Wieder einmal trafen sich im schönen Beverungen im Länderdreieck NRW, Niedersachsen und Hessen geschätzt 2000 Festivalbesucher, um Pfingsten gemeinsam beim mittlerweile 20. Orange Blossom Special zu verbringen.
Das OBS legte dieses Jahr mit einer Rekordzeit bis zum Kartenausverkauf vor – ganze zwei Stunden – und setzte somit die Erwartungen sehr hoch.
Normalerweise würde man jetzt Dinge schreiben wie: 1996 – 2016: 20 Jahre OBS, das diesjährige Festival stand ganz im Zeichen des 20-jährigen Jubiläums. Aber wer fängt schon zu seinem zwanzigsten, dreißigsten oder gar vierzigsten Geburtstag nur wegen einer runden Nummer ein neues Leben an? Genau…
Ganz in diesem Sinne war das OBS20 ein OBS wie jedes andere. Vertraut, aber trotzdem wieder ganz besonders.
Wir haben bereits letztes Jahr (Festivalbericht Orange Blossom Special 19) versucht, die Besonderheiten dieses „besten kleinstes Open Air der Welt“ herauszuarbeiten. Da der Mensch aber nur durch Wiederholung lernt, hier nochmal die wichtigsten Punkte:
- ein fein ausgesuchtes Line-Up mit Nähe zu Glitterhouse Records ohne Bemühungen, sich durch Rammstein als Headliner zu verschulden
- die buchstäblich familiäre Atmosphäre: „der hat doch letztes Jahr schon neben meinem Zelt geschnarcht?!“
- ein offenes Camping-Areal direkt zwischen Weser und Weserradweg, ohne Angst, sein Nutella-*Glas* zu verlieren.
- keine Assis. Also kaum.
Kurzum: Festival ohne Festival-Stress, eher ein entspannter Campingurlaub mit einer Überdosis an Konzerten.
Etwas beängstigt von der Wettervorhersage wurde alles Mögliche eingepackt, um den großen Regenstürmen zu trotzen. Ein weiteres Indiz, dass ein Besuch beim Orange Blossom Special sehr zur Entschleunigung beiträgt, war die komplette Ignoranz des Wetterberichts. Keine Windstärke Acht, keine Gewitter, kein Bodenfrost. Die ein oder andere Husche, ja. Die Festigkeit von Pavillons, Zelten und natürlich auch der Bühne wurde nur im vernünftigen Rahmen gefordert, das Wetter meinte es gut mit uns.
Doch nun zur musikalischen Seite: Die wenigsten werden behaupten können, einen Großteil des Line-Ups im Vorfeld zu kennen. Ein Markenzeichen des OBS ist es aber, dass es lohnend ist, sich auf die, einem unbekannten, Bands einzulassen. So startete der Freitag mit der dänischen Band Heimatt, mit Ihnen der erste Mitsing-Song Pretentious, welcher bereits von der Vorab-Compilation im Ohr hing. Mit den Shook Twins folgte Folk (haha); genauer: Indie-Folk-Pop. Im Anschluss spielten The Buttshakers aus Frankreich auf, mit viel Soul and Rhythm, insbesondere dank der extrem charismatischen Sängerin Ciara Thompson. Ihre Aufforderung zum Tanzen wurde natürlich auch direkt umgesetzt. Im Sonnenschein wurde geschüttelt was es zum schütteln gab, „shake ya booty“ in Reinform.
Trümmer hatten „den Swag im Blut“ und umsäuselten den Zuschauer mit ihren denglischen Texten. Musikalisch auf den Zug des deutschsprachigen Indies aufspringend (Wanda, Schmutzki, AnnenMayKantereit), gehen aber textlich noch einmal eigene Wege. Gekünstelte Reime folgten auf klischeehafte und eingängige Phrasen. Ein wenig belächelt war es aber doch ein guter Auftritt, auch wenn sie auf Platte mehr zur Geltung kommen.
Der Freitag wurde abgerundet durch Hugo Race & The True Spirit. Hugo Race, bei dem ein oder anderen darf es jetzt klingeln, war Gründungsmitglied von Nick Cave and the Bad Seeds und mit eigenen Projekten bereits zwei mal auf dem OBS vertreten. Aller guten Dinge sind bekanntlich drei und so gab es ein Wiedersehen zum Jubiläum. Düster und tragend, dennoch mit einer ordentlichen Portion Rock und Blues. Ziemlich gut und ein Erlebnis der besonderen Art.
