Die übliche Vorbereitung: Gasnachschub für den Camping-Brenner besorgen, den billigsten Grill aus dem Baumarkt holen, einen Essenvorrat anlegen, der das ganze Festival mit Keksen und Raviolidosen versorgen könnte, wer fährt bei wem im Auto mit. Und später dann das: wo ist der beste, schattigste Platz für das Zelt; bloß nicht weit zum Auto laufen müssen und bitte auch nicht so weit zum Festivalgelände. Und wo zelten eigentlich die Freunde? Das erledigt sich von selbst, wenn man ein Festival mitten in der Stadt hat. Das 4. Berlin Festival hat sich überraschend das begehrte Gelände des stillgelegten Flughafens Tempelhof sichern können (wir berichteten), und der liegt mitten in der Stadt. Also diesmal folgende Vorbereitung: schnell noch einen Döner für unterwegs und dann ab in die U-Bahn. Vom Berlin Festival berichtet für Euch Festivalhopper Kai W., Fotos von Photomic.
Gelände und Gebäude sind jedesmal beeindruckend. Und alles passt so gut: die Checkin-Schalter werden genutzt für den, naja, Checkin, der Zeitplan wird auf den Anzeigetafeln als Abflugzeit bekanntgegeben. Beim Reinkommen fällt auf: die Schlange derer, die Business-Class, äh Gästeliste, und nicht Economy- fliegen, ist lang. Der Verdacht beschleicht mich immer wieder: ohne die „Freunde“ auf der Gästeliste wäre der Club leer.
Wir sind zu spät für These New Puritans, bekommen erstmal die volle Ladung Heimspielatmosphäre von Bodi Bill mit. Die Mainstage befindet sich in einem der Hangars, Bodi Bill bespielen die Second Stage unter dem 40 Meter über das Flugfeld auskragendem — auskragend? ich kannte das Wort bis jetzt gar nicht, doch Wikipedia sei dank — Dach. Meine Begleiterin meint, die Anzüge des Trios wären Sofabezüge. Auf jeden Fall lässt sich darin super Tanzen. Die Anlage rummst ordentlich und das Publikum ist warmgespielt und tobt. Bodi Bill geben alles und eine Zugabe. Jetzt sind sie fertig und es wird Zeit das Gelände zu erkunden.
Das ganze ist ziemliche regensicher mit dem Dach und der Halle. Und trotzdem ist alles draußen: Camping auf dem warmen Asphalt, Erfahrene haben Decken dabei. Ich sehe jemanden mit einer Lufthansa-Vielflieger-Decke als Umhang, auch Pilotenuniformen sind beliebt. Nur hätte ich wenigstens ein Flugbegleiterinnen-Kostüm erwartet. Dafür ist die bequeme Anreise, Null-Prozent Regenwahrscheinlichkeit und asphaltierter Untergrund wohl verantwortlich für den für ein Festival ziemlich hohen Anteil an Stöckelschuhen.
Zwischen Mainstage und Second Stage gibt es einen kleinen Jahrmarkt: Merchandise, Selbstgestricktes, Selbstbesticktes, T-Shirts und Essen. Das White Trash Fast Food grillt frische Burger und Merguez-Würste. Später tanzen dort viel fotografierte, weil oben rum nackige Mädchen — Burlesque ist gerad hip. Bei dieser Hitze muss viel Getrunken werden, doch Nachschub zu bekommen ist eine Katastrophe. Nicht nur ich verzweifle, auch die Überforderten am Ausschank. Ähnliches gilt beim Entsorgen des Getrunkenen, aber nachdem wir das geheime WC im Flughafengebäude entdeckt haben wird es für uns einfacher…
Jetzt kommt St. Etienne auf der Mainstage. Die habe ich irgendwie anders in Erinnerung. Vielleicht ist der Hangar doch zu groß. Der Sound ist in der Halle jedenfalls sehr — Achtung — hallig! Das Problem hat auch Dendemann, der danach dran ist. Den versteht man ja von Natur aus nur schlecht; durch die Akustik gar nicht mehr. Zwischendurch wandern wir noch ein paar mal hin und her, WhoMadeWho sind gut wie immer, die Junior Boys diesmal nicht.
Mit Pete Doherty haben wir eigentlich nicht gerechnet, wenn dann nur mit 3 Stunden Verspätung. Aber es wird nur eine halbe Stunde später. Und noch ein paar Sachen sind anders: Er heißt jetzt Peter und ist ganz alleine mit seiner Gitarre, die beiden Ballerinas vergessen wir mal schnell. For Lovers ist der Auftritt auf jeden Fall. Dann kommt noch Moderat mit schönen Liedern wunderbar entspannten Visuals. Das genügt für heute und wir gehen.
