Haldern Pop 2017: The Good, The Bad And The Funky

News am 15. August 2017 von awi

Mit der 34. Ausgabe des Haldern Pop Festivals gehört das Haldern zu den ältesten Festivals Deutschland – ursprünglich von 14 Messdienern begonnen, ist das Haldern ein beschaulich kleines Festival mit „nur“ 7000 verkauften Karten aber mit einer Reputation, die deutlich größer ist als das Festival selbst.

Das Booking vom Haldern Pop wird regelmäßig zurecht gelobt und hat einen feinen Riecher für hoffnungsvolle, frische Gesichter im Musik-Zirkus, trägt aber auch Bands zurück ins Haldern Dorf, die das Festival schätzen gelernt haben. So waren mit Bilderbuch, AnnenMayKantereit, Kate Tempest und Bear’s Den zum Beispiel Acts auf dem Festival, die vor zwei Jahren bereits da waren. AnnenMayKantereit erzählen, wie sie vor 4 Jahren spontan zum Haldern Pop gefahren sind und gehofft haben, dass eine Band ausfällt, Bear’s Den beschreiben das Haldern als besonderes Festival, und Bilderbuchs Maurice erinnert sich an den Auftritt auf der Biergartenstage vor zwei Jahren – in dem Jahr, in dem sie durchstarteten und sich eine schlechte Kritik von Linus Volkmann einhandelten, was meist ein guter Indikator dafür ist, dass der große Erfolg kurz bevor steht.

So kommt es, dass sich nahezu alle Künstler dafür bedanken, auf diesem Festival spielen zu können, ein von der breiten positiven Resonanz in der „Church“ Stage überraschter Charlie Cunningham lässt verlauten, dass er „immer schon“ dieses Festival spielen wollte, ein Lob, dem sich viele Künstler*innen anschließen.

THE GOOD

  • Bilderbuch unterstreichen mit ihrem letzten Festivalkonzert des aktuellen „Magic Life“ Albums ihren Anspruch auf Headliner-Posten. Eine grandios abstimmte Light-Show, ein Bühnenbild aus über 1000 einzelnen Sneakern, nur Maurice muss ab und zu noch ein bisschen beim mitsingen nachhelfen. Dass der Alters-Durchschnitt beim Haldern höher ist, wirkt sich ein wenig auf die Animationsversuche aus. Die ehemaligen Messdiener von vor 30 Jahren sind halt keine Twenty-Somethings mehr und auf dem Hurricane wird mehr mitgefeiert als beim Haldern.
  • Shame reißt im Spiegeltent parallel zum Clueso-Slot das Spiegeltent ab und stagedivet, wie es das Haldern dann doch selten sieht. Diesen Post-Punk kann man sich mal merken.
  • Die Höchste Eisenbahn füllt das Spiegeltent bis zum letzten Platz und zeigt, dass der Hype der Musikpresse um sie definitiv berechtigt ist. Die Berliner, die auf Platte zuweilen etwas (zu) harmlos klingen, können im gefälligen Spiegeltent zeigen, dass die Songs sich live super entfalten.
  • Käpt’n Peng – ebenfalls ein Haldern-Wiederholungstäter – hat es aus dem Spiegeltent auf die Headliner-Position der Mainstage geschafft und überzeugt auch auf dem Slot. Bei dem Meisterwerk „Das Anfang ist nah“ gesellt sich der omnipräsente Chor „Cantus Domus“ mit auf die Bühne und lässt den Song noch besser auf ein großes Crescendo zulaufen.
  • The James Hunter Six macht einfach echt guten Rock’n’Roll.

 

Kate Tempest, du Sturm von einer Künstlerin. Kate verdient mehr als nur einen kurzen Spiegelpunkt, und es ist kein Wunder, dass das Haldern sich die Londonerin gemerkt hat, die vor zwei Jahren noch vor ihrem fulminanten, Mercury-Award-nominierten Konzeptalbum „Let Them Eat Chaos“ auf dem Haldern Pop schon Funken sprühte.

