdings zeigte ihr musikalisches Geschick, dass sie eben keine Schülerband, sondern ausgewachsene Musiker sind, die wissen was sie machen und vor allem wie sie ihre Musik herüberbringen. Leider lies auch auf dieser Bühne die Lichtinstallation etwas zu wünschen übrig und bestätigte den bisherigen eher schlechten Eindruck in diesem Bereich. Doch dafür konnte Seabear selber wirklich nichts. Für die Band blieb es, trotz geänderter Auftrittszeit, dennoch ein Happening, denn sie hatten noch nie auf einem Flughafen, geschweige denn in einem Hangar gespielt. Zusätzlich füllte sich dieser entgegen der Befürchtung von Frontmann und Bandgründer Sindri Már Sigfússon stetig – er dachte im Vorfeld noch, sie würden durch die geänderte Auftrittszeit nur vor ein, zwei Tontechnikern spielen. Mit steigender Zuschauerzahl verbesserte sich nicht nur die Stimmung im Publikum, sondern gleichzeitig auch die Stimmung auf der Bühne. So war nach kurzer Zeit, passend zur Uhrzeit und den ruhigen Klängen von Seabear, eine sehr chillige Atmosphäre geschaffen.
Unmittelbar gleichzeitig zu Seabear spielten Turbostaat auf der Main Stage. Diese hatten, wie wir beim Reinkommen von weitem gehört haben, offensichtlich auch ihren Spaß auf der Bühne. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde uns sogar zugetragen, dass Turbostaat einige Fans auf die Bühne geholt hatte. Wer dabei war, kann ja mal erzählen, wie es dazu kam.
Im Anschluss an Seabear war es erstmal an der Zeit, ein wenig Luft zu holen und die Sonne zu genießen. Darüber hinaus bot sich damit wieder die Gelegenheit, die einmalige Architektur des Flughafens Tempelhof anzuschauen. Es ist schier unglaublich, wie groß die Freifläche mitten in der Stadt ist und wie riesig das Flughafengebäude selber. Dieses wurde in den dunkleren Stunden auch sehr schön von mehreren farbigen Strahlern in Szene gesetzt. Dabei hatten sich die Veranstalter deutlich mehr Mühe gegeben als bei der Beleuchtung der Bühnen selber.
Nach der kurzen Pause trollten wir uns aber weiter zur Main Stage, denn da begann Edwyn Collins seinen Auftritt. Der vor allem durch „A girl like you“ bekannte Musiker ist nach zwei Schlagfällen, bei dem er seine kompletten motorischen Fähigkeiten verloren hatte, erst seit kurzem wieder mit neuem Album auf Tour. Seit seiner schweren Krankheit wird er bei der musikalischen Umsetzung von Bands wie Franz Ferdinand, The Drums, The Cribs, Johnny Marr, The Magic Numbers und Roddy Frame unterstützt. Dadurch hat sich eine Art Supergroup gebildet, die sich bei jedem Auftritt anders zusammen setzt. Leider haben wir, obwohl sie uns teilweise bekannt vorkamen, keinen der anderen Musiker erkannt und können euch somit nicht sagen, wer diesmal alles dabei war.
Edwyn Collins selber nahm, wie nahezu jede Band, deren Auftrittszeit vom Abend auf den Nachmittag verlegt wurde, die Programmänderung mit Humor. So begrüßte er die Zuschauer mit einem lässigen „Good evening…äh…good morning“ – ein Begrüßungs-Dauerbrenner an diesem Nachmittag. Vor der Main Stage war es zu diesem Zeitpunkt allerdings mäßig gefüllt, da ein Großteil der Anwesenden relaxt rechts neben der Main Stage in der Sonne saß. Das konnte man ihnen auch nicht verübeln, denn die Kombination aus Sonne und dem ruhig rockigen Sound von Edwyn Collins passte einfach perfekt zusammen.
Als Nächstes standen Gang of Four auf dem Programm der Main Stage, die ihren Auftritt mit einem lässigen Indianergesang-Intro begannen. Danach war ganz schön Bewegung auf der Bühne, denn für Frontmann Jon King wurden gleich drei Mikros auf die Bühne gestellt und er nutzte sie alle – abwechselnd – nach seinem Belieben. Gelegentlich wurde er dabei von den Anderen unterstützt, die sich aber auch nicht an eine feste Aufteilung hielten. Somit hatte der Rowdy der Band ganz schön zu tun, denn er musste die genutzten Mikros ständig wieder aufstellen und halbwegs auf die Ursprungshöhe bringen, damit sie nach kurzer Zeit wieder verstellt werden konnten. Aber auch diese zwar rockige Darbietung war wieder sehr ruhig, so dass die meisten Zuschauer auch lieber wieder in der Sonne sitzen blieben, als sich vor die Bühne zu stellen.
