Das Lollapalooza hat’s nicht leicht – ständig muss man den Standort wechseln und jeder Standort macht neue Probleme. Bei der ersten Ausgabe 2015 gab es lange Schlangen vor den Dixies, der Treptower Park hielt 2016 wütende Anwohner*innen und anstrengenden Mehraufwand für die Grünanlagen bereit. Das Lollapalooza von 2017 offenbarte dann eine desolate Verkehrssituation, das viele Besucher*innen wütend zurückließ.
Was also dieses Jahr? Im Olympia-Park und im Stadion selbst lernte man aus dem Dixie-Engpass von 2015 (auch, wenn man an der Beleuchtung noch arbeiten sollte), die Anreise mit Öffis verlief recht problemlos. Zwar beschwerten sich einige Anwohner*innen auch in diesem Jahr, dies mal über den Soundcheck am Morgen, die Probleme lagen aber woanders: Obwohl es nicht das erste Jahr cashless-Bezahlung für’s Lollapalooza ist, waren die Schlagen am ersten Tag des Festivals enorm lang. Völlig unverständlich ist eigentlich, wie man als Veranstalter nach dem RFID-Chip Debakel diverser Festivals 2015 immer noch Kapazitätsrisiken bei den Auflade-Stationen eingeht. Gerade bei einem zweitägigen Festival wollen die Besucher*innen alles andere als ewig anstehen. Auch, wenn es am Sonntag besser war mit den Schlagen und die lange Anstehzeit ungleich verteilt war auf dem Gelände – das geht besser.
Worauf das Lollapalooza auch nicht vorbereitet war: Den großen Andrang bei David Guetta und Kygo. Die Perry’s Stage im Olympia-Stadion hatte eine natürliche Kapazitätsgrenze – irgendwann ist der Innenraum voll. Die Festivalveranstalterin rechtfertigte sich allerdings, dass die Perry’s Stage dieses Jahr schon deutlich größer war als die letzten Jahre und dass wohl auch die tatsächlich ziemlich beeindruckende Kulisse im Olympiastadion mehr Besucher*innen zur Elektro-Stage gelockt hätte. Sowohl bei Guetta als auch bei Kygo mussten deshalb schon vor Stage-Time der Star-DJs der Einlass ins Olympia-Stadion gestoppt werden. Viele Fans waren ganz und gar nicht begeistert, einige hatten gerade auch für Guetta und Kygo die Tickets gekauft. Das Festival entschuldigte sich auf Facebook auch noch mal dafür, Veranstalterin Fruzsina Szép erklärt, dass das Sicherheitskonzept nicht für Besucher*innen auf den Rängen abgestimmt war; nächstes Jahr könnte das aber angepasst werden – nächstes Jahr könnte nämlich das erste Jahr werden, bei dem das Lollapalooza auf der selben Location Verbesserungen vornehmen könnte! Szép sagt dazu: „Wir sind gekommen um zu bleiben“. Wir sind sehr gespannt auf das nächste Jahr!
Viel positives bleibt dagegen im Kopf, was das Lollapalooza besser oder anders macht als andere Festivals. Das Begleitprogramm, inklusive Lolla-Fair mit Jahrmarkt, Artistenshows und co, dem großartigen Angebot des Kidsapalooza und die dazugehörige Familienfreundlichkeit des Festivals ebenso wie das hippe „Fashion-Palooza“ heben das Lolla von einem normalen Festival ab. Ein ökologisches Bewusstsein ist mittlerweile auf vielen, aber nicht auf allen Festivals (I’m looking at you, Rock am Ring!) im Kommen, der „Grüne Kiez“ des Lollapaloozas ist aber bereits seit Beginn des Festivals eine willkommene Abwechslung. Interessant außerdem: Der „Guardian Angel“, der bereit letztes Jahr eine Institution war, eine Art Repräsentationsfigur für Sicherheitsdurchsagen und ähnliches: Etwas persönlicher als die Hinweis-Videos auf dem Hurricane Festival.
