Zwischen Workshop mit Mausestimmen und explosivem koreanischen Prog-Rock – Festivalhopperin Stefanie berichtet vom Rudolstadt Festival.
Adäquat vom Vorabend auf Festival eingestellt („Heute geh ich bloß zu den wichtigen Sachen und lass mich ansonsten treiben“ (haha)) ging der Freitag für mich dennoch ungewöhnlich los:
Als ich Tage zuvor einen ersten, ernsthaften Blick ins Programm warf, war mir ein Workshop sofort ins Auge gefallen, der mit folgender Beschreibung warb:
„Weltmusik
Grenzenlos singen mit Bettina Stäbert und Nadja Dehn von Aquabella (…)
Die TeilnehmerInnen lernen verschiedene Vokaltechniken kennen, wie z.B. den typischen Sound bulgarischer Frauenchöre, die Klicklaute der Xhosa
oder Jodeln, das nicht nur in Europa vorkommt.“
Nachdem ich mich also informiert hatte, was man denn nun unter dem Klickgesang der Xhosa zu verstehen hat, war ich furchtbar neugierig auf die Veranstaltung und wollte unbedingt mitmachen! Dass ich keine nennenswerte gesangliche Bildung habe ignorierte ich an dieser Stelle geflissentlich und hoffte einfach auf das Beste…
Der Kurs fand am frühen Nachmittag statt und hatte so großen Anklang, dass schon bald die maximale Teilnehmerzahl im Alten Rathaus erreicht war und sich alle neugierig wartend in den warmen Raum drängten.
Barfuß auf den Tischen stehend werden wir von den beiden Kursleiterinnen Bettina und Nadja begrüßt; die Texte die wir bald singen sollen, hängen an einem Whiteboard daneben.
Von der ersten Minute an wird man von der ungekünstelten, charmanten Art und der Fröhlichkeit, mit der die beiden die ersten Grundlagen vermitteln, mitgerissen. Ein Gefühl von Peinlichkeit oder Exponiertheit kommt nie auf – von Beginn an ist man eine Gruppe, die jetzt gemeinsam ein afrikanisches Lied aus einem schwedischen Kinderbuch lernt, sich mit preußischer Präzision an 7/8 Takten versucht (Anm.: wir singen einfach schneller, dann isses wieder ein 4/4) oder den Ernst der Lage komplett in den Wind schlägt und versucht, eine Mausstimme zu imitieren, um sich langsam dem Kehlkopfgesang anzunähren.
Was man eben so in 90 Minuten schafft.
Das Ergebnis hat mich persönlich ungemein beeindruckt – Wer sich noch an den leidlich beliebten Schul-Musikunterricht zurück erinnert, dem wird auch noch im Sinn sein, wie lange da mitunter an Lieder geübt wurde und am Ende war es doch … nunja. nicht ganz schön.
Hier hatten wir einen Raum von 50 Leuten, die zu Beginn (vermutlich) weder die Texte noch die Melodien kannten, und die am Ende mehrstimmig oder im Kanon verschiedene Lieder sangen.
(z.B. Katherina Mome (bulgarisches Volkslied), Loy Yisa Goy (Hebräisches Lied), Osi boku (afrikan. Kinderlied))
„Loy Yisa Goy“
Die Gruppe versucht sich an „Katerino Mome“ …
… und so klingt es dann, wenn die, die es können, singen. (ja, es ist das gleiche Lied)
Das gemeinsame Singen ist etwas, das man eventuell noch vom Lagerfeuer und Vereinsfahrten kennt, aber in dieser Gruppengröße und dem für westeuropäisch fremd klingenden bulgarischen Gesängen war das dann doch eine andere Erfahrung, die einerseits Gänsehaut und andererseits sehr viel Lust auf mehr macht.
Im Anschluss daran hatte ich das Glück, in der Kirche noch ein Stück des Germán López Konzerts mitzubekommen. German Lopez wurde für sein Spiel auf der Timple berühmt, eine der vielen Sorten kleiner Gitarren, die aus dem Raum der kanarischen Inseln stammt, wo sie bis vor kurzem nur ein Begleitinstrument war.
Seine Musik wird beherrscht von typisch südlichen Klängen, die je nach Lied zwischen unbeschwert-fröhlichem „Geschredder“ und langsamen, sanften Baladen wechseln. Auch Lopez und seinem Gitarristen Antonio Toledo merkt man den Spaß an der Sache an – sie spielen sich immer wieder gegenseitig die Hauptmelodien zu und werden dafür vom Publikum auch mit lautstarken Wünschen nach Zugaben belohnt.
Auf dem Weg zurück Richtung Heinepark, wo ich den Rest des Abends verbringen wollte, empfohlen mir Freund, noch im Handwerkerhof bei Profundkontra vorbei zu gehen und es war tatsächlich sehr schön.
Sie selbst bezeichnen sich als classic crossover/acoustic freestyle mit Viola und Kontragitarre und nehmen sich auch während des Auftrittes nicht so ernst, wo letztlich das Mikro an der Viola für die Ansagen herhalten muss.
Entsprechend der Musikinstrumente kann man sich leichtfüßige Klänge vorstellen, die sich mit starken Rhytmen abwechseln – und die gibt es auch. Überraschend dabei ist allerdings, welche Vielfalt Martina Engel und Emmerich Haimer den Instrumenten entlocken.