Kate Tempest hat einen Text-Output, der unglaublich ist. Neben ihrem Album, dass die Existenzängsten und Isolation von 7 Londoner*innen nachts um 4:18 beeindruckend nachzeichnet, veröffentlichte sie letztes Jahr mit „The Bricks That Built That Houses“ einen Roman, mit „Hold Your Own“ einen Gedichtband UND schreibt Theaterstücke, zum Beispiel das vor 3 Jahren erschienene „Helplessly Devoted“. Ihr Rap ist präzise, technisch brillant, sie nutzt alle Möglichkeiten, die die englische Sprache bereit hält, inklusive unterschiedlicher Dialekt-Verwirklichungen, wie zum Beispiel die unterschiedlichen Manifestationen des derben Arbeiter-Akzent Cockney, das sie bewusst einsetzt, aber auch zurückstellen kann, wenn es der Text fordert.

Es scheint, als würde sie mit der Sprache so mühelos Formen kreieren wie andere töpfern. Wo der ebenfalls sprachlich herausragende Käpt’n Peng seine Texte mit gewitzter, aber manchmal zu ulkiger WG-vulgär-Philosophie und einem seltsamen Spiritualismus mit der Liebe zu der Zahl Pi als Schöpfer der Menschheit würzt, steht bei Kate knallharte und schonungslose Sozialkritik. Ihr Song „Perfect Coffee“ ist ein in Worte gegossener Kriegszug gegen den absurden Wohnungsmarkt in London, ihr bekanntester Song des Albums, „Europe is lost“ ein bitter-düsterer Song gegen britische Eliten, gesellschaftliches Wegschauen und nationale Isolation. Immer, wenn Kate die erbarmungsloseste Kritik auf ihrem Album ihrem Publikum fast schon vorwurfsvoll vor die Füße schmeißt, steigt die Band aus und lässt Kate in ihrer ganzen Wucht A Capella weiterrappen. In der Mitte von „Europe Is Lost“ und „Don’t Fall In“, bei denen die dreiköpfige Band an ihren elektronischen Bedienelementen eine Pause einlegt, könnte man fast meinen, Kate Tempest schießt gleich Laserstrahlen aus ihren wütenden Augen. Jedes „fucking“ oder „Bullshit!“, das Kate Tempest bedächtig setzt, um die Wirkung zu erhalten, geht ins Mark und lässt Aggro-Rapper wie Haftbefehl wie einen ungeschickten Zauberer mit billigen Taschenspieler-Tricks wirken. Leider hat das auch zur Folge, dass die eigentlich bedächtigen Momente des Auftrittes, z.B. „Pictures On A Screen“ von Kate viel zu viel Power kriegen und die sensiblen Rollen etwas verloren gehen. Kein Wunder, wenn Kate so wirkt, als hätte ihr jemand kurz vor dem Auftritt eine Adrenalin-Spritze mitten ins Herz gerammt.

Das absurde ist, dass Kate mit ihrer Rollenprosa über die verschiedenen, durchs Großstadtleben isolierten Charaktere des Albums, das sie beim Haldern einmal komplett durchspielt, eine Authentizität erreicht, die andere Künstler*innen auch nicht mit Geschichten aus ihrem eigenen Leben erreichen. In die Probleme von Pete, der viel zu betrunken nach Hause kommt, um noch den richtigen Schlüssel zu finden, nachdem er sein gesamtes Gehalt versoffen hat, kann man sich dadurch besser hineinversetzen als in viele andere Storys, die an dem Wochenende auf der Bühne besungen werden.

Das Set endet mit „Tunnel Vision“, einer Predigt von einem Song, der die ganze Misere des Albums aus Isolation, Abgrenzung, Anonymisierung der Großstadt, Post-Traumatische Belastungsstörungen und Albtraum-geplagte Flashbacks zu einer simplen Botschaft vereint: Wake Up and Love More. Nach dem Song möchte man sich gerne schütteln und fühlt sich ein bisschen wie nach einer rituellen Reinigung. Einziger Wehmutstropfen: Ihre Band um den Drummer Kwake Bass war schon mal tighter. Auf „Tunnel Visions“ verhaut der Keyboarder scheinbar ein paar Lines, die Band wirkt ab und an nicht so abgestimmt wie bei anderen Auftritten von Kate Tempest üblich. Und – leider, leider: Kate kann live einfach nicht singen. Aber for fuck’s sake, kann sie rappen.