Ein anderes Alleinstellungsmerkmal ist und bleibt das Booking des Lollapalooza. Statt zum Siebzehnten Mal die Toten Hosen oder Metallica zu buchen (I’m looking at you, Rock am Ring, again!), bringt das Lollapalooza eine Mischung aus Kritiker-Lieblingen und Hipster-Favorites wie Kraftwerk oder L.A. Salami, zum anderen aber auch Pop-Supergrößen, die man auf keinem anderen deutschen Festival sehen würde – oder zumindest nur sehr selten: The Weeknd, Dua Lipa, The National… Dazu gibt’s Festival-Garanten wie Casper, Imagine Dragons, K.I.Z., die zuverlässig die Menge begeistern. Eine spannende Mischung? Mit dem eher Instagram-Influencer-lastigen Publikum, für welches das wichtigste Element des Lolla wohl Glitzer zu sein scheint, führt das allerdings teilweise zu etwas Kultur-Elitarismus (und „Journalisten“, die sich für was besseres halten). Fakt ist, dass Auftritte von Altmeistern wie Kraftwerk oder Liam Gallagher nur sehr mäßig besucht waren. Die meisten der Besucher*innen bei beiden Acts begleiten ihre Bands wohl auch schon einige Jahre oder Jahrzehnte; als Liam im Publikum nachfragt, wo junge Menschen sind, um diesen den Coming-Of-Age-Rebell Song „Cigarettes And Alcohol“ zu widmen, melden sich nur sehr wenige, selbst, als Liam das spezifiziert und nach Teenagern fragt, muss er konsternierend aufgeben. Auch Kraftwerk inspirierten wohl am meisten die Feuilletons und Musikexpress Autoren. Die meisten jungen Besucher*innen versuchten derweil zu Kygo zu gelangen, oder waren zumindest irritiert von den vier Pionieren des Elektros. Die Animationen sind wohl beabsichtigt eher retro, die 3D Effekte übersichtlich; eher hat das „3D“ den witzigen Effekt, dass die Masse der Zuschauer*innen mit 3D Brille uniformiert gleich aussieht, dass die Individualität für das Erlebnis geopfert wird. Zuletzt fragen sich wohl die meisten der jungen Besucher*innen, die am Einlass für Kygo abgewiesen wurden, vermutlich noch bis heute, was genau die 4 Menschen auf der Bühne hinter ihren Pulten wohl machen.
Zwei Themen zogen sich durch das Wochenende: Der Tod von Mac Miller und die Nachwirkungen des Chemnitz Konzerts. Imagine Dragons eröffneten ihr Set opulent und kraftvoll wie nur wenige andere Bands es könnten und ballerten direkt Nebel-Kanonen und Konfetti raus; Sänger Dan Reynolds, der bereits von Beginn an Oberkörper-frei über die Bühne tobte, mahnte zwar einerseits an, dass man Religion, Politik und ähnliches am Festivaleingang zurücklassen sollte, wedelte aber begeistert mit einer Regenbogenflagge um sich und kommentierte, dass jede*r die Möglichkeit haben sollte, sich zu entfalten. Emotional thematisierte er den Tod von Mac Miller, man hatte den Eindruck, dass ihn das tatsächlich mitnimmt. Selbst Liam Gallagher, der nun nicht wirklich eine große musikalische Schnittmenge mit Mac Miller hat, widmete Oasis‘ epochalen „Live Forever“ dem amerikanischen Rapper. Casper, der zwar nichts zu Mac Miller sagte (den er, wie auf dem 2012er Track „Nie auf“ zu hören ist, „nie dope fand“), sagte natürlich was zu dem Konzert in Chemnitz; ein Konzert löse nicht das Problem, aber man müsse den „Arsch in der Hose“ haben, dahin zu gehen und den Mund aufzumachen, „wenn etwas Scheiße läuft“. Die multi-kulturellen Esperanto-Fans Freundeskreis mit Max Herre, Afrob, Joy Delanane und Megaloh zeigten eine klare Kante gegen den Fremdenhass, der den Geschehnissen in Chemnitz folgte. K.I.Z., die scheinbar immer noch davon angefressen sind, dass die BILD ihren #wirsindmehr Auftritt als „27 Minuten Hass“ betitelte, scheute sich auch nicht vor klaren Ansagen.
Was bleibt noch in Erinnerung?
