Was macht die Magie beim Haldern Pop aus? Ein Festival, das mittlerweile schon in der 32. (!) Ausgabe steht, das sich noch immer treu bleibt. Wie oft war man auf Festivals, bei denen die BesucherInnen shitstormen, das früher alles besser und (Phrase XY einfügen) war. Beim Haldern Pop hört man sowas nicht.
Die wahrgewordene Anti-These zum Mainstream bleibt sich treu und weigert sich beständig zu expandieren.
Gestartet als kleines Festival von lokalen Messdienern sind es immer noch viele lokalen Helfer, die das Festival tatsächlich „true“ machen – der Slogan „Be true, not better!“ wirkt hier so ehrlich wie sonst selten bei anderen Festivals. Und vielleicht ist es gerade der Fakt, dass man das Festival, für das die Karten schon lange vor der Bekanntgabe des ersten Acts ausverkauft sind, nicht größer macht, was dann dazu führt, dass es nicht nur „true“ sondern auch „better“ ist. Der heilige Gral des Indie/Folk hat auch dieses Jahr vielversprechende Bands eingeladen.
Wenn man sich das Line-Up der jeweiligen vergangenen Jahre anguckt, zeigt sich, was viel gemunkelt wird beim Festival: Zwei bis Drei neue Acts im Line-Up sind der neue heiße Scheiß von morgen. Wer wird es dieses Mal sein? Eine Spurensuche beginnt.
Startpunkt ist die Haldern Pop Bar. Hier handelt es sich, wie der Name vermuten lässt, um eine kleine (wirklich kleine) Bar im Herzen der Halderner Innenstadt, schräg gegenüber der Kirche, die ebenfalls als Spielstätte des Festivals fungiert. Bernd, ein fülliger, einnehmender Kerl, betritt unter tosendem Applaus die wacklige Bühne und zuckt mit allen Gesichtsmuskeln zu „Ich habe nichts erreicht außer dir“. Um das Publikum noch mehr in Wallung zu bringen, verspricht er, bei mehr Applaus auch umso sinnlicher mit seinem Bassisten zu tanzen.
Starker Szenenwechsel: Bear’s Den fühlen sich in der Kirche auf der anderen Straßenseite sichtlich wohl und sorgen mit klaren, tragenden Stimmen und ruhigen, fließenden Melodien in Zusammenspiel mit der Akustik und Atmosphäre ihrer Umgebung für erhabene Stimmung. Zur Unterstützung holen sie sich die Musiker von stargaze dazu, die irgendwie auf dem gesamten Festival überall mitmischen. Für ihren letzten Song wagen sich aber nur die drei weg vom Mikro mitten zwischen die Kirchenbänke, hinein ins Publikum.
Zurück auf dem Festivalgelände grüßt die aus fraglichen Gründen nur für den ersten Tag aufgebaute Byzanzstage mit AnnenMayKantereit. Drei Jungs aus Köln – klein angefangen, mittlerweile kennt sie jeder. Wenn man Henning May da oben stehen sieht, ein schmächtiger Typ im weißen Tanktop, erwartet man nicht diese kraftvolle, raue Stimme, die sich wie Salbe ins Gehör streicht. Am meisten bewegt der letzte Song „Oft gefragt“ mit der einfachen Widmung „für meinen Vater“, den May am Klavier begleitet.
Um Mitternacht lockt die Wiener Truppe Bilderbuch erneut zur Byzanzstage. Wenige wirken auf der Bühne so sexy wie Sänger Maurice Ernst. Begleitet von einem perfekten Hüftschwung beschuldigt er das Publikum, hinter seinem Hintern her zu sein – gut möglich. Halb Österreicher, halb Italiener; eine Mischung, die sogar Phrasen wie „bitterböse Buben“ erotisch klingen lässt. Bilderbuch ist sympathische Extravaganz vom Feinsten.
Im nebenstehenden Spiegelzelt, das vom Innendekor an eine Mischung aus Zirkus und Saloon erinnert, folgen Someday Jacob. Die wirken wie drei alte Freunde, die einfach nur zusammen Musik machen wollen – etwas unsicher auf der Bühne, spielen aber gute Country-Songs zum Mitgehen.
