Frühaufsteher werden am heutigen letzten Tag des Wacken Open Air von der Sonne geweckt. Doch wer sich um 9.30 Uhr in Sicherheit wägt und sich zum Breakfast-Stand oder Farmers Market begibt, hätte besser Handtuch und Seife einpacken sollen. Plötzlich regnet es wie aus Eimern. Der Vormittag startet, wie das Festival begonnen hat. Die gut getrockneten Plätze verwandeln sich in die allseits bekannten Matsche. Große Pfützen laden zum Quietscheenten-Wettrennen ein. Diese sind allerdings so heiß begehrt, dass sie bereits ausverkauft sind.
Zum Mittag kommt die Sonne wieder zurück und als am frühen Nachmittag Ensiferum die Bühne betreten, ist auf den Wegen schon wieder viel Matsch fest getrocknet. Die Viking Metaller eröffnen ihr Set mit dem Song „Rum, Woman, Victory”, der die Menge vor der Bühne direkt in Bewegung setzt und zum Mitgrölen animiert. Die Band hat sichtlich Spaß an ihrem Auftritt. Dies spürt auch das Publikum, so dass die Stimmung weiter ansteigt. Songs wie “One Man Army”, “Lai Lai Hei” und “From Afar“ sind genau das Richtige für das Wacken Publikum und der Melodische Death Metal der Finnen sorgt für den ersten ordentlichen Moshpit des Tages.
Im Anschluss wird die Bühne von Jinjer in Beschlag genommen. Die ukrainische Band ist für viele Besucher einer der Highlights des Festivals. Kein Wunder, denn die Progressive Metaller gehören aktuell zu den innovativsten der Bands der Metalszene. Direkt beim Opener “Perennial” zeigen sie, welche Energie in ihnen steckt. Sängerin Tatiana Shmailyuk beeindruckt nicht nur mit ihrer unglaublichen Bühnenpräsenz, sondern auch mit vielseitigem Gesangsstil. Von melodischem Clean-Gesang bis hin zu brutalen Growls reicht ihr Repertoire. Zu der Situation in ihrem Land, sagt die Band nicht viel, Tatiana Shmailyuk wünscht sich nur Frieden für ihr Land, aber auch für alle anderen Länder. Ansonsten lässt die Band ihre Musik sprechen. Ein genialer Auftritt, der eindrucksvoll zeigt, warum die Band zu den aufstrebenden Stars der Metalszene gehört.
Als Nächstes steht etwas Classic-Rock auf dem Programm. Die Iren von The Answer sind nach sieben langen Jahren Pause wieder zurück und präsentieren ihr siebtes Studio-Album auch in Wacken. Die Band stand schon mit Größen wie Whitesnake oder AC/DC auf der Bühne, diese Zeiten sind allerdings vorbei. Mittlerweile reicht es „nur noch“ für Headbangers-Stage. Es haben sich trotzdem einige Fans eingefunden, die mit der Band tanzen und feiern. Wer auf Bands wie Led Zeppelin, The Who oder The Black Crows steht, hat hier eine Menge Spaß.
Wer es aber etwas härter mag, der geht weiter zur Louder-Stage. Hier heizen die Death Metaller von Kataklysm dem Publikum ein. Die Band ist bekannt für brachialen Sound und ihre donnernden Blastbeats. Die perfekte Mischung zum Headbangen, weswegen man in den ersten Reihen auch ordentlich Haare fliegen sieht. Nur in der Mitte wünscht sich Sänger Maurizio Iacono, am Anfang des Sets, mehr Bewegung. Der Wunsch wird ihm natürlich sofort erfüllt und ein Circle Pit wird gestartet. Mit “Serenity in Fire“ und „Black Sheep“ beendet die Band ihren mehr als starken Auftritt.
Danach geht es weiter zur Headbangers-Stage. Hier kündigt bereits der große Backdrop die Melodic Rocker von Nestor an. Die Band wurde bereits 1989 als Schülerband gegründet und hat sich nach langer Pause im Jahr 2021 neu gegründet. Erst im letzten Jahr brachten sie ihr erstes Album heraus. Dafür ist es aber beachtlich voll vor der Bühne. Der 80er Vibe der Band zusammen mit dem Mitsing Faktor der melodischen Songs kommt extrem gut an. Bei der fröhlichen Stimmung zeigt sich sogar die Sonne noch einmal über dem Festivalgelände.