- Ben Howard schafft es auch live nicht, sein drittklassiges Album, das eher so klingt, als wäre er aus Versehen über viele Delay & Reverb Pedals gestolpert, überzeugend zu inszenieren – und spielt als Trost nicht mal Songs seines großartigen ersten Albums oder zumindest die atemberaubende Single „The End of The Affair“ aus dem zweiten Album.
- Einer der meistbesuchten Auftritte ist dann doch Dua Lipa – international eine etablierte Größe, begnügt sich Dua Lipa mit einem Nachmittagsslot. Obwohl sie ganze 10 Minuten unterbricht und darauf wartet, dass ein Fan im Security-Graben fertig behandelt ist, liefert sie ansonsten ein sehr fröhliches Set und freut sich darüber, einen stimmigen, sonnigen Abschluss ihres Festivalsommers zu haben
- RIN ist – trotz des Fehlens von jeglichem Talent und Tragen eines Pornobalken-Schnurrbart, der eigentlich verboten werden sollte – bereits mittags eins der Highlights der meisten Besucher*innen. Auch, wenn sich der Autor dieses Textes weiter oben gegen Kultur-Elitarismus ausgesprochen hat, scheint es unverständlich, wie viele Menschen Songs feiern können, die wirken, als habe jemand die Werbe-Anzeigen der InTouch in einen Zufallsgenerator geworfen und mit einem generischen Beat unterlegt. Warum steht man auf eine solche Konsum-Prostitution, die so drastisch ist, dass man sich wundert, ob es ein Side-Projekt von K.I.Z. ist und ebenso ironisch gemeint ist?
- The National klingt auf Platte nicht danach, als wären sie eine großartige Live Band – sind aber eine großartige Live-band. Matt Berninger als Front-Sänger, der zwischen verschroben-unbeteiligt und emotional-eskalierend hin und her schwangt, seinen Stage-Hands wohl immer wieder Kopfschmerzen bereitet mit seiner ausufernden Ausflugslust ins Publikum trotz Kabelmikro, sieht dabei ab und an so grumpy aus wie der Opa von „Oben“ wohl in seiner Jugend ausgesehen haben könnte.
- The Weeknd startet extrem stark in sein Set, ballert mit einer tighter-als-tight-spielenden Band mehrere Singles raus, kann aber ein zwischenzeitliches Tief in seinem Spannungsbogen nicht verhindern. Daran ändern auch mehrere Flammen-Stöße nichts. Dennoch: Durchaus Headliner-tauglich, nicht nur dank mehrerer internationaler Überhits.
- Mehr Feuerwerk als alle anderen hat natürlich David Guetta mit im Gepäck. Da kann selbst Kygo oder Armin van Buuren nicht mithalten.
- Liam Gallagher vergisst, dass der*die durchschnittliche Lollapalooza Besucher*in wohl nur „Wonderwall“ kennt – trotz einem der exzellentesten Backkataloge der britischen Musikgeschichte, die er größtenteils seinem Bruder zu verdanken hat – und spielt es einfach mal nicht. Als echter Oasis-Fan eine Wohltat, für die normalen Besucher*innen wohl eher irritierend.
Nächstes Jahr hat das Lollapalooza dann wohl das erste mal die Möglichkeit, die Probleme diesen Jahres auf dem gleichen Gelände zu beheben. Zu hoffen bleibt, dass das Booking ähnlich kreativ und teilweise musik-nerdig bleibt, wie es die vergangenen Jahre durchaus war. Nicht zuletzt der Flair des „letzten Festivals des Jahres“ im Spätsommer lässt viele Künstler*innen bei ihrem Festival Set gelöst aufspielen, auch die pittoreske Kulisse des Olympia Parks ist sehr gut für das Festival geeignet. Nächstes Jahr also an der gleichen Stelle gerne wieder – dies mal mit neuem Konzept für den Innenraum des Stadions, liebes Lollapalooza?
Das nächste Lollapalooza wird am 07.+08. September 2019 stattfinden –> Lollapalooza Berlin 2019.
10. September 2019 um 09:39
[…] Ablauf und der Organisation an, dass das Lolla Team das erste Mal kleine Fehler des letzten Jahres (wir berichteten) verbessern konnte, statt wieder Hals über Kopf woanders hin zu […]