Als letzter Act auf der Byzanzstage laden Public Service Broadcasting zum nächtlichen Abtanzen ein. Da steht ein Typ in Anzug und Fliege, der entfernt an Dr. Who erinnert, hinter einer mysteriösen Art DJ-Pult, drückt auf ein paar Knöpfe und lässt die etwas abgehackte Frage „How are you feeling – Haldern Pop?“ von einer Computerstimme ertönen. Auf den Jubel des Publikums folgt ein leicht antiklimatisches „Good“. Auf der Leinwand neben der Bühne laufen alte Aufnahmen von Flugzeugabstürzen und ins Weltall rasenden Raketen, derweil werden Nachrichtenansagen aus dem letzten Jahrhundert mit Indie/Elektro-Beats und –Melodien unterlegt, die entspannt und eingelullt in die Nacht entlassen.
Freitag ist dann auch mal die Main Stage aufgebaut und wird bespielt. Aber erst mal geht’s erneut in die sehr schön ausgestattete Kirche, in der das Streicherensemble stargaze mit dem Chor von Cantus Domus, die irgendwie auch ständig irgendeiner Band aushelfen, zeigen, was es mit der mysteriösen Nennung von Johann Sebastian Bach im Line-Up auf sich hatte: Klassische Musik in einer Kirche – auf einem Indie-Festival. Haldern Pop ist einfach anders. Nach den elysisch-harmonischen Klängen beweist Bridie Monds-Watson von SOAK, wie eindrucksvoll mächtig eine zerbrechliche Stimme mit dem Hall der Kirche wirken kann.
Die ersten, die die Mainstage bespielen, sind dann die Belgier von Intergalactic Lovers, bei denen der Schlagzeuger so glücklich wirkt, als habe er gleich mehrere Honigkuchen verschlungen. Deutlich ruhiger wirkt im noch ziemlich leeren Spiegeltent das Duo Liam Ó Maonlai & Peter O´Toole, die aber durchaus eine ansehnliche majestätisch-ruhige Atmosphäre kreieren können. Das dänische Kollektiv von Alcoholic Faith Mission begeistern unter anderem mit Songs von ihrem neuen Album Orbitor. Ob sich die Band, die nach einer ihrem Proberaum nahegelegenen Kirche benannt haben, damit die Riegen der Haldern Pop Geheimtipps verlassen können und groß rauskommen? Dazu wirkt das alles noch etwas zu harmlos, zu verspielt.
Deutlich weniger verspielt zeigt sich Kate Tempest. Die energische Lady beeindruckt vor allem durch langanhaltende Raps, die auch nach Aussetzen des Beats ihrer zwei MitmusikerInnen noch minutenlang fortgeführt werden. Eine Dringlichkeit und Durchsetzungskraft, die das Publikum zuweilen eher sprachlos-fasziniert zurücklassen. Ab und kann könnte man meinen, Kate deklamiert ein Manifest.
Kate Tempest ist nicht die einzige Frauenpower-Vertreterin. Wo man häufig einen stark männlichen Einschlag im Line-Up bemerkt, gibt Haldern Pop ungewöhnlich vielen Frauen eine Bühne, unter anderem die dynamisch-intensiven Mädels von Savages, die sich zu einem kleinen Geheimtipp entwickeln, aber auch Laura Marling oder Courtney Barnett. Insgesamt aber auch in Haldern: Männer haben die Oberhand.
Einer dieser Männer ist auch Olli Schulz, der momentan sehr erfolgreich tourt und schon auf der kleinsten Outdoor Stage des Hurricanes dafür sorgte, dass die Securities vollkommen überrannt wurden. Olli fährt, für Haldern Pop etwas ungewöhnlich, mit Konfetti Kanonen großes Geschütz auf und stichelt gegen phrasendreschende Lokalreporter. Auf dem Festival, bei dem die meisten Bands auf Augenblenderei verzichten und das vor allem von lokalen Helfern getragen wird, wirkt sein stellenweise alberner Humor ab und an fehl am Platze. Den meisten Menschen im Publikum gefällt er trotzdem.