 

THE BAD

  • Liebe Jungs von AnnenMayKantereit: Das Cover von „Valerie“ hättet ihr definitiv noch mal üben sollen, das war nichts. Das Cover „Du hast den Farbfilm vergessen“, das ihr zusammen mit Die Höchste Eisenbahn gesungen habt, hat’s aber wieder gut gemacht ;)
  • Get Well Soon: Ihr habt euren Tontechniker auf einem Rastplatz vergessen! Schämt euch! Der Arme Kerl!
  • Lieber Sänger von Messer: Liam Gallagher sah schon irgendwie stilvoller in dem Outfit aus. Und hat bessere Musik gemacht.
  • Voodoo Jürgens: Ein Hype, den ich nicht verstehe. Schon bei Jan Böhmermann wirkte der Österreicher eher wie jemand, der einem Kind „mal einen echten Bären“ zeigen möchte, singt so tonal treffsicher, als hätte er gerade alle Jungs plus Crew von Wanda unter den Tisch gesoffen – nämlich gar nicht. Wenn er über eine zugegeben ziemlich gute Backgroundmusik seiner Band mit einer penetranten Stimme in einem „Schmäh“ drüber holpert, kann ich mir nicht vorstellen, dass man sich das woanders anhören möchte, als in einer österreichischen Kneipe, nachts um 4, wenn man besoffen selbst schon nicht mehr deutlicher reden kann als Voodoo Jürgens. Wo bei Bilderbuch der österreichische Akzent noch witzig ist und mit einer gewissen Sexyness spielt, ist Voodoo Jürgens einfach nur nervtötend. Manchmal, nur manchmal ist es auch einfach nur völlig absurd, was die Musikpresse feiert – gerade wenn es einfach nur ein schlechter Volksmusiker ist, der einem als hipp verkauft werden soll.
  • Haldern Pop: Das System mit der eigenen Währung, Poptaler und so, ist nervig. Und dafür, dass das Festival „true“ sein soll, gleiten Maßnahmen wie Verbot von jeglichen Getränke-Kartons im Infield schon sehr offensichtlich in kommerzielle Ausflüchte ab. Erlaubt den Leuten doch einfach simple Getränkekartons, die sie sich auffüllen können. Das schaffen andere Festivals doch auch.

 

THE FUNKY

BadBadNotGood stechen auf dem Festival hervor. Die jungen Kanadier sind einfach so virtuos, dass eine Platzierung nach den zwar sehr eingängigen, aber manchmal etwas simplen AnnenMayKantereit schon fast höhnisch wirkt. Mit ihrem instrumentalen Kondensat aus Jazz & Hiphop überzeugt BadBadNotGood trotz der gelichteten Reihen mit großartiger Musik und Humor: Der Schlagzeuger und Saxophonist laufen bei einem Solo des Pianisten auf der Bühne herum und wedeln mit den Armen, als würden sie in einem Seminar Menschen vermitteln wollen, wie es sich anfühlt, ein Baum zu sein. Am Ende „flowt“ das ganze Publikum mit ihren Armen, lässt sich sogar vom Schlagzeuger zu einem „Alle setzen sich hin und springen hoch“ verführen.

 

Fazit

Haldern bleibt dabei, ein sehr vielseitiges und gutes Line-Up aufzustellen und einen Charme auszustrahlen, das sowohl Besucher*innen als auch Künstler*innen immer wieder zurück in das kleine Dörfchen am Niederrhein zu locken. Nicht zuletzt auch dank der großartigen Locations mit einer Bühne in der Kirche, in dem heimeligen Spiegeltent, aber auch in der sehr dicht gedrängten Haldern Pop Bar schafft das Festival, eine Individualität auszustrahlen, das andere Festivals nicht schaffen. Weiter so!


 

Ein Kommentar zu “Haldern Pop 2017: The Good, The Bad And The Funky”

  1. Nummer 1: Vorverkauf fürs Haldern Pop 2018 startet am Wochenende sagt:

    […] und trotz aller Beliebtheit das Festival nicht vergrößern möchte. Hier könnt ihr unseren Bericht vom Haldern Pop 2017 nachlesen… Bilder sind natürlich auch mit […]

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