Das erste Mal auf dem Appletree Garden Festival zu sein, ist eine Erfahrung die jeder, der Festivals liebt, einmal gemacht haben muss.
Jeder, der erleben will was es heißt Gutes zu tun, sollte sich mit den Machern unterhalten, vom Idealismus anstecken lassen oder zumindest das Interview mit Henning lesen.
Von Berlin ins niedersächsische Nirgendwo, auch Diepholz genannt, fährt man ungefähr fünf Stunden mit dem Auto. Wer am Nachmittag losfährt, kommt in den Genuss eines nordischen Sonnenuntergangs par Excellence. Angekommen im Dunkeln, heißt es sich auf dem Gelände zu orientieren. Es ist sehr klein, eigentlich auch übersichtlich, aber nachts sind eben alle Katzen grau. Wer es schafft, unbeschadet über die Felder und Weiden zu stolpern, der kann sein Zelt auf einem der vier abgesteckten Terrains aufschlagen. Sofort schlägt einem Freundlichkeit entgegen. Kämpfend mit Zelt und Taschenlampe wird uns gleich mehrfach Hilfe angeboten, das ist wahre Festivalsolidarität. Wer spät losfährt, verpasst leider aber dass Line Up vom Donnerstag und muss dem Hörensagen glauben: die Mighty Oaks waren super.
Erste Nacht im Zelt überstanden, startet man Freitag voll ins Wochenende. Sonne satt. Auf der ersten Erkundungstour über das Gelände fällt gleich etwas ganz besonderes ins Auge: hier findet eine Hochzeit statt. Das Appletree Garden strahlt so eine liebevolle Stimmung aus, dass man hier gleich heiraten möchte. Inklusive schöner Hochzeitstafel und noch viel schöneren Braut, die beim Auftritt von Wanda auf dem Rücken ihres Ehemanns „Amore!“ schreit. Da springt das Herz. Ansonsten erlebt man die typische Festivalatmosphäre: kreativ verzierte Zeltlandschaften, Flunky Ball und richtige Toiletten. Dieses Jahr hat es sich das Appletree zur Aufgabe gemacht, dem Dixie den Kampf anzusagen und seinen Besuchern ein bisschen Luxus zurückzugeben. Danke dafür!
Auf dem Gelände startet der Nachmittag mit einer Zaubershow. The Great Joy Leslie begeistert groß und klein und weiß um den richtigen Auftritt. Ganz ohne Kaninchen bringt er das Publikum zum lachen und verleiht der Atmosphäre noch mehr Magie. Da haben es Jesper Munk, Jake Isaac und Oscar and the Wolf nicht schwer, die Besucher abzuholen und zu begeistern. Bei Wanda ist die Stimmung auf dem Siedepunkt. Marco Michael Wanda hat sichtlich Bock, sich anstecken zu lassen, kreist euphorisch die Hüften und trinkt mit allen einen akustischen Schnaps.
Die Security Männer kommen kaum hinterher, die Crowdsurfer aus den Massen zu ziehen, freuen sich aber auf jeden, den sie mit Seifenblasen in die Arme schließen dürfen. Spätestens bei einem choralen „Bologna, meine Stadt“ wissen alle warum sie hier sind: wegen der Liebe. Im Interview verrät uns der Frontmann der österreichischen Band warum er trotzdem glaubt, in Österreich gibt es die besseren Männer. Obacht Jungs!
Nach Wanda wandert die Euphorie zu Aurora auf die Waldbühne. Die zarte Norwegerin ist an Liebenswürdigkeit kaum zu überbieten und nimmt die Bühne völlig ein. Bei „Running with the Wolfes“ holt sie alles aus sich raus und ist am Ende zu Tränen gerührt, so sehr dass sie das Publikum kaum von der Bühne lässt und ihr Bassist ein finales „The Lion sleeps tonight“ anstimmt.
Danach wartet ein unheimlich gut gelaunter Erlend Oye auf der Hauptbühne. Im Gepäck hat er nicht nur die Rainbows, sondern auch ziemlich schönes Merchandise, dass er zuvor eigenhändig verkauft hat. Wem das aufgefallen ist, der konnte ein kurzes Gespräch mit ihm erhaschen, zum Beispiel über seine tolle Brille. Auch er verliebt sich in das Publikum und holt sich einen der zahlreichen Blumenkränze ab, die sich viele im Vorfeld selber gebastelt haben. Ein paar Blumen schaden nie und auf dem Appletree kann man eigentlich nicht Hippie genug sein.