Mit der Dunkelheit der Nacht wird auf der Mainstage eine Vielzahl von Tasteninstrumenten, inklusive Orgel-Säulen aufgebaut. Der Sound-Tüftler Nils Frahm kündigt sich an und spielt schließlich ein atmosphärisch untersetztes Set, das manchmal etwas meditativ wirkt. Bis zu seinen Tastentönen ein Beat einsetzt, dauert es auch einige Zeit. Spätestens als die später auftretenden Kiasmos zu Gast sind, startet auch im Publikum etwas Tanzlaune. Nils Frahm erwidert später die Ehre und steuert ein wenig Soundfrickelei bei den beiden Isländern bei.
Gegenseitige Besuche, nicht nur von den omnipräsenten Cantus Domus und stargaze sind beim Haldern Pop überaus häufig. Das verstärkt das familiäre Gefühl, das das Haldern Pop Festival überzieht: Auf dem Festivalgelände sind viele Kinder unterwegs, man sieht fast genauso viele Fahrräder vor dem Eingang geparkt wie Autos auf dem Parkplatz stehen – das Haldern Pop ist auch ein sehr lokales Festival, zu dem durchaus auch ganze Familien aus der Umgebung kommen.
Der Samstag startet in gewohnter Hitze mit Heisskalt, die musikalisch leicht aus der vorherrschenden Haldern-Pop-Mischung ausbrechen – punkiger Rock mit deutschen Texten. Sänger Mathias Bloech sieht zwar aus wie drei Tage wach, freut sich aber, dass doch so viele Leute „früh aufgestanden“ sind, um zuzuhören. Heisskalt gehen kräftig ab, vor allem der rotbärtige Bassist, und animieren damit auch das Publikum. Der Sänger wagt sich ganz nah ran und lehnt sich mehrfach über den ersten Wellenbrecher.
Weiter zu einer Location, die nur am Samstag geöffnet ist: Das Keusgen Tonstudio, auf der anderen Seite des Campingplatzes. Hier ist das Haldern Pop Label beheimatet und auch hier wird heute gespielt. Das Feeling ist schon mal anders als auf dem Festivalgelände – ein winziger Raum, in den sich circa 60 Menschen gequetscht haben, größtenteils auf dem Boden sitzend. Die drei Musiker von Terra Profonda müssen sich ihren Weg zur Bühne erkämpfen, ohne dabei auf zu viele Hände und Füße zu treten. Vorne angekommen schmettert Vincenzo Lo Buglio inbrünstig los mit seiner Joe-Cocker-Stimme und zeigt dabei ein ähnlich komplexes Minenspiel wie Bernd Begemann, scheint sich aber durchaus ernst zu nehmen.
Family of the Year plätschern friedlich dahin, lassen zwar den Song „Summer Girl“ vermissen, schließen aber mit „Hero“ ab, wie sich wohl alle Besucher des Konzerts gewünscht und auch erwartet haben.
Bei Father John Misty hat das Wetter bereits stark umgeschlagen. Er lässt sich davon nicht beirren und zeigt starke Bühnenpräsenz mit sinnlichen, tänzerischen Bewegungen. Mehrfach wirft er sich theatralisch auf die Knie, scheinbar völlig schmerzfrei. Zwischen sanften Folk-Songs mit bissigen Texten gibt er ironische und staubtrockene Kommentare über das Publikum ab, das sich vor dem wolkenbruchartigen Regen unter die Dächer der umliegenden kulinarischen Highlights gerettet hat. Catchphrase: „Meet me at Pasta“. Man kann seine Attitüde scheiße finden oder unfassbar witzig, da scheiden sich die Geister.