Ganz entspannt ging es dann weiter in den Park, wo ich mir EmBRUN im Tanzzelt ansehen wollte. Es ist üblich, dass im Tanzzelt untertags Tänze gelernt werden, die in den Abenden dann Anwendung finden und für gewöhnlich ist das auch nötig und spannend – hier wurde allerdings für meine Vorstellung etwas viel Wert auf die Grundlagen gelegt, da in den 20 Minuten, die ich dort war nur eine einfache Drehung mit/um den Partner diskutiert wurde und die Band mehr nach Dekoration aussah. (Abends soll es aber besser gewesen sein!)
Nungut – schade, aber es war also genügend Zeit, sich in aller Ruhe auf die Suche nach Kaffee, den Mitfestivalgängern und einem schönen Platz für das nächste Konzert zu begeben.
Die nächste Band, auf die nicht nur ich (s. Telikos Bericht: Rudolstadt Festival 2016 – Der Freitag) voller Spannung wartete, war Jambinai.
Die koreanische Prog-Rock Band startete in das Konzert mit ein, zwei Minuten Lärm, wohl einfach, um dem Publikum klar zu machen, dass hier keine weichgepülten Chansons zu erwarten sind.
Ein Freund von mir fasste die Eröffnung ganz passend mit den Worten zusammen „Wie koreanische Filme – brutal und kurios.“
Und das sind durchaus Begriffe, die passen. Explosiv, brutal, kreischend und im nächsten Moment wasserartig-fließend, betont, präzise, vorsichtig. Wenn diese Töne und Empfindungen aus ein und denselben Instrumenten hervorgebracht werden und in der Gruppe funktionieren (und mitunter harmonieren), dann weiß man, dass die Musiker ihre Instrumente beherrschen und wartet fasziniert die nächsten Entwicklungen ab.
So kam es, dass nach diesem schrägen Start in das Konzert die Festival-Moderatorin der Konzerte am Ende den undankbarsten Job von allen hatte, denn sie musste erklären, dass es aufgrund des Zeitplans und entgegen des anhaltenden Applauses und den Wünschen nach Zugaben nun gerade die nicht geben würde.
Man konnte sich jedoch erfreulicherweise am Merchandise-Stand mit den Alben der Band trösten und nun zu Hause weiter Jambinai hören.
Eigentlich wollte ich dann auch „bloß mal kurz“ ins Tanzzelt schauen und mir ansehen, was das Patrick Bouffard Trio & Violaine aus Frankreich so macht und prompt war man mittendrin und tanzte Tänze, deren Namen ich noch immer nicht weiß (aber einer enthielt sehr viel Richtungswechsel und hüpfen und der anderen einen furchtbar wichtig klingenden Schritt namens Butterfly…). Die Menschen hatten also Spaß!
Wie immer im Festzelt gilt – wenn du es nicht kannst, macht das nichts, wirf dich in die Menge, es sind so viele dabei, die die Tänze kennen, dass du entweder stetig eine/n fähige/n Tanzpartner/in hast oder es selbst schnell lernst oder improvisierst. Hauptsache gemeinsam Spaß haben!
So kam es, dass ich beinahe vergessen hätte, rechtzeitig den Rückweg auf die Burg anzutreten, wo zum Abend dann Lena Willemark aus Schweden mit den Thüringer Symphonikern vor der historischen Kulisse der Heidecksburg auftreten würde.
Lena Willemark als eine der bekanntesten, schwedischen Folksängerinnen ließ für sich genommen bereits Großes erwarten, durch die Unterstützung der Symphoniker wurde es jedoch zu einem Auftritt, den man sich nicht entgehen lassen konnte. Und die Erwartungen wurden erfüllt!
Photo Credit: Thomas „Teliko“ Helbig
In der Setlist gab es Walzer (von Ole Müller), Polkas, Balladen aus dem Mittelalter und ganz groß angelegte Liebeslieder, deren Kommentierung durch Lena Willemark einfach das gewisse Etwas hatte, das es schwer macht, diese Konzert-Momente zu vergessen („love can be hard …. and love can be fantastic.“).
Auch hier fand sich das Motiv des Rudolstadt-Festivals wieder, das es sich zum Ziel setzt, die Grenzen zu überschreiten und sie kleiner machen soll, als Lena Willemark eines der Lieder mit den Worten „Folkmusic knows no borders – it gives us power in our own world“ all denen widmete, die auf der Flucht sind und ein Stück Heimat mit sich tragen. Ein schöner und großer Abschluss für einen gelungenen Festivaltag.
Hier der Überblick über unseren bisherigen Berichte vom Rudolstadt Festival 2016:
- Rudolstadt Festival 2016 – Der Donnerstag
- Rudolstadt-Festival – die Pogobumprootsfolkworldmusicfunkparty (Donnerstag)
- Rudolstadt Festival 2016 – Der Freitag
- Rudolstadt-Festival 2016 – Zwischen Workshop mit Mausestimmen und explosivem koreanischen Prog-Rock (Freitag)
- Rudolstadt-Festival 2016 – Der Samstag
- Rudolstadt-Festival 2016 – Der Sonntag
- Rudolstadt Festival präsentiert “ARCHE NOAH reloaded”
- Rudolstadt Festival in Bild und Ton 2016
Das Rudolstadt Festival 2017 wird vom 06.-09. Juli 2017 stattfinden.
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