Was dabei herauskommt, wenn die erfolgreichste deutsche Metalcore-Kapelle im Rahmen einer Club-Tour ein neues Album veröffentlichen, eine solide Vorband (Decembre Noir) Support leistet, der Club nach rekordverdächtigen sechs Stunden komplett ausverkauft und die Klimanlage gefühlt out of order war, davon konnten sich knapp 800 feierwütige Fans, welche fiebrig nach frischem Material lechzten, und die komplette 1. Mannschaft des FC Carl Zeiss im Rahmen des Opening-Gig der aktuell laufenden Heaven Shall Burn– Club Tour am vergangenen Donnerstag im F-Haus zu Jena überzeugen.
„HEIMSPIEL“ betitelten die Lokalmatadore die last minute eingeschobene Zusatzshow in der Kultur- und Wissenschaftsstadt und stellten gleich zu Beginn klar, dass sich alle auf einen massiven Abriss einstellen können und es die längste Show der Tour werden wird. Sengende Hitze und literweise Schweiß gepaart mit unbändigen Bewegungsdrang der Crowd ergab eine sehr exklusive Mischung, die den Anwesenden wohl noch lange im Gedächtnis bleiben wird. Nachdem die Menge es mehrfach vorgemacht hat, ließ sich auch Sänger Marcus beim Closing-Song „Walhalla“ nicht nehmen, eine Saalrunde über den Köpfen der Menge zu surfen.
Im Vorfeld der Show hatten die Festivalreporter-Fanboys Kay und Thomas nach dem wirklich lesenswerten Interview von 2011 erneut die Möglichkeit, Maik, seines Zeichens Gitarrist und Mastermind von HSB, erneut mit mehr oder weniger tiefsinnigen Fragen auf den Zahn zu fühlen.
Los geeeeeht´s – HAVE FUN!
Kay: Hallo Maik, wir freuen uns, dass du die Zeit gefunden hast, uns im Vorfeld der heutigen Opening-Show ein Interview zu geben. Zum bevorstehenden Abend: Ursprünglich sollte die Tour ja zum morgigen Release-Date von Wanderer bei den Metal Hammer Awards in Berlin starten. Der Tour-Opener ist nach kurzfristiger Bekanntgabe des Zusatz-Gigs nun eure Heimat Jena, die Tickets waren nach sechs Stunden vergriffen.
Wie kommt es, dass nun Jena noch spontan eingeschoben wurde? Ist das nicht vielleicht doch von langer Hand geplant gewesen – Jena als Quasi-Heimatstadt und dann auch noch einen Tag vor VÖ?
Maik: Nein überhaupt nicht. Die ganze Tour war nicht von langer Hand geplant gewesen. Viele Leute haben sich beschwert, dass nur so wenige Konzerte im Osten eingeplant waren. Wir wollten sowieso irgendwann mal wieder ein großes Ding hier unserer Gegend machen. Das schließt das zwar auch noch nicht aus, aber wir haben dann einfach Jena an unserem Touranfang gestellt. Auch die Jungs vom F-Haus wollten mal wieder mal etwas mit uns machen und so ergab sich doch das Ganze als recht spontane Idee. Das war zeitlich gesehen Kamikaze genug. Es mussten in der kurzen Zeit Hardtickets gedruckt werden usw. – war ganz schön stressig! Unser Management dachte, wir wollen sie verarschen.
Kay: Naja, zumindest wir sind sehr dankbar dafür – sonst würden wir jetzt nicht hier sitzen
Neues Album. Neue Songs. Wie aufgeregt seid ihr gerade angesichts der Tatsache, dass ihr heute erstmals neues Material live spielt und wie sicher fühlt man sich da abseits des Proberaumes?
Maik: Das ist ja das tolle an ner Club-Show. Da stehst du auf der Bühne so eng zusammen und der Sound ist eher wie im Proberaum. Da ist etwa ein Rock am Ring schwieriger auf so einer riesigen Bühne. Da weißt du nicht was dich soundmäßig erwartet und wir wären sicherlich angespannter bezüglich der neuen Songs. Gut, zwei Songs kennen die Leute davon schon, einen kennen sie nicht. Daher wird das keiner merken, wenn da einer was verkackt. Ich glaube aber dafür sind wir ganz gut vorbereitet. Da bin ich nicht aufgeregt, weil wir genug geprobt haben.