Später im Spiegelzelt könnte man meinen, die Masse wollte sich nur vor dem Regen retten, aber Tour of Tours hätten das Haus auch so voll bekommen. Ein Projekt aus Künstlern verschiedener Bands hat sich auf die kleine Bühne gequetscht und jetzt den Spaß seines Lebens. Mit dabei auch wieder – na klar, stargaze, die dürfen nicht fehlen. Die Tour wird vom Publikum massiv gefeiert, vielleicht mehr als alle anderen Auftritte bisher.
Zurück an der Main Stage liefern dEUS ihre Best Of Hits, gut gespielt, dafür wenig aufregend. Viel aufregender, wenn auch nicht unbedingt angenehm, zeigt sich The War on Drugs. Was den letzten Abend schön hätte abrunden können, geht leider mehr Richtung Fiasko. Nachdem der Roadie, den wohl alle bemitleiden, Sänger Adam Granduciel zum zweiten Mal eine ungestimmte Gitarre in die Hand drückt, brüllt dieser entnervt und mikrofonnah: „I have a tuner!“, um dann selbst zu stimmen. Die so bereits am Anfang gekippte Stimmung sinkt von Minute zu Minute fühlbar weiter.
Erst reißt der Gitarrengurt und Adam schleudert ihn ins Publikum, am Ende des Songs donnert er dann die ganze Gitarre unelegant gegen den Verstärker. Besser wird’s nicht mehr, alle weiteren Songs wirken halbherzig und lieblos runtergespielt und zwischen den Bandmitgliedern scheint gar keine Kommunikation stattzufinden. Traurig ist wohl niemand über das Ende dieses Auftritts.
Haldern Pop bleibt weiterhin ein kleiner Mikrokosmos für sich und betont bewusst die Unterschiede zu anderen Festivals, unter anderem auch durch Zusatzangebote wie ein Vinyl Plattenladen-Zelt auf dem Festivalgelände. Es gibt durchaus auch einige Wermutstropfen: So gibt es für den Campingplatz eigentlich nur eine Wasserstelle, die Dixies sind doch ziemlich stark auf eine Stelle konzentriert, sodass man teilweise recht weit laufen muss.
Nicht zuletzt verwirrt die Regelung, dass keinerlei Art von Getränken mit auf’s Festivalgelände darf – nicht mal 0,5l Tetra-Packs. Dass ein Festival, das sich so gegen eine Ökonomisierung und Expansion wehrt, solch eine Maßnahme so rigoros durchsetzt, verwundert uns. Damit werden alle Besucher gezwungen, sich auf dem Gelände für die Haldern Pop Taler, die man nicht zurückerstattet bekommt, (mehr) Getränke zu kaufen. Vielleicht ja ein Teil der Gesamtkalkulation.
Trotzdem bleibt das Positive in Erinnerung: An dieser Stelle letztlich auch ein Lob an den überwältigend guten Sound – selten schafft es ein Festival, für nahezu alle Stellen vor der Bühne einen guten bis grandiosen Sound zu schaffen.
Also für nächstes Jahr: Selbst, wenn noch keine Bands feststehen, sich vielleicht einfach mal Karten besorgen. Die meisten Namen kennt man selbst als einigermaßen aufmerksamer Beobachter der Musikszene dann auch nur teilweise – enttäuscht wird man schließlich dann doch nur sehr selten. Das sehen auch die meisten anderen Besucher so und so gewinnt das Festival zum zweiten Mal in Folge den „Helga-Award“ für das beste Booking, vergeben von unseren Kollegen vom Festivalguide.
Beim Ticketverkauf dieses Jahr also schnell sein, denn die Nachfrage zu Beginn des Kartenverkaufs steigt von Jahr zu Jahr – letztes Jahr gab es deswegen Serverprobleme. Wenn man dann doch eins der ca. 7000 Tickets bekommt: Auf ein neues, Haldern Pop!
Bericht/Fotos: Aaron Wilmink/Jana Tubbesing
15. August 2017 um 09:20
[…] Den beschreiben das Haldern als besonderes Festival, und Bilderbuchs Maurice erinnert sich an den Auftritt auf der Biergartenstage vor zwei Jahren – in dem Jahr, in dem sie durchstarteten und sich eine schlechte Kritik von Linus Volkmann […]