Das übliche Festivalritual am morgen danach: aus dem viel zu warmen Zelt quälen, Katerfrühstück, an der Schlange zu den Duschen anstellen, irgendwie zum See kommen. Doch heute ist alles anders, vielleicht bis auf den Kater. Auf dem Gelände geht es am zweiten Tag schon um 15 Uhr wieder los. Wir wollen erst die Thermals sehen und starten entsprechend später. Um 18 Uhr ist es noch ziemlich leer. Ein Bekannter, der mit seinem Modelscout-Kumpel die Gelegenheit nutzt und nach Nachwuchs sucht, erzählt mir, dass er sich noch vor einer Stunde sehr einsam fühlte, als nur zwei Leute mit ihm vor der Bühne standen. Hallo Orga? Ihr seid doch aus Berlin — dann wisst ihr doch, dass es üblich ist, erst ab 2 Uhr im Club aufzutauchen. Ach ja, wir sind ja auf einem Festival, na dann.
The Thermals sind dann doch nur „gut“, bei The Rifles wünschte ich mir, sie eher auf der Bühne eines kleinen Pubs zu sehen. Health verpassen wir. Mist. Nur noch ein tiefes Dröhnen der Drones bekommen wir von der guten Noise-Band mit. Aber die spielen ja morgen nochmal bei der After-Hour. Vielleicht sieht man sich da.
So leer es vor einer Stunde war, umso voller ist es jetzt. Der Samstag ist gefühlt besser besucht. Liegt bestimmt am Bespaßungsprojekt Deichkind. Ein Teil des Publikums ist schon typisch vorbereitet/verkleidet; wissend, dass sie keine Überraschung erwartet und etwas für’s Geld bekommen. Abfahrt — härter, stumpfer!
Seid wann Stuart Price‘ Band Zoot Woman in neuer Besetzung Auftritt weiß ich nicht, die alten Hits funktionieren auf alle Fälle und sind erstes Highlight des zweiten Abends: Living in a magazine, It’s automatic. Was danach kommt ist einfach nur noch Jarvis und ich überlege die ganze Zeit, was die Steigerung von Highlight ist. Jarvis Cocker kennt sich aus, spielt mit dem Publikum, entertained, scherzt, und rockt vor allen Dingen. Die Gitarren sind so derb und drücken, so dass die große Halle gar keine Chance hat zurück zu hallen. Und ich verschmerze es, Health nicht gesehen zu haben. Der Song „Black Magic“ wird zum Credo des Auftritts. Jarvis, der dunkle Magier mit den langen Fingern!
Danach tanzen wir noch zwei Stunden bei Whirlpool Productions und Hot Chips Joe Goddard. Whirpool fangen vor fast leerer Second Stage an. Charmant, wissend und sicher wird das Publikum mit House von seiner besten Seite beeindruckt. Die drei Whirpools bringen schnell alle zum Tanzen, Eric singt, Hans hat eine Fahrradhupe dabei, und Justus regelt. Offensichtlich machen sie das nicht so oft, aber das Experiment gelingt ganz wunderbar. Und sie sind sich zu nichts zu Schade, From Disco to Disco wird ausgepackt und als sie zu einer Blaskappellenversion ihrer großen Hits die mittlerweile volle Second Stage verlassen wird auch uns klar: besser wird’s nicht — wir gehen besser.
Ach ja, dann gab es da ja noch zwei weitere Floors: Airbase 1 und den Club Berlin Floor. Da hat sich aber kaum jemand hin verirrt, wahrscheinlich wegen der schlechten Erreichbarkeit. Vielleicht wurde es später voller.
Wird Zeit für ein Fazit: Zwei schöne Abende in Berlin unter freiem Himmel. Dass das Ganze sich nicht bloß wie ein übliches Wochenende in der Hauptstadt anfühlt, liegt an der speziellen Atmosphäre des Flughafens. Nachdem im letzten Jahr Pause war, ist die Neuauflage des Festivals auf jeden Fall gelungen – und in einem richtigen Bett schlafen ist wirklich viel Wert. Es berichtete für Euch Festivalhopper Kai, hier gibts weitere Berlin Festival Fotos, weitere und andere Bilder von Photomic hier.
30. Dezember 2009 um 17:44
[…] Jarvis Cocker, Peaches, Digitalism und viele mehr sehen. Einen ausführlichen und guten Bericht vom Berlin Festival 2009 könnt ihr hier lesen – Fotos dazu haben wir […]
15. Juli 2010 um 12:14
[…] umgeschwenkt. Keine schlechte Wahl für eine Event mit elektronischer Musik in Berlin, wie Berlin Festival und Berlin Summer Rave schon bewießen […]
16. April 2012 um 18:27
[…] Deichkind (das Foto stammt vom Berlin Festival 2009, von der aktuellen Tour gibts einen Konzertbericht aus Dortmund) kündigen außerdem The […]