Kay: Wir haben da die Situation aus eurer (sehr ironisch zu deutenden) Banddoku Leitmotiv im Kopf, in der die Proben über Videostream laufen und jeder zu Hause auf der Wohnzimmer-Couch zockt.
Maik: Ne ne, so funktioniert das nicht. Wir sitzen da schon sehr konzentriert zusammen im Proberaum. Nichtsdestotrotz ist das der erste Abend heute und da kann schon mal was schief laufen. Ich bin auch nicht aufgeregt, weil ich ja nichts zu verlieren habe. Über die Jahre habe ich gelernt, dass, falls ich mal das Solo verhaue, die Leute zwar das verhauende Solo nicht feiern, dies aber für die Leute die Show nicht kaputt macht. Die wissen ja, dass ich nicht so der Gitarren-Virtuose bin.
Kay: Jaja, das sagst du jetzt wieder…
Maik: Ne, es geht eher um Spaß haben. Es ist vielleicht so, wie wenn man vor Weihnachten aufgeregt ist. Eher freudig und so.
Kay (ergänzend): Noch dazu ist ein Heimat-Gig und da sind sicherlich einige Leute da, die ihr persönlich kennt.
Maik (lächelnd schmunzelnd): Ja na klar! Die komplette Mannschaft von Carl-Zeiss Jena mit 30 Leuten ist da. Die hatten angefragt. Das wird schon lustig werden, auf jeden Fall.
Kay (lachend süffisant): Nach der Devise: Die Sponsoren machen Mukke – lass´ ma hingehen!
Maik: Nee der Trainer, Mark Zimmermann, ist knallharter Metaller. Der war beim Cannibal Corpse Konzert (in Leipzig). Der ist richtig gut dabei!
Thomas: Wir haben zuletzt vor 5 Jahren, 2011 im Conne Island, miteinander gesprochen. Seit dem habt ihr mit VETO und nun WANDERER zwei neue Alben rausgehauen und diverse Shows auf den größten & bekanntesten Festivals gespielt.
Wo steht ihr heute bzw. was hat sich in den letzten 5 Jahren innerhalb der Institution HSB verändert?
Maik: Sehr viel hat sich an der Vorgehensweise nicht geändert. Wir machen die Sache, so wie wir Bock drauf haben. Die größte Veränderung ist, dass Christian Bass auf der Platte mitgemacht hat. Von uns als Veränderung nicht wahrgenommen, weil er auch schon so lange mit dabei ist, gerade Live. Ansonsten ist es unsere Stärke auf altbewährte Konzepte zu setzen. Das passt nicht jedem, dass wir da soundtechnisch immer eine ähnliche Art fahren. Ich denke, das ist eine wirkliche Stärke, wenn eine Band Ihren Sound gefunden hat. Das schaffen andere Bands in Jahrzehnten nicht. Also haben wir auch gar keine Veranlassung an unserer Vorgehensweise etwas zu ändern. Wenn ich es genauso mache wie beim letzte Mal, kann ich auf einer viel höheren Stufe anfangen und Dinge noch mehr aufbauen. Sicherlich ist es auch interessant die Sachen von einer absoluten Muschelei zu beginnen, aber so eine Katharsis haben wir noch nicht nötig.
Thomas: Wir hatten auch vor 5 Jahren darüber gesprochen, dass Ihr in weltlichen Berufen tätig seit. Markus etwa als Krankenpfleger und du, Maik, hast an deiner Promotion geschrieben und bist mittlerweile fertig.
Kay (süffisant quer eingeworfen): Glückwunsch!
Thomas: Glückwunsch auch von meiner Seite. Besteht diese Koexistenz von Beruf & Band trotz des stetig gewachsenen Erfolges immer noch? Inwieweit könnt Ihr angesichts des Erfolges noch euer Privatleben damit vereinbaren?
Maik: Das ist mit dem wachsenden Erfolg einfacher geworden. Jetzt richten sich ja die Leute nach uns. Wir müssen jetzt nicht mehr schauen, welche Band spielt vor uns. Wir wissen jetzt wir sind der Headliner und es richten sich die anderen nach uns. Wir müssen auch nicht mehr so viele Festivals spielen, damit das Geld reinkommt. Die Gagen sind jetzt höher, sodass wir nicht jedes Festival spielen müssen. Wir machen den gleichen Umsatz mit einem Viertel der Festivals als vor ein paar Jahren. Dadurch haben wir jetzt auch deutlich mehr Zeit. Es war somit eher schwieriger vor ein paar Jahren.
