Mit dem Sonntag kam wieder viel Sonne und noch mehr Staub. Wer kein eingeschworener Fan war, genoss die Bands am Mittag des Lollapaloozas lieber außerhalb der Sonne, vor der Mainstage 1 im Schatten des großen Kunstkubus.
Die Festivalhopper Aaron und Antonia berichten – hier geht es zu Teil eins des Lolla Rückblicks: „Lollapalooza 2016: Musik-Giganten beim hippen Hauptstadtfestival„.
Die mangelnden Wasserstellen wurden dadurch kompensiert, dass Flaschen aus Bauchläden verkauft wurden. Eine wirkliche Lösung war das nicht. Die Schlangen bei Viva Con Agua und bei der Wasserstelle im Grünen Kiez blieben trotzdem lang. Das Lollapalooza hätte bei den Wettervorhersagen, wie beispielsweise das Juicy Beats und Dockville kostenloses Wasser oder Trinkstellen zur Verfügung stellen können bzw. sollen.
Aurora eröffnete die Mainstage 1, spielte souverän und mutete wie eine tanzende Elfe an. Das Liveauftreten stimmte zur Musik. Nichtdestotrotz verlor sich der Auftritt der norwegischen Newcomerin in nicht wirklich eingängigen sphärischen Klängen. Das lag jedoch weniger an ihren Livequalitäten, als an ihrem unaufgeregten Debütalbum. Bei „Running with the wolves“ erhoben sich noch einige aus dem Schatten, tanzten und wippten ein wenig und kamen so auf ihre Kosten.
Nicht ganz pünktlich aber adrett, quasi wie die „Gigolos“, die „Enfants Terribles der New Schickeria“ traten Bilderbuch auf die Bühne. Sänger Maurice ließ seinen Charme von Anfang an spielen, wirklich nötig war das allerdings nicht. Schon bei „Rosen zum Plafond“ wurde er von Fans aus der ersten Reihe zwar nicht mit Küssen, dafür umso mehr mit besagten Blumen bedeckt – was tatsächlich mal dazu führte, dass er die Coolness verlor und überrascht fragte, wo die alle herkämen. Und ja, auch das Hauptstadt-Publikum gab es zu, sie sind hinter seinem Hintern her und schwingen für ihn bereitwillig die Hüften. Dabei wirkte sich der Nachmittagsslot nicht negativ auf die Stimmung aus: Bilderbuch haben in diesem Festivalsommer gezeigt, dass sie in der Nacht, wie unter anderem auf dem Appletree oder Dockville und am Tag überzeugen. Was wenn nicht „Softdrink“ oder „Plansch“ können wenigstens musikalisch die Sehnsüchte derjenigen erfüllen, die bei 30° Celsius tanzend Staub aufwirbeln und sich nicht irgendwo in Wassernähe abkühlen?
Years & Years waren mit ihrem beschwingten Pop gut platziert nach Bilderbuch. In jedem Fall kamen die Fans aus der ersten Reihe auf ihre Kosten. Die große Fangemeinde aus der LGBTQ-Szene war vom ersten Moment verzaubert von der Band und besonders von Sänger Olly Alexander.
Nur wenige ließen sich Milky Chance entgehen. Mit „Down by the River“, „Sadnecessary“ und „Fairytale“ verbreiteten sich die Vibes der Kasseler Band schnell im Publikum. Im Laufe des Konzerts ließ Sänger und Gitarrist Clemens Rehbein gewohnt nuschelnd und sympathisch einige dankende Worte fallen und kündigte an, dass sie momentan an einer neuen Platte arbeiten. Die neuen Songs, wie „Blossom“, die der Ankündigung folgten, kamen nicht nur beim Lollapalooza-Publikum gut an, sondern lassen auch die Vorfreude der Fans auf das Album steigen.
James Blake hatte indes wieder ein schweres Los, vielleicht hätte ihm ein Platz als Headliner auf der Alternative Stage besser gestanden, statt eines Slots zwischen Milky Chance und Major Lazer. Das Publikum zeigte bei James Blake wieder einmal, dass es Desinteresse mit Reden kompensieren muss. Nicht jeder findet direkt einen Zugang zu James Blake Musik, noch weniger bei einem Publikum, dass eigentlich zwischen beschwingtem Indie-Rock à la Milky Chance und Abriss-Party bei Major Lazer sich den namentlich bekannten Pianisten quasi als „Verschnaufpause“ anhört. Blake schien wiederum sehr gut gelaunt, das war auch schon mal anders und freute sich auf Radiohead und darüber, den wohl krassesten, aber auch best-pointiertesten Bass des Festivals zu haben (Sehr beeindruckend u.a. bei „Timeless!“).