Während Nestor noch spielt, ist es auf der großen Bühne Zeit für die Mittelalterrocker von Saltatio Mortis. Die Band hat auf Mittelaltermärkten und als Straßenmusiker angefangen und sich von da an bis auf die Großen hochgearbeitet. Die einzigartige Kombination aus modernen Rock-Elementen und mittelalterlicher Musik animiert das Publikum zum Tanzen und Mitsingen. Neben den eigenen Songs spielen sie auch Coverversionen z.B. vom Seemannslied „Drunken Sailor” und dem Electric Callboy Song „Hypa Hypa”. Das Konzert beenden sie mit „Für immer Jung“ und „Spielmannsschwur“.
Die Fans holen sich nach dem Auftritt glücklich und zufrieden das nächste Bier oder gehen zur Wackinger-Stage, wo die Warkings bereits spielen. Die Mitglieder Powermetal Band stellen kostümiert jeweils einen „Warking“ aus einer anderen Epoche dar und besingen deren Schlachten. Da dauert es auch nicht lange, bis sich der erste Moshpit im immer noch tiefen Schlamm vor der Bühne bildet und die erste Crowdsufer über das Publikum fliegen. Die Musik animiert zum Mitgrölen und die Band nimmt sich selbst nicht ganz so ernst, sodass der Auftritt ein großer Spaß für alle Zuschauer ist.
Nach kurzer Verschnaufpause wird es voll vor der Wackinger-Stage, und zwar so richtig voll. Es ist kaum noch Platz und selbst in den größten Matschpfützen stehen die Leute. Der Grund sind die Piraten von Mr. Hurley und die Pulveraffen. Die Band war schon oft auf dem Wacken Open Air und hat in den letzten Jahren viele Fans gewonnen. Diese fordern dann auch lautstark, dass die Band beim nächsten Mal auf der Louder-Stage spielt. Auf jeden Fall muss es beim nächsten Wacken Auftritt eine größere Bühne werden, denn für diese ist es wirklich zu voll. Die Fans lassen sich davon aber nicht weiter stören und feiern mit der Band eine unglaubliche Party, die beim Song „Blau wie das Meer“ ihren absoluten Höhepunkt erreichte.
Wer zu diesem Zeitpunkt an der Wasteland-Stage vorbeikam, konnte unter Umständen seinen Ohren nicht ganz trauen. Denn von dort vernahm den Horror-Punk Sound der Band Blitzkid, die sich eigentlich im Jahr 2012 aufgelöst wurde. Vor ihrer Auflösung gehörten sie zu den führenden und einflussreichsten Bands ihres Genres. Offiziell wurde die Band noch nicht wiedervereinigt, aber dennoch spielen sie auf dem Wacken Open Air. Sänger und Gitarrist TB Monstrosity verbringt das Konzert im Sitzen, aber Bassist Argyle Goolsby kompensiert die fehlende Bewegung, in dem er wie ein Verrückter über die Bühne rennt und springt. Dass es dabei noch dazu kommt, auch den Bass zu spielen, ist fast ein Wunder. Mit dabei sind alle alten Klassiker und alle Horror Punk Fans kommen hier voll auf ihre Kosten.
Wir bleiben dem Punk treu und kehren ein letztes Mal zur Faster-Stage zurück. Hier wechseln wir von Horror- auf Folk-Punk. Denn die Dropkick Murphys betreten die Bühne. Mit Dudelsack und einer Portion unbändiger Energie betreten sie die Bühne, mit „The Boys are back“ und „Blood“ richtig an. Da feiert sogar die Security ausgelassen mit und veranstaltet ihren eigenen Circle-Pit vor dem Publikum. Die Band spielt neben einigen älteren Songs auch Klassiker wie „Johnny, I Hardly Knew Ya” und bei „You’ll Never Walk Alone“ singt gefühlt das ganze Festival mit. Das Set endet mit „Rose Tattoo“ und „I’m shipping up to Boston“.