Samstag – AUFWACHEN! – klar kommen und zu unglaublich früher Stunde ab aufs Festivalgelände, wo bereits die markant rauchige Stimme der Hamburger Sängerin lùisa erklang. Man könnte es als einen musikalischen Blickfang bezeichnen. Mit Garage-Rock von den The Loranes wurde dann auch der letzte Besucher wachgerüttelt. Laut, roh, krachig, eine kleine Zeitreise zurück zu den guten alten Grunge und Alternative Rock Zeiten. Hat Spaß gemacht
Zwischendrin ein kleiner Spaziergang übers OBS Gelände wo es viel zu entdecken gab. Es wurde geupcyclet (basteln mit alten Milch-Tetra-Packs), die Kinder spielten auf Schaukelautomaten, die großen Kinder, Erwachsene genannt, schlürften genüsslich am Bier und für die Süßen gab es einen eigens für das OBS20 gebackenen Riesenkuchen. Gewohnt liebevoll war das OBS Merchandise gebastelt, von selbst bemalten Taschen über selbst gestaltete Postkarten (Redaktionsfavorit: „Schneck-Huren im Kofferraum“), hin zu weiterverarbeiteten Festivalbändchen der vergangenen Jahre.
Natürlich gab es auch auf dem Festivalgelände jede Menge Möglichkeiten zur Nahrungsaufnahme. Lobend soll hier der Spätzlestand hervorgehoben werden. Auch sonst war das Gelände wieder vollgestopft mit toll gestalteten Details.
Neben der Hauptbühne gab es auch in diesem Jahr wieder eine kleine Nebenbühne. Anders und vor allem geschickter positioniert als die letzten Jahre bot diese Unterhaltung in den Umbaupausen der großen Glitterhouse Bühne. Neben den Acts The Dead Lovers, The Grand Journey und Julian and Sarah war eine Zaubershow des einzigartigen The Great Joey Leslie zu sehen. Zaubershow das klingt merkwürdig, ist es auch, vor allem, wenn die Tricks und Bühnenshow nicht den alten Hut-Hase-Klischees entsprechen. Joey Leslie verstand es, sein Publikum in den Bann zu ziehen, zu veralbern, zu überraschen und einfach ein Staunen und ein Lächeln, nein ein breites Grinsen, auf den Lippen zu hinterlassen.
Auf der Hauptbühne konnte man sich derweil von Josefin Öhrn + The Liberation in eine andere Welt entführen lassen. Als elegant psychedelischer Spacerock bis hin zu Dreampop beworben, erwartete den Zuhörer auch genau diese Mischung. Augen zu und dahinwiegen lassen. Die Kombination überzeugte. Passend dazu Aidan Knight. Ideen- und abwechslungsreich performten die Kanadier und sogen den Zuhörer in ihre träumerische Musik ein. Folk-Pop in schön und musikalisch wunderbar umgesetzt.
Mit My Baby wurde man dann aus dieser selig eingemummelten Stimmung wieder herausgerissen. Ein Trio so präsent auf der Bühne, so farbenfroh und ausdrucksstark. Mit selbstgebauten Musikinstrumenten und elektronischen Beats, handgemacht, mixten sie viele musikalische Stile und garantierten sich so ein Alleinstellungsmerkmal auf dem diesjährigen OBS. Soulig, beatig, gepaart mit einem gewissen Maß an Hippi-Attitüde brachten sie das Publikum zum wackeln, wenn nicht gar zum ausgelassenen Tanzen. Schlicht aufsehenerregend war die Gitarrenarbeit von Daniel Johnston, der den im Waschzettel angekündigten komplexen Bandsound ohne Loops oder Samples fast in Eigenregie übernahm. Ganz groß!
Überraschend fidel leiteten die alten Haudegen von Pleasant Grove den Abend ein, um dann kurz vor 9 an die jüngere Garde zu übergeben: Die Nerven. Punk Rock Noise aus Stuttgart. Wahrlich eine mitreißende Angelegenheit. So kennen wir die aufmüpfige Jugend und so gefällt sie. Immer schön gerade heraus und direkt, dazu musikalisch gut rockig untermalt, ja beinahe groovig. An manchen Stellen war der Bandname zwar auch ein bisschen Programm, von den ganzen Bands die bemüht waren auf ihre Art „Haltung“ zu zeigen wirkten sie aber am authentischsten. Neben Love A.