Danach warten die eigentlichen Helden des Festivals: AnnenMayKantereit. Die Jungs sind ein Phänomen, egal wen man fragt, alle finden sie super. Natürlich die Wahnsinnsstimme von Henning May, aber auch die entspannte Lässigkeit und die pure Lust an der Musik, die sie vor sich her tragen. Selbst Wandas Frontmann ist Fan: „Ich wünsche die kriegen noch mehr Erfolg, als sie eh schon haben“: Zurecht.
Das Konzert lässt dann auch keine Wünsche offen, May trifft alle ins Herz und so sitzt am Ende jeder gedanklich Barfuß am Klavier. Pünktlich zum letzten Stück besucht der beste Freund des Appletrees das Gelände: Der Regen, und weil er es hier so gerne mag, bleibt er auch gleich bis Samstagnacht.
Trotzdem lassen sich Coely, AV AV AV und die Vögel den Spaß nicht verderben und beglücken, die die noch ausharren und nicht panisch die Gummistiefel holen.
Der Samstagmorgen beginnt mit einer deftigen Gerüchteküche: Sturmwarnung. Der Regen soll zurück kommen und den Wind im Schlepptau haben, unsicher bauen einige ihre Zelte ab, versuchen zu sichern, was zu sichern ist oder fahren ins Freibad, um die letzten Sonnenstrahlen zu nutzen. Den Besuch im Freibad kann man sowieso jedem empfehlen, hier gibt es die besten Schwimmmeister aller Zeiten, kostenlose warme Duschen und Lautsprecheransagen, die einen vor Lachen aus Versehen Wasser schlucken lassen. „Der schöne Leo wartet am Eingang“.
Währenddessen rückt die Feuerwehr an und begutachtet die Lage. Abbruch ist nicht nötig, wird schon. Pünktlich um 16Uhr beginnt es dann am Himmel dunkler zu werden. Intergalactic Lovers haben bereits abgesagt, aber Die Nerven unterhalten doppelt. Beim Tanzen was das Zeug hält, vergisst man schon mal die sich ausbreitende Nässe. Sizarr machen noch Spaß, Jack Garratt und Darwin Deez ebenfalls, aber bei Benjamin Clementine und Friska Viljör muss man dann doch mal die Zähne zusammenbeißen und sich unterstellen, und das mit gebrochenem Herzen, denn Clementine hat eine Ausstrahlung, die man eigentlich von Nahem betrachten möchte.
Leider wird das immer schwerer, denn jetzt regiert der Matsch. Der Wald ist ein herrlicher Platz für ein Festival, bietet aber auch viel Potential für aufgewühlte Erde. Wer keine Gummistiefel hat, hat wahrlich Pech und bald keine erkennbaren Schuhe mehr an.
Jeder Weg gleicht dem Eisfeld von Tabaluga TV (wer erinnert sich noch?). Frittenbude, der letzte Secret Act, um den es viel Gerede gab, geben ihr Bestes, doch noch zum Ausrasten zu bewegen. Das schaffen sie auch, wie schon Wanda tags zuvor mit Schnaps, diesmal mit Wodka.
Wer es bis zum Ende aushält bekommt einen Auftritt von Tocotronic, die sich wie zu Hause fühlen und Say Yes Dog, ein Berliner Electro-Trio, die vor Glück fast platzen, das doch noch so viele vor der Bühne erschienen sind.
So endet das Appletree Garden Festival 2015 am Sonntag mit der letzten Challenge: Wer schafft es mit dem Auto vom Feld zu kommen, ohne vom Tracker raus gezogen zu werden? Die Quote bleiben wir schuldig, wir haben es geschafft. Glücklich und mit vielen Erinnerungen freuen wir uns aufs nächste Jahr.
„Wenn jemand fragt wofür du stehst, sag für Amore, Amore!“
11. August 2015 um 20:12
[…] Gerade sind Wanda auf Tour, alle Termine findet ihr hier. Erste Eindrück bekommt ihr in unserem Festivalbericht über das Appletree Garden 2015. […]