Thomas: Darf ich dazu eine ganz kurze Anekdote einschieben? Ich habe euch das erste Mal mit 18 Jahren auf meinem ersten WithFullForce 2004 nachmittags in der Tent-Stage gesehen. Dort habt ihr deutlich gemacht, dass Ihr keine Nazis bei euren Konzerten haben wollt. Daraufhin haben 30-40 Leute das Zelt verlassen (Breites Grinsen aller Beteiligter). Daran kann ich mich noch sehr gut erinnern. Ich war damals u.a wegen Slipknot, Walls of Jericho und Caliban auf dem WFF. Diese Bands waren alle vor euch gelistet. Seit dem hat sich nun einiges verändert. Ihr hattet damals u.a. Split Programm-Alben mit beispielsweise auch Caliban oder Fall Of Serenity.
Pflegt Ihr noch alte Freundschaften zu anderen Bands?
Maik: Caliban sind nach wie vor richtig gute Kumpels. Dieses Jahr haben wir einige Festivals zusammen gespielt wie etwa das Deichbrand Festival. Marc, der Gitarrist, ist ein sehr guter Kumpel, mit dem habe ich wirklich viel zu tun. Mit den anderen Jungs feiert man mal immer wenn man sich sieht, wie etwa auf dem Rock im Park Festival oder ähnliches. Die Fall of Serenity Jungs sehe ich immer mal wenn ich z.B. keine Ahnung in Plauen bin, wenn der Carl-Zeiss dort spielt. Unter anderem haben wir auch unseren ehemaligen Drummer Matze, der da mal mit dem einen Gitarristen was zusammen macht.
Thomas: Apropos Matze: 2013 musste euer Drummer und Gründungsmitglied Matthias Voigt gesundheitsbedingt das Handtuch werfen. Ihm folgte Christian Bass (der Name ist Programm). Welche Rolle spielt Matthias noch für die Band und umgekehrt?
Maik: Matthias spielt sowohl eine moralische als auch funktionale Rolle. Organisatorisch übernimmt er viele Dinge – er ist ja heute Abend auch da. Er erledigt viel anfallenden Kram, der bei einer größer gewordenen Band eben so anfällt und ist natürlich auch psychologisch nach wie vor sehr bedeutend für die Band. Wir haben zusammen früh angefangen in der Metalszene rum zu ziehen und haben auch gemeinsame Lebensansichten entwickelt. Ja, er ist wirklich ein sehr wichtiges Mitglied. Das ist jetzt auch kein Gelaber, Ihr seht ja, dass er heute Abend hier auch am Start ist.
Kay: Darf Matze denn noch manchmal hinter die Drums?
Maik: Naja, jaaa, also in Saalfeld zum Beispiel, letztens bei der Heimatshow…
Kay (lacht & unterbricht): Du meinst den „Home sweet home“-Gig (wir waren da). Der war 2010
Maik (lacht): … ja, jedenfalls saß er da auch an den Drums. Je nachdem wie er sich fühlt. Es ist halt ein Unterschied, ob du mal in Konzert spielst oder bei einer Vier-Wochen-Tour jeden Abend ran musst. Das kann man vielleicht mit dem Unterschied zwischen ambitionierten Hobbysport und Leistungssport vergleichen.
Kay: Naja, ihr habt einen Ergotherapeuten in der Band. Also von daher. Aber ich bin ja auch mit ´ner Physiotherapeutin zusammen. Die sind ja alle nach Feierabend eher weniger motiviert (:* an Marie)
(alle lachen)
Kay: Am morgigen Tage, also quasi heute um Mitternacht ist das offizielle Album-Release von Wanderer. Ich hatte die Scheibe heute Morgen bereits im Briefkasten und konnte auf der Fahrt nach Jena erstmalig reinhören. Ihr seid euch definitiv treu geblieben, der Sound ist vertraut und überzeugt – frühzeitiges Lob dafür! Als Fanboy, speziell eurer Lyrics, hätte ich mich im Vorfeld des Interviews gerne tiefergehend mit der Scheibe und dem wunderschönen Booklet beschäftigt. Im Grunde gibt es aber eigentlich gar nicht so viel zu erfragen, denn jüngst hat ja der Kollege Parabelritter mit dir eine detaillierte Track by Track-Analyse durchexerziert und auch die beteiligten Gastmusiker thematisiert.