Das DJ-Kollektiv Major Lazer war in gewisser Weise die pure Anti-These zu James Blake und war in der Platzierung nicht ganz stimmig, aber größentechnisch notwendig: In der bereits angesprochenen Amerikanisierung des Festivals zeigte das Lollapalooza mit Major Lazor einen weiteren Act, der über dem Teich einflussreicher ist als hierzulande. Mit „Lean On“ schoss Major Lazer in Streaming Sphären, die noch kein Act bei Spotify erreicht hatte. Diplo schaffte es mit diversen Features mit Justin Bieber den verschrienen Jungen aus Kanada doch irgendwie cool wirken zu lassen und hat nebenbei eine beeindruckende Liste von Feature-Gästen. Mit dieser EDM-nahen, Amerikanischen Attitüde passten Major Lazer wie kaum ein anderer Act auf das Festival, Walshy Fire erklärte mehrfach das Lolla zum besten Festival Europas, hatte aber dennoch keinen der berühmten Gäste mitgebracht – in Europa ist Major Lazer einfach noch nicht so gigantisch groß, spielte gar vor zwei Jahren noch auf einer kurzen „Free Europe“ Tour im schnuckeligen Club Bahnhof Ehrenfeld in Köln. Gerade noch beim Burning Man gewesen, lieferten sie in Berlin ordentlich ab: Ihr anderthalbstündiges, eklektisches Mindfuck-Gewitter bestand aus Nebel- & Feuerwerfern, Tänzerinnen, konsum-paradiesischen Mengen an Goodies wie Handtücher mit Major Lazer Logo, Crowdsurfing-Aktionen, Co²-Pistolen und jeder Menge durchmischten Party-Songs bei Strobo-LED Leinwand. Nicht nur ihre eigenen Mixes drehten Major Lazer durch den Mischpult-Wolf, auch aktuelle Hits wie Drakes „One Dance“, Rihannas „Work“ oder Macklemores „Can’t Hold Us“ brachten eine grundlegende Tanz-Laune des Publikums wie bei nur wenigen anderen Acts.
Mit einem festivaluntypisch-langen Slot von fast zweieinhalb Stunden schloss Radiohead exklusiv beim Lollapalooza in Berlin das Festival. Auf den Tag genau 15 Jahre nach ihrem Auftritt in Berlin am 11. September 2001 schien es zunächst so, als würde Radiohead der Vergangenheit komplett abschwören (nur mit einer Ansage, die Thom Yorke identisch so vor 15 Jahren machte, war eine Verbindung herzustellen, Anm.d.Red.) und begann in chronologischer Reihenfolge mit „Burn The Witch“ das Album „A Moon Shaped Pool“ zu spielen. Manch einer im Publikum glaubte schon, dass eine komplette Live-Darbietung des Albums folgen würde, das derzeit mit der totalen Negierung einer Werbekampagne in Form der Löschung sämtlicher Social-Media-Spuren innovative Wege auch außerhalb der Musik aufzeigte. Doch ähnlich wie der Headliner am Tag zuvor zeigten sich Thom Yorke und seine Bandkollegen aufschlüssig und spielten Liebhaber-Stücke der „OK Computer“ Zeit wie das live eindrucksvolle „Paranoid Android“, drückten massiven Bass bei dem „Kid A“ Track „Everything In It’s Right Place“ (James Blake blieb vermutlich ehrfürchtig der Mund offen stehen) und spielten tatsächlich – Creep. Nach jahrelanger Weigerung wirkte Thom Yorke fast schon ironisch komisch, als er ankündigte „I know it. Yo know it. They know it“ und Ed O’Brien halb in den Arm nahm. Jonny Greenwoods schneidende Gitarrenmutes sind zwar massiv zu laut (und das will was heißen für den Song!), aber der Sound ist auch bei dem Headliner des Sonntags faszinierend klar. Doch bei Radiohead ist es in weiten Teilen des Publikums bedächtig, bewundernd, erwartend leise, erst weiter hinten wundern sich Besucher*innen lauter über Thom Yorke’s gummihaften Bewegungen, die zuweilen an eine der Aufblas-Werbeträger-Figuren vor Autohäusern erinnert. Zum Schluss lässt er dann bei „Karma Police“ den Chorus noch vom Publikum singen und schließt mit dieser wahrlich beeindruckenden Chorleistung des Berliner Publikums das Festival.
Was bleibt, ist ein gespaltener Eindruck. Das Lollapalooza legt einen deutlich anderen Stil an den Tag als andere etablierte Festivals in der europäischen Musikszene, mit Hipster & Goth-Steampunk-Artwork, einer interessanten Mischung an Acts, die neben internationalem Publikum auch viel Publikum anzog, das mehr Wert auf den perfekten Instagram-Post legt als auf die tatsächliche Musik. Nächstes Jahr soll das Festival wieder in Berlin stattfinden. Wo, ist nicht sicher – sicher ist nur: Nicht im Treptower Park.
Hier geht es zu Teil eins des Lolla Rückblicks: „Lollapalooza 2016: Musik-Giganten beim hippen Hauptstadtfestival„.
Auch zur Berlin-Premiere 2015 besuchten wir das Lollapalooza Festival, hier gibt es „Bilder vom Lollapalooza Festival 2015 in Berlin“ und hier „10 Gründe, warum Berlin das Lollapalooza 2015 brauchte„, sowie „12,5 Auftritte, die wir beim Lollapalooza Berlin gesehen haben„.
Das Lollapalooza Berlin 2017 wird am 09. und 10. September stattfinden.
20. September 2016 um 18:35
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24. Juli 2019 um 14:50
[…] macht neue Probleme. Bei der ersten Ausgabe 2015 gab es lange Schlangen vor den Dixies, der Treptower Park hielt 2016 wütende Anwohner*innen und anstrengenden Mehraufwand für die Grünanlagen bereit. Das […]