Wenn’s um Politik und aktuelle Diskussionen geht, gibt’s eigentlich fast immer einen Song der Ärzte, der ins Schwarze trifft. Dass diesmal bei Rock am Ring ausgerechnet „Westerland“ einer dieser Songs ist, haben die Ärzte wohl auch nicht ahnen können. Auch, wenn der Ärzte-Evergreen eigentlich eher unpolitisch daherkommt, gibt’s für Frontmann Farin Urlaub – bezogen auf die jüngsten Vorkommnisse im Sylt-Ort Kampen, als ein Trupp Touristen rechte Parolen grölte – dennoch deshalb einen Grund, den Song gerade jetzt zu singen.
Die Menge jubelt – auch, da „Westerland“ als eine der feiertauglichen Zugaben daherkommt, auf die die zigtausenden Besucher bei Rock am Ring sehnlichst gewartet haben dürften.
Die Ärzte geizen an diesem Abend zwar nicht mit bekannten Songs – so richtig Partystimmung will aber nicht aufkommen. Was vielleicht daran liegt, dass die selbsternannte „beste Band der Welt“ ein wenig eingerostet scheint. Farin ist gesundheitlich angeschlagen und nippt am Tee, Bela B. wirkt in seinem spacigen, aber etwas unvorteilhaften Einteiler älter als er ist. Einzig Rod Gonzalez lässt keine Ausfallerscheinungen erkennen.
Farin Urlaub will mit der Menge in die 80er oder 90er – darüber ist man sich auf der Bühne nicht ganz einig – reisen und wünscht sich eine Laola-Welle. Das Publikum macht fleißig und dankbar mit – ansonsten halten sich die Partystürme schließlich in Grenzen. Zu zurückhaltend – auch, was den berühmten Funken angeht, der überspringen sollte – gehen „BelaFarinRod“ mit den massentauglichen Mitsing-Hits um. Trotz „Junge“, „Himmelblau“ oder „Unrockbar“ fehlt vielen der Superhit „Zu spät“. Bela B.s Einlage mit einer Gitarre, die eigentlich Michael Schenker gehörte, wird sodenn von den Ring-Rockern eher geduldet als gefeiert.
Nichtsdestotrotz wissen die Fans natürlich, dass sie sich – wenn’s um die wichtigen Messages geht – auf die Ärzte verlassen können. Der „Schrei nach Liebe“ lässt den Ring beben – gerade aufgrund der Aktualität. Und einen Wahlaufruf im Stil der Ärzte gibt’s natürlich auch: „Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist wie sie ist. Es wär‘ nur deine Schuld, wenn sie so bleibt“ – singen die drei, und schicken die Hoffnung hinterher, dass die Ring-Besucher schon per Briefwahl für den Wahlsonntag abgestimmt haben.
„Friedenspanzer“, „Demokratie“ – es geht politisch zu auf der Hauptbühne bei Rock am Ring am Freitagabend. Absolut berechtigt und angebracht. Aber ein bisschen mehr Party hätte der Eröffnungsabend des legendärsten deutschen Rockfestivals doch verdient gehabt.
Gut, dass man nach den Ärzten noch zur Mandora Stage, wo Avenged Sevenfold die Nacht rocken, oder zur Orbit Stage, auf der Pennywise ihre bekannten Punk-Kracher abfackeln, pilgern kann.
9. Juni 2024 um 18:08
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