Der vor einigen Wochen veröffentlichte Album Trailer zu Wanderer als auch die erste Seite des Booklets führen ein Zitat an, welches Selbstreflexion, Selbstfindung, das Wiedererlangen von Kraft und mentaler Stärke durch das Besinnen auf die Natur thematisieren. Das Ganze klingt sehr nach dem Wunsch nach Heilung von gesellschafts- und systembedingten Krankheiten mittels gezielter Distanzierung und irgendwo auch meditativer Methoden. Was ist die spezifische Motivation dahinter und welche Missstände der gegenwärtigen Gesellschaft führen zu dieser Entfremdung?
Maik: Das ist weniger das Motiv der Entfremdung. Es ist eher das wir Ruhe brauchen, um nachzudenken. Es ist eher der tiefe Wunsch danach ein Teil der Heilung zu sein. Es ist nicht das Heil, was aus irgendeiner Metaebene zu einem kommt. Es geht schon darum, sich einen Break zu nehmen, die Gedanken zu ordnen und darüber nachzudenken was kann ich machen, um ein aktiver Part dieser Veränderung zu sein. Es stürzt gerade so viel auf einen ein. Jeder brüllt rum, weil er denkt er hat eine Meinung, weil er Links auf Facebook teilt. Es gibt nur noch schwarz und weiß. Leute, die nachdenken und dazwischen stehen, werden von allen Seiten kaputt gemacht. Da kommt man selber nicht dazu mal die Gedanken zu ordnen. Es hat auch ganz viel mit Timing zu tun. Wann schlage ich los, um was zu ändern.
Kay: Es ist schon ein Bezug zu gesellschaftlichen Problemen heutzutage, das man ständig im Social Network ist, das so viele Leute sich über die Arbeit definieren. Das man aufgrund der technischen Evolution gar nicht mehr so die Work-Life-Balance hat wie früher, dass eher die Notwendigkeit besteht mal raus zu gehen.
Maik: Ja es ist mal so ein Checken, was jeder machen sollte. Ok, ich geh mal weg, ganz allein für mich, und was ist dann noch von mir da. Welche Gedanken sind da. Ich glaube, ganz viele Leute würden in irgendeiner schönen Landschaft rumsitzen und sich zu Tode langweilen, weil sie überhaupt nicht mehr wissen, wie man sich mit sich selber und seinen Gedanken beschäftigen soll.
Kay: Stichpunkt Achtsamkeit.
Maik: Ja, ich glaube das ist ein ganz großes Problem. Dieses oberflächliche beschäftigt sein mit kleinen nebensächlichen Problemen. Nennen wir das Beispiel, dass sich Leute die Köpfe eindiskutieren, ob eine verschleierte Frau am Strand liegen darf, wenn das Meer an dem sie liegt leer gefischt und mit Plastik zugemüllt ist. Was ist da das eigentliche Problem über das man diskutieren sollte? Darum geht es eigentlich! Das erkennt man aber auch erst wenn man mal einen Schritt zurückgeht. Mal ganz plakativ gesprochen. Ein sowjetischer Kosmonaut…
Kay (mit erhobenen Zeigefinger): Ein Kosmonaut ganz wichtig!
Maik (Lachen): Sowjetischer Kosmonaut und amerikanischer Astronaut. Wobei Astronauten ja zu Sternen fliegen. Vom Wort Astra, das Stern bedeutet. Na egal.
Kay: Ich dachte Astra wäre ein Bier! (großer Lacher aller über diesen unqualifizierten Kommentar)
Maik: Man müsste mal alle Kriegstreiber zusammen in eine Kapsel stecken und von oben auf die Erde schauen lassen. Da kommt jeder als Friedensstifter zurück. Das ist ja die größtmögliche Distanzierung, die jemand mit einem Schritt zurück machen kann um das große Ganze mal zu sehen.
Thomas: Die Psychologie hat dafür einen Begriff gefunden. In jedem Mensch, der unsere Erde in Gänze mit seinen eigenen Augen erblickt hat, löst es eine interessante nachdenkliche Sichtweise auf die Menschheit aus.
Maik: Wie heißt das Wort?