Ein fantastisches Ende für ein wirklich außergewöhnliches Festival. Dieses besondere Wacken Open Air war so nicht vorhersehbar.
Auf der Abschlusskonferenz entschuldigt sich Veranstalter Thomas Jensen mit den Worten: „Erst mal ein Riesen-Sorry für alle, die jetzt nicht da sind! Wir haben die Türen vor unserer Familie abgeschlossen! Unsere Helden sind die, die nicht gekommen sind.“ Nur so konnte das W:O:A trotzdem stattfinden.
Wacken Fans und Bürger bilden eine starke Gemeinschaft. Sie helfen einander uneigennützig, indem sie Reisende beherbergen, Brötchen schmieren und heiße Getränke entlang der Autobahn verteilen. Bauern aus der Umgebung unterstützen beim Ziehen von Autos auf den Campingground und befestigen die Hauptwege mit Rindenmulch, Kies und Panzerplatten aus der Region und sogar von dänischen Nachbarn.
Holger Hübner berichtet von einem ähnlichen Problem im Jahr 2015, als alle Besucher bereits vor Ort waren. Dieses Jahr ist jedoch anders, da alle erst angereist sind. Obwohl Matsch in Wacken normal ist, war es dieses Jahr besonders schlimm, da zuvor eine lange Dürre herrschte und der Boden das Wasser nicht aufnehmen konnte, was zu einer Übersättigung führte.
Daniel Schlatter, der Veranstaltungsleiter berichtet, dass der Veranstaltungsbeginn sehr schwierig war und die Probleme schon Montag anfingen. 40000 waren schon da und 20000 auf Anreise. 15-120 Liter Regen pro Quadratmeter.
Das Ordnungsamt resümiert, dass alle sehr gefordert wurden und bedankt sich dafür, dass alle Gäste so besonnen reagiert haben.
Volker Böhm, der leitende Rettungsschutz, meldet keine besonderen Vorfälle während des Festivals. Es gab hauptsächlich kleinere Verletzungen wie Prellungen, Insektenstiche und verletzte Füße durch Barfußlaufen. Insgesamt gab es 2.500 Ersthelfer-Einsätze, wobei etwa 120 Verletzte in Krankenhäuser gebracht wurden, aber die meisten konnten bereits zum Festival zurückkehren. Es gab zum Glück keine Ertrinkungsopfer, da die mobile Einsatzflotte mit Quads und einem Strandretter schnell vor Ort war und die Arbeit erleichterte.
Auch bedankt auch Volker Böhm sich bei den Festivalbesuchern, dass sie alle keinen Quatsch gemacht haben. „Gut, dass die Community weiß, wie man sich benimmt!“
Letztendlich durften 61.000 Fans das Wacken Open Air live erleben. Den 21.000, die daheim geblieben oder umkehren mussten, bleibt der Livestream.
Allerdings wurde zum großen Leidwesen vieler Fans der Auftritt von Iron Maiden nicht übertragen. Dies liegt aber nicht an den Veranstaltern, sondern am Management der Band.
Natürlich erhalten alle Fans, die es nicht geschafft haben, ihr Geld schnellstmöglich zurück oder ein Vorzugkaufrecht für 2024. Das nicht verbrauchte „Cashless“ werde rückerstattet.
Thomas Jensen gibt zu bedenken: „Der Ticketpreis ist nicht das, was die Leute schmerzt. Das schmerzt, dass sie nicht hier sein können… Tickets vor einem Jahr gekauft. Im schlimmsten Fall noch hierhergefahren… Wir können nicht alles zubetonieren. Wir haben keinen Flugplatz… Wacken ist das härteste Metal-Festival!“
Am Ende gibt es abermals ein dickes Lob an alle Helfe und Treckerfahrer, ohne die das Festival wirklich in Wasser gefallen wäre.
Fazit für Wacken Fans: „Der heilige Boden ist wie Walhalla. Jeder möchte hin!“
See you in WACKEN 2024 vom 31.07.-03.08.2024.
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