Gegen 18:00 Uhr bereiteten sich dann The Morning Benders auf ihren Auftritt vor. Leider dauerte deren Soundcheck etwas länger als geplant, so dass sich ihr Auftritt ein wenig verzögerte. Das war aber auch nicht weiter schlimm, denn die Jungs hatten eh die Ruhe weg, was ihre langen Pausen zwischen den Liedern bewiesen. Doch das Publikum wurde dafür mit langen Instrumentensoli entschädigt. Dennoch war auch dieses Konzert der Kategorie „sehr chillig“ zuzuschreiben, was langsam zur Belastung wurde.
Kaum vorzustellen, wie einige dieser ruhigen Konzerte angekommen wären, wenn sie wirklich, wie ursprünglich geplant, zum Teil erst 22:00 Uhr stattgefunden hätten. Fest stand: Es musste endlich mal nach vorne gehen, damit die Zuschauer wieder aufwachen.
Diese Bitte wurde von Soulwax erhört, und wie! Schon der Soundcheck macht Hoffnung auf etwas Energie geladenere Musik, die nur kurz verunsichert wurde als sich vier Mittvierziger auf die Bühne begaben. Erstmal brauchten sie ein Drittel weniger von der Bühnenfläche der Main Stage, aber weniger ist ja bekanntlich oftmals mehr, denn – neben Fever Ray am Freitag Abend – waren Soulwax die gefühlt erste Band, die dem Publikum ein perfekt auf die Musik abgestimmtes Bühnenbild und mehrere LED-Projektionen präsentierten. Musikalisch wie rhythmisch, wo Soulwax entfernt an The Prodigy erinnerte, setzten die Herren im grauen Anzug auch neue Akzente für diesen Tag. Im Gegensatz zu den Bands davor, war endlich Bewegung angesagt, was das Publikum, welches sich im Übrigen auch wieder mal vor der Bühne stapelte, auch sofort honorierte. Und so tanzte und sprang die Menschenmasse vor der Main Stage das erste Mal an diesem Tag.
Und es sollte nicht das letzte Mal sein, denn gleich im Anschluss folgte Boys Noise, der mit seinem DJ Set daran anschloss, wo Soulwax aufhörten. Für viele war der in Berlin lebende Electro-DJ, Produzent und Plattenlabel-Besitzer sicherlich eines der absoluten Höhepunkte auf dem diesjährigen Berlin Festival. Umso erstaunlicher war deshalb, dass sein Auftritt im neuen Zeitplan unglaubliche 6 Stunden vorverlegt wurde. Eigentlich sollte Boys Noize, ähnlich wie Fat Boy Slim am Freitag, ursprünglich zu später Stunde im Hangar 4 im Rahmen vieler anderer Künstler seines Labels auflegen. Dass er jetzt auf der Main Stage angesiedelt war, erwies sich deshalb als absoluter Glücksfall, da es von unserem Eindruck her das vollste Konzert auf dem Festival war.
Hätte er im kleinen Hangar gespielt, wäre es vermutlich zu den gleichen Problemen wie am Vortag gekommen und noch viel mehr Besucher, als die, die ihn auf Grund der Zeitänderung verpasst haben, hätten ihn nicht sehen können. So konnten aber wirklich alle zu seiner Musik ausgelassen feiern, die er auf seinen vier Turntables zusammen mischte.
Für alle, die der Electro-Musik nicht so zugeneigt sind, bot zeitglich Tricky im Hangar 4 genau das passende Gegenstück zum Programm auf der Main Stage. Der inzwischen seit 15 Jahren aktive britische Musiker und wichtiger Teil der Trip-Hop Szene überzeugte zusammen mit seiner Co-Sängerin vor allem stimmlich. Begleitet von den langsamen Hip-Hop ähnlichen Rythmen und Samples erzeugte Tricky eine tolle Atmosphäre. Leider war die Beleuchtung der Bühne allerdings wieder sehr düster, weshalb wir euch hier keine Bilder präsentieren können.
Für etwas Stirnrunzeln bei uns sorgte zu der Zeit aber erneut der Getränke-Ausschank. Zwar wurde erfreulicherweise im Gegensatz zum Vortag konsequent auf alle Becher Pfand erhoben. Etwas verwunderlich war jedoch, dass 0,5l Softdrinks nicht auch in Becher umgefüllt wurden, sondern einfach in den PET-Flaschen ausgehändigt wurden. Auf Nachfrage, warum dies geschähe, meinte ein Mitarbeiter zu uns, sie seien ja nicht so gefährlich wie Glasflaschen. Ein Fakt, den man durchaus in Frage stellen kann.