Thomas und Kay: Finden wir raus und du bekommst eine Mail! (Overview-Effekt, Anm.d.Red.)
Kay: Die nächste Frage ist damit schon anteilig abgedeckt. Dennoch liefert eure neue Platte außer der im Opener „The Loss of Fury“ angesprochenen Wut Anregungen bzw. Ansätze, die angesprochenen Missstände zu ändern/ zu revolutionieren? Wir haben ein paar besprochen: Sich auf die Natur zu besinnen, einen Schritt zurück zu gehen.
Maik: Ja, also sich auch einfach mal auf SEINE NATUR zurück zu besinnen. Du musst nicht nach Island oder irgendwo hinfliegen. Du kannst auch in deinem Garten, auf Rügen oder in dem Whirlpool deiner Tante machen.
Kay: Der Song „Downshifter“ thematisiert ja im eingangs erläuterten Kontext die Abkehr von der Leistungsgesellschaft. Welche Möglichkeiten siehst du, dass auch der Otto Normalbürger diese Strategie verfolgen kann?
Maik: Du sagst es jetzt so als ob Leistungsgesellschaft etwas Negatives wäre.
Kay (einschiebend): Ja, ich meine das durchaus kritisch-negativ.
Maik: Selbstausbeutung an sich ist schon in Ordnung. Der Begriff der Leistungsgesellschaft impliziert ja schon das jemand wirklich Leistung bringt. Mittlerweile wirst du aber mit so viel Scheiße zugebombt, die gar keine Leistung ist, sondern einfach nur heiße Luft. Es ist oft so wenig Substanz vorhanden, die man einfach nicht als Leistung benennen kann. Das ist das, was mich wurmt. Dagegen, wenn jemand wirklich Leistung bringt, kommt es darauf an, wem das zugutekommt. Ich sehe den Begriff der Leistungsgesellschaft nicht pauschal negativ. Das eigentliche Problem sind die darüber Sprechenden, die die Informationen managen.
(längere ausschweifende Diskussion über den Begriff Leistung & das bedingungslose Grundeinkommen)
Kay: Für uns als Umweltwissenschaftler/Ingenieure besonders spannend: Inwieweit trägt der Song „Corium“ dem Unglück von Tschernobyl Rechnung und distanziert sich HSB damit völlig von der zivilen Nutzung von Atomkraft?
Maik: Wir nutzen das Corium eher als Symbol. Das ist ja erst drei Mal entstanden. Wenn das irgendwo rum liegt, dann ist es das ein Zeichen für das Ausmaß der Scheiße, die da passiert ist. Das kannst du so viele Themen & Ebenen drum herum stricken. Beispielsweise die Kosten der Kernenergie, die vergesellschaftet und auf die Stromrechnung gepackt werden.
Kay: Da reden wir noch nicht von den letztendlichen Folgekosten!
Maik: Ja, die Folgekosten! Wenn sämtliche weitere Kosten auf den Atomstrompreis gelegt werden würden, wäre dieser absolut unattraktiv.
Kay: Unrentabel! Denn wir haben bis heute kein Endlager und bishger dennoch wahnsinnige Beträge in deren Exploration investiert.
Maik: Ich stelle mir oft die Frage, wo ist die Menschheit irgendwann mal falsch abgebogen? Das betrifft aber auch die fossilen Brennstoffe. Du musst mal überlegen, im 15. Jahrhundert haben die Leute Ihr Getreide zur Wassermühle gebracht und haben da Wasser- und Windenergie genutzt. Auch im Bergbau wurde das so betrieben. Dann kam die fossile Revolution. Nur noch verbrennen und verheizen.
Thomas: So ist dann irgendwann der Manchester-Kapitalismus entstanden!
Maik: Ja, natürlich war das eine richtige Revolution für die Menschheit. Die Frage gilt halt auch für die Kernenergie – wann wurde da falsch abgebogen? Wenn man überlegt, dass es in Deutschland immer noch kein Endlager gibt! Ich komme dann immer gern mit dem Beispiel, dass du dir auch keinen Elefanten zulegst, wenn du nicht seine Scheiße aus dem Haus bekommst. Das würde ja auch niemand machen.