Get Well Soon. Der Headliner und OBS Veteran (OBS 11 & 13) gab sich am Samstag Abend die Ehre: Wir durften lernen, dass sie beim OBS vor 10 Jahren ihren ersten großen Auftritt hinlegten, ohne auch nur ein Album draußen zu haben. Von da an gings bergauf. OBS? Spielt da jemand den man kennt? Get Well Soon!
Zum Konzert: professionell und äußerst empfehlenswert! Bei „It’s love“ wurde der durch das Festivalgelände tingelnde Berliner Kneipenchor zu Hilfe gebeten, Konstantin Gropper führte sehr sympatisch durch den Abend und wurde dem Headlineranspruch durchaus gerecht.
Sonntag morgen – AUFWACHEN! – ausnüchtern, Surprise Act! (11:30!)
Mit großer Spannung erwartet und im Vorfeld wieder gut geheim gehalten, behält sich das OBS vor einfach mal so eine Band nicht bekannt zu geben und die Festival Besucher auf die Folter zu spannen. Zwar gab es Tipps und prinzipiell hätte man mit wachsamen Auge vielleicht doch darauf kommen können, aber wie es so ist, verstrickt in wilden Theorien, wurde man vollkommen überrascht von: Torpus & The Art Directors. OBS-Dauergäste, welche schon in den vergangenen Jahren stets präsent waren, ob als Besucher oder Musiker. Leider derart präsent, dass man fast nicht von einer Überraschung sprechen konnte.
Als zweiter Act betrat Chantal Acda die Bühne. Slow-Core-Folk mit ruhiger klarer Stimme, schön dahinschwebend. Mit Love A wurde es danach punkig laut mit sozial und politisch kritischen Texten. Opernsänger wird Frontmann Jörkk Mechenbier in diesem Leben nicht mehr, vorgetragen wurde auf Deutsch in einer Art Sprechgesang. Unmissverständlich roh und ohne Kompromisse, „wir müssen Risse haben, damit das Licht hinein kann“. Sie haben sich bereits einen Namen gemacht, was man auch im Publikum bemerkte. Aktives Mitsingen, Pogo und einige wild umherspringende Gäste. Alle Erwartungen erfüllt.
Abgelöst wurden sie durch lateinamerikanische Tanzrhythmen der Band Xixa aus Tucson Arizona, woher auch sonst… Psychedelisch, Rock’n’Roll und Cumbia. Da merkt man der Musik die Herkunft an. Füße still halten war nicht drin und der Blick zur Bühne hat sich auch definitiv gelohnt.
Ein weiteres Highlight folgte: Spidergward überzeugten mit Drecksau Stoner Desert Rock und einer besonderen Bühnenaufstellung. Das Augenmerk wurde auf den Schlagzeuger gelenkt, welcher direkt vorn mittig platziert wurde und borderline-irre seine Energie ins Publikum trommelte.
Energetisch ging es weiter mit Vita Bergen. Die sechs Schweden holten all ihre Kraft aus sich heraus und bewegten Bühne und Publikum. Frontmann und Sänger William Hellström wechselte zwischendrin von Gitarre zu Schlagwerk und zurück. Die Band verband typisch schwedischen Gesang und schönen poppigen Sound mit experimentellen Klang-Silhouetten. Weniger Pop und mehr Rock brachten danach Miraculous Mule auf die Bühne. Das war Blues, Rock’n’Roll und Noise in einem. Ein musikalisches Brett, grandios.
Der Abschluss des diesjährigen Oranger Blossom Special Festivals wurde „klassisch“ gestaltet. Es spielte und brillierte das norwegische Einar Stray Orchestra. Ein musikalischer Hochgenuss mit Violine, Cello, Piano, Bass und Schlagzeug. Ihre Musik war emotional, energiegeladen, teils laut, teils leise und in jedem Fall mit dem gewissen Gänsehaut-Feeling verbunden. Schön mitreißend und fast zu schade um Good Bye OBS 2016 zu sagen. Wer nochmal reinhören will, kann mal im Glitterhouse Mailorder nachschauen, ob die Doppel-CD zum Festival noch verfügbar ist (jeder Künstler außer Torpus & The Art Directors mit je einem Lied vertreten).
Solltest du dich entscheiden, dass OBS 2017 besuchen zu wollen: Nicht den Vorverkauf verpassen! Wir informieren euch, wann es los geht.
Achja, eins noch: Der traditionelle Drei-Tages-Witz, vorgetragen von Festival-Moderator und Glitterhouse Chef Rembert, auf dessen Pointe jeden Abend mühsam hingearbeitet wurde, fehlt noch. Nur soviel sei gesagt: „Lesense, lesense, lesense… so lange se noch können“…
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