Doch dies war nur ein unwichtigeres kleineres Detail. Festzustellen bleibt, dass die Veranstalter ihr bestes getan haben, um den zweiten Tag sauber über die Bühne zu bringen. So fruchtete nicht nur der geänderte Zeitplan, bei dem immer auf allen drei Bühnen Auftritte stattfanden, sondern zeigte auch der leicht geänderte Aufbau der Sicherheitsschleusen Wirkung. Diese waren zwar nicht wie erhofft komplett abgeschafft, aber dafür waren nun Ein- und Ausgang deutlich voneinander getrennt.
Obwohl es erst kurz vor 22:00 Uhr war, näherte sich das Berlin Festival 2010 – nach der Programmänderung – nun schon seinem Höhepunkt und auch Ende. Dies sollte alle Besucher aber noch einmal vor eine schwere Entscheidung stellen, da wieder zeitgleich zwei tolle Künstler spielten.
Im Hangar 5 spielten We Have Band, die im April diesen Jahres endlich ihr Debüt-Album auf den Markt gebracht haben. Geschlagene zwei Jahr nachdem bereits der Guardian gefordert hatte, dass sie dies endlich tun sollten. Thomas und Dede Wp sowie Darren Bankroft verbrachten aber lieber ihre Zeit damit, live zu performen als sich ins Studio zu stellen. Eine Einstellung, die sicherlich auch den Besuchern des Berlin Festivals zu Gute kam, die sich vom Electro-Pop der drei Londoner ohne Startschwierigkeiten mitreißen ließen.
Für einen kleinen Schmunzler bei unseren Festivalhoppern sorgte allerdings das Bühnenoutfit von Frontfrau Dede Wp, das nicht nur an Mieze von M.I.A erinnert, sondern auch an ein Regencape – vermutlich war ihr einfach nicht bewusst, dass sie in einem Hangar spielen.
Der deutlich größere Teil der Leute entschied sich aber für das Konzert von Hot Chip auf der Main Stage. Dem noch deutlich bekannteren Act im Bereich des Electro-Pop, den Hot Chip aber auch mit Independent und klassischen House und Techno-Anteilen vermischt. Auch hier kam der tanzwütige Teil der Besucher voll auf seine Kosten, denn die fünf Musiker um Alexis Taylor und Joe Goddard gingen von der ersten Sekunde an in die Vollen und sorgten somit für einen deutlich früheren, aber doch versöhnlichen Abschluss des Berlin Festivals 2010.
So machte man sich dann wieder mit der U-Bahn auf den Weg nach Hause. Auf diesem fielen allerdings vereinzelt noch Leute auf, die sich scheinbar in Richtung des Festivals begaben. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht all zu viele Besucher waren, die die Programmänderung zu spät oder gar nicht erfahren haben und somit deutlich zu spät kamen.
Was am Ende übrig bleibt sind sicherlich sehr geteilte Gefühle. Da stehen auf der einen Seite die Erinnerungen an die doch nervigen Tonprobleme, das fehlende Licht auf den Bühnen und an die verschiedenen größeren und kleineren organisatorischen Pannen, die ihren Höhepunkt im Abbruch am Freitagabend fanden. Dazu kommt die Enttäuschung über den Ausfall von Fat Boy Slim, den sicherlich sehr viele sehr gern gesehen hätten.
Auf der anderen Seite bleiben einem aber viele tolle Konzerte in Erinnerung. Allen voran – aus unserer Sicht – sicherlich Soulwax, Fever Ray, Editors und Blood Red Shoes. Die Feststellung, dass der Flughafen Tempelhof eine sicherlich tückische, aber sehr tolle Location ist. Allem voran aber, dass das Berlin Festival einen ganz eigenen Charme und Atmosphäre hat, die so sicherlich mit kaum einem anderen Festival derzeit zu vergleichen ist. Auf welches Festival sonst fährt man von einem richtigen Bett aus, in Stöckelschuhen mit der U-Bahn, um dort seine Jacke an der Garderobe abzugeben.
Es bleibt zu hoffen, dass es nächstes Jahr wieder ein Berlin Festival geben wird. Vor allem aber auch, dass die Veranstalter bis dahin aus ihren Fehlern gelernt haben und es besser machen. Dann kann sich das Berlin Festival in der großen Festivallandschaft sicherlich etablieren und einen ordentlichen Ruf verschaffen.
Ob es für die ausgefallenen Künstler nun, wie angedeutet, eine Ersatzveranstaltung geben wird, können wir euch zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen. Wenn sich etwas ergeben sollte, erfahrt ihr es aber mit Sicherheit auch bei uns.
Falls ihr noch ganz eigene Erlebnisse vom Berlin Festival mitgebracht habt oder ihr eure Meinung zu den Vorkommnissen loswerden wollt, dann schreibt sie uns. Wir freuen uns über eure Kommentare!
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