Insofern wenn man für den Atommüll eine super Lösung hätte und alle Atomkraftwerke Grundgesetz-Standards entsprechen würden, dann hätte ich kein Problem damit. Aber was für alte Kisten z.B. an der Isar am Netz sind. Und da ist Deutschland noch gut aufgestellt. Wenn du überlegst, was in anderen europäischen Ländern so abgeht, z.B. in Belgien wo Kühlwasser vorgewärmt werden muss. Vorgewärmt, damit die Behälter nicht auseinanderfliegen. Dann Gute Nacht!
(eine weitere längere erregte Diskussion um die Gefahren und Abwägungen der Kernkraft, Fukushima und andere Dinge in diesem Kontext)
Kay: Maik, du als Ursprung und Mastermind der Lyrics: Woher beziehst du die verarbeiteten Themen? Intrinsisches Interesse oder gesellschaftliche Brisanz?
Maik: Also wenn man ein politischer Mensch ist, dann kommen solche Themen von selbst. Ich finde da auch einfach meinen Spaß dran, ohne jetzt den Anspruch zu haben, da besonders viele Menschen mit zu erreichen. Das fußt also vornehmlich auf Interesse.
Kay: Zurück zum Album: Island diente mit seiner nordisch-rauhen und unberührten Natur als Visualisierung der genannten Sehnsüchte. Euer eigens losgeschickter Photograph hatte grandiose Bilder im Gepäck, welche derzeit im Rahmen einer Ausstellung in Berlin besichtigt werden können.
Kay: Was verbindet euch & dich im speziellen mit dieser Insel im Nordatlantik (außer Ólafur Arnalds)?
Maik: Ja klar, schon auch Olafur. Er ist ein super Kumpel. Ich habe da aber auch noch viele andere Freunde, die ich gerne besuche, die aber auch uns besuchen. Man hat da auch einfach mal seine Ruhe und die Leute sind generell gechillter. Auf der anderen Seite kann man aber auch voll in das Partyleben im Großraum Reykjavik eintauchen. Die haben dort eine große Metal-Szene.
Thomas: Und das bei 300.000 Einwohnern…
Maik: Ja klar, das ist wie Erfurt, nur das diese Hauptstadt eines Landes wäre und man hat nochmals gefühlt die doppelte Menge an Touristen am Start.
Kay: Ihr führt im Booklet von Wanderer ein von mir vielgeschätztes Humboldt-Zitat an: „Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nicht angeschaut haben.“ Als sehr reiseaffiner Mensch, der nach mehreren Vagabundenjahren derzeit im ländlichen und politisch brisanten südlichen Thüringen lebt, kann ich das nur unterschreiben.
Abseits der diesmal eher wenig politisch motivierten Platte vielleicht ein wenig deplatziert, aber inwieweit erklärst du dir den Rechtsruck in Deutschland und anderen europäischen Staaten vor dem Hintergrund, dass die privilegierten Europäer noch nie so viel reisten wie heute?
Maik: Die Platte hat schon sehr politische Inhalte. Diesmal zwar keine Parolen, aber politisch ist sie trotzdem. Wir wollten es den Leuten nur diesmal nicht direkt ins Gesicht schreien, weil sie schon von allen Seiten damit bombardiert werden. Bei Leuten die viel reisen, kann man ein politisches Abdriften in den rechten Bereich äußerst selten vorfinden. Problembehaftet sind die, die nie in den Genuss kommen Reisen zu können. Es hat zudem etwas mit der Bildung zu tun, überhaupt ein Reiseverlangen zu haben. Ein Interesse an fremden Kulturen und Orten zu haben. Ich möchte auch niemanden in den Schutz nehmen, aber da gibt es sicherlich auch ganz viele Leute, die gar nichts dafür können. Die einfach Opfer von verfehlter Politik sind. Machen wir uns mal nichts vor. Nicht jeder aus meinem Heimatdorf kann Literatur- oder Philosophieprofessor werden oder ein belesener Weltenbummler. Trotzdem hat jeder ein Recht auf Leben ohne existenzielle Angst zu führen. Wenn Leute ohne hohes Bildungsniveau, und das meine ich nicht von oben herab und es soll jetzt nicht so verstiegen klingen, muss man sehen, dass man bei ihnen nur verhindern kann dass sie Scheiße bauen, wenn man ihnen Angst nimmt. Ganz lange waren Leute mit Angela Merkel zufrieden – ich fand die schon immer scheiße. Ich kann heute nicht mal mehr sagen, dass ich sie scheiße finde, weil man denken könnte, ich wäre AfD’ler. Merkel hat es halt Jahre lang geschafft, den Leuten Ängste zu nehmen und sie in Sicherheit zu wiegen. Das wird eine große Aufgabe für die Politik werden. Diesen Hang zu Fremdenhass gibt es in jeder Gesellschaft. Diesen kann man nur mit Bildung bekämpfen. Da, wo man nicht mit Bildung weiter kommt, kann man das nur mit gesellschaftlichen Mitteln bekämpfen. Da hat sich die Gesellschaft viel zu wenig gekümmert. Ey Hallo – der Bernd Höcke, dieser Typ, ist ja ein studierter Gymnasiallehrer.
Thomas: ..für Geschichte!
Maik: Ja, ja.
Kay: Hat nichts zu heißen.
Maik (nickend): Ja, wir wissen ja, wer manchmal alles Lehramt studiert. Jeder Schüler würde ihn als Lehrer auslachen und die erwachsenen Menschen hängen an seinen Lippen, weil sie Angst haben.
Kay: Paradoxerweise auch gebildete erwachsene Menschen!
Maik: Ja auch gebildete erwachsene Menschen. Das meine ich ja damit. Es gibt da auch genug Akademiker oder pensionierte Ingenieure, die da mitmischen. Und wenn solche Leute, die eigentlich nicht Rechts sind, als vermeintlich letztes Mittel solche Idioten wählen, dann ist das ein riesen Problem.
Kay (sichtlich erregt): Ähm, Ääääähm – Ich muss mal übel pissen!
(BREITES Lachen der Beteiligten)
Maik: Ich kann auch unseren Sänger holen, der kann dich auch katheterisieren!
Kay: Ne danke, lass mal, ich war lang genug mit einer Krankenschwester zusammen. Viele der wirklich tiefsinnigen Fragen zu beispielsweise Globalisierung, den Auswüchsen des Kapitalismus & den negativen Folgen für Mensch & Umwelt hatten wir bereits im Interview 2011 verheizt. Auch das Thema der potentiellen Kommerzialisierung von HSB wurde damals beleuchtet. In diesem Zusammenhang möchte Thomas eine Frage des Festivalhopper-Lesers Gabriel an euch heran tragen.
Ich geh´ mal eben Wasser lassen (sprach er und rannte auf Toilette)
Thomas: Gabriel wundert sich über so zahlreiche Editionen für euer neues Album mit Shirt, Schallplatten, 2 CD´s, 3 CD´s, umfangreichen Artwork, usw. Bei ihm entsteht da das Gefühl, den Geldfluss zu optimieren und möglichst alle „Fanarten“ zu bedienen. Welchen Anteil spielen kommerzielle Interessen beim Anbieten von Bundles & Merch?
Maik: Natürlich wollen wir viele Platten verkaufen. Wenn du dir aber die Packages so anschaust, wirst du sehen, dass die nicht so aufgemacht werden, dass sich manche Leute zwei Platten kaufen. Wir haben 4 – 5 verschiedene Vinylfarben und manche sehr streng limitiert, was wirklich was für Sammler ist. Im Endeffekt ist es so, es muss keiner die Platten kaufen. Man kann auch einfach das stinknormale JewelCase für 14 € kaufen. Es gibt aber auch viele Leute, die sich für spezielle Sachen interessieren und den haben wir versucht etwas Schönes in die Hand zu geben.
Thomas: Also doch vornehmlich für die Fans!?!
Maik: Ja, es gibt nun auch die Editionen, da haben wir gar kein Einfluss mehr drauf. Wenn EMP eine eigene Vinylfarbe, Impericon eine eigene Box auflegen und sie verkaufen ein und dieselbe CD mit drei/ vier verschiedenen Shirts oder Bundles, dann will ich als Band auch gar nicht mehr durchsteigen. Ich nehme das Geld auch gerne an, was damit verdient wird. Das kann man ja nicht abstreiten, aber ich denke, dass das bei uns noch ein relativ gesundes Verhältnis ist.
Thomas: Ok, kommen wir zur letzten Frage. Ich trage es sogar – Euer Shirt zum Projekt „Support Your Local Team (SYLT)“. Ich habe fast zwei Jahre in Karlsruhe gelebt und auch dort euer HSB Carl-Zeiss-Trikot getragen und sehr lustige Anekdoten bezüglich dieses Teils erleben dürfen. Entweder bezogen auf Jena oder auf HSB. Gerade der Ost-Fußball untereinander gestaltet sich sehr schwierig mit krassem Lokalpatriotismus und Rivalitäten untereinander. Was sind eure Erfahrungen mit dem SYLT-Projekt und wie sieht euer Resümee bisher dazu aus?
Maik: Zunächst hat es uns ganz viel Esprit gebracht. Wenn jetzt noch ein Trainer am Ruder ist, der natürlich auch Metal hört, macht das Ganze noch viel mehr Spaß. Aber auch in der Fanszene ist es immer mehr zu kreativen Ideen gekommen, gerade auch mit der Südkurve haben wir viel zusammen gemacht. Aber auch eine DKMS-Aktion (Stammzellenspenderdatei) haben wir gemacht. Genau darum ging es ja uns, dass so viele positive Sachen mit einem Verein erreicht werden können, weil auf diesem Wege so viele Leute zugegen sind, die man sonst so nicht erreicht hätte. Die Trikots sahen einfach auch richtig gut aus. Die Leute waren froh, dass mal wieder etwas Besonderes passiert. Da hat uns der Sponsor ran gebracht und das ist ein riesen großer Erfolg auf ganzer Linie. Deshalb machen wir das auf jeden Fall weiter.
Kay (mittlerweile wieder vom stillen Örtchen zurück): Also wenn du noch zwei Minuten hast Maik, würden wir gerne noch zum Abschluss ein paar bescheuerte Fragen stellen. Wir wollen ja nach all dem Tiefsinnigen auch die niederen Instinkte bedienen
Maik: Ja, na klar.
Kay: Wenn Donald Trump der 45. Präsident der Demokratie-exportierenden Heilsbringer aus dem goldenen Westen wird, dann…
Maik (lächelnd): Das ist eine sehr tendenziöse Frage… Dann wandere ich nach Deutschland aus!
Kay: Bei demjenigen, der bei Facebook im Namen von HSB immer fleißig Posts der Gäste kommentiert, handelt es sich um …
Maik: Unterschiedlich. Sehr oft bin ich es. Manchmal Matthias und manchmal andere Leute aus der Band.
Kay: Wenn Axel Rose offensichtlich erfolgreich als Sänger bei ACDC anheuert, dann …
Maik: Bin ich auf Helene Fischer bei Rammstein gespannt. Zumindest ähnlich attraktiv
Kay: Wenn HSB eine Partei wäre, dann …
Maik (nachdenklich): Würden wir wahrscheinlich das SPD-Logo klauen, damit uns endlich mal wieder eine linke Partei unter dem Logo regiert.
Kay: Wenn ich mich heute für ein Instrument entscheiden würde, dann würde ich … spielen.
Maik: Ich glaube Orgel.
Kay: Meine favorisierte Toilettenlektüre ist …
Maik (nachdenklich): Meistens die Whatsapp-Nachrichten meiner Volleyball-Gruppe. Auf’m Klo beim Kacken passt da das Niveau dazu!
Thomas: Das passt super zur letzten Frage!
Kay: Japp, in der allerletzten Frage kommt Polit-Kacke vor.
Wenn Angela Merkel zu Jugendzeiten HSB gehört hätte, dann …
Maik: Dann wäre Sie wahrscheinlich aus der FDJ raus geflogen.
Kay: Verdammte Suggestivfragen!
Kay/Thomas: Maik, Vielen Dank für das Interview! Es war uns mal wieder eine Freude!
Maik: Ja gerne – dauert ja hoffentlich nicht wieder ein paar Jahre bis zum nächsten Interview!
Wir geloben Besserung (Anm. d. Red.)!!!
30. September 2016 um 16:40
[…] auf Platz 3 der deutschen Albumcharts. Zum Tourstart trafen wir HSB in Jena zum Interrview: “HEAVEN SHALL BURN IM INTERVIEW – vom Tour-Auftakt, der Leistungsgesellschaft und Metallern beim FC…“. Nach […]
6. April 2018 um 09:28
[…] auch in unsere Interviews mit Heaven Shall Burn “HEAVEN SHALL BURN IM INTERVIEW – vom Tour-Auftakt, der Leistungsgesellschaft und Metallern beim FC…” und “Heaven Shall Burn im Interview – Clubshows, Festivalerlebnisse, Tiefsinniges […]