Es gab einmal eine Zeit. Damals, als man sich Musik noch als physikalische Kopie gekauft hat. Auf CD oder Vinyl. Oder eben auf Tape. Ja, das Tape, dieses, rückwirkend betrachtet total unkomfortable Medium. Auf dem man noch mühsam zum gewünschten Lied spulen musste. Und keineswegs garantiert war, dass man das gewünschte Lied auch in endlicher Zeit gefunden hat. Das Tape, das sich bei jedem Mal abspielen schlechter angehört hat. Aber bevor es unhörbar wurde, hat es das Tapedeck ja eh gefressen. Es war aber keineswegs alles schlecht, damals. Damals, als ein Mixtape noch auf Tape erschien. Und gemixte Musik enthielt. Überhaupt war gerade in Hip-Hop Kreisen die Kassette ein gern gesehenes Medium. Ja, selbst heutzutage erscheit das eine oder andere Rapmusikerzeugnis noch auf Tape. Dass sich eine Veranstaltungsreihe mit dem Fokus auf Deutschrap „Tapefabrik“ nennt, macht somit durchaus Sinn.
Über 50 Artists wollen auch bei Verfügbarkeit von 3 Bühnen doch erstmal in einen Tag gequetscht werden. Dementsprechend früh machen wir uns am 24.01.2015 los auf die dreistündige Fahrt nach Hessen, natürlich nicht ohne zwischen Frankfurt und Wiesbaden einen Abstecher in das Restaurant Waldgeist zu machen. XXXXXXL Essen vor einer XXXXXXL Veranstaltung – ein guter Plan.
Die Tapefabrik findet bereits zum 5. mal statt, nach der Premiere in Limburg 2012 nun schon zum dritten mal im Schlachthof in Wiesbaden. Der ja durchaus auch schon seine Dues gepayed hat, so Hip-Hop technisch. Hier fand nämlich früher (so Mitte/Ende 90er, wenn ich mich recht entsinne) das Wall Street Meeting statt, ein ziemlich großes Graffiti Happening. Leider ist ein Großteil der damaligen Anlagen mittlerweile abgerissen, dennoch errinnern auch heute noch einige Bilder von damals an die gloreichen Zeiten. Graffiti soll es übrigens bei der Tapefabrik auch gegeben haben (laut Organisationsteam), jedoch haben wir das nicht weiter verfolgt – wir waren wegen Rap da. 3 Floors haben die Veranstalter für das zahlreich erschienene Publikum vorbereitet. Den mit Abstand meisten Platz bot die Main Stage.
Bei Veranstaltungen dieser Art, die schon um 16.00 Uhr mit Bühnenprogramm aufwarten, füllt sich die Fläche vor der Bühne meist eher schleppend. Nicht so, wenn man JAW einen frühen Slot verpasst. Schon als zweiter Act auf der Main Stage kann er doch eine beachtliche Menge an Publikum anziehen. Normalerweise hängen bei so frühen Auftritten halt die 2, 3 Leute rum, die den Act sehen wollen, dann noch 2, 3 neugierige, und der Rest sind dann Leute, die eigentlich nur schon da sind, weil sie sich zuhause gelangweilt haben oder Angst hatten, etwas zu verpassen. Nicht so bei JAW. Überdurchschnittliche Textsicherheit in großen Teilen des Publikums. Feine Sache.
Als nächsten Act auf der Hauptbühne hervorheben möchte ich Umse. Er betritt die Bühne wie gewohnt mit seinem Produzenten Deckah, der sich vortrefflich auch als Backup eignet, wovon sich man auch in den vergangenen Monaten auf seiner Tour zum aktuellen Album Kunst für sich ein Bild machen konnte. Den übrigen Platz neben diesem Foto will ich dann parallel dazu mal dazu nutzen, mich positiv über die Getränkepreise auszulassen. Bier so um die 3 EUR, und meine 0.5l Spezi glaub ich 2.50 EUR, da gibt es nichts zu meckern.
Zwischen den Auftritten auf der Hauptbühne kümmert sich Juse Ju um die Crowd. Vielen vielleicht nur als die Karla Kolumna des DLTLLY ein Begriff, ist er ja selbst auch Rapmusiker und schon seit vielen Jahren mal mehr oder weniger häufig auf den deutschen Bühnen der Rapkunst anzutreffen. Er hat sich gut vorbereitet und macht das dann dementsprechend auch sehr souverän. Seien es kurze Parts um die nächsten Künstler vorzustellen, Publikumsspielchen oder kleine unterhaltende Einlagen mit seinem Sampler.
Auch so ’ne Rampensau ist ja bekanntlich Damion Davis, der auch bei der Tapefabrik seinem Ruf gerecht wird. Während er seine Tracks rappt fährt er schonmal gern ’ne Runde auf dem zur Bühnendeko gehörenden Fahrrad. Den einen oder anderen Track performt er mitten im Publikum. Oder auch, wie im Falle dieses Fotos, auf dem Publikum. Man sollte aber in diesem Zusammenhang nicht verschweigen, dass es bei solchen Veranstaltungen auch um einiges unspektakulärere Auftritte gibt. Rapper (grade die, die hauptsächlich im Untergrund zugegen sind) sind oft auch eher nicht so die Entertainer. Oft wird auch einfach nur represented (umso mehr Leute auf der Bühne, desto besser) und gerappt. Aber irgendwie reicht das ja dann doch auch.
In der Zwischenzeit hat es 20.00 Uhr geschlagen, Deutschland schaut die Tagesschau, und Hiob bespielt mit Morlockk Dilemma die Main Stage. Mir wird zum wiederholten Male bewusst, dass so eine 2+ Stunden Veranstaltung keine Ü30 Party ist. Damit will ich gar nicht den Eindruck erwecken, dass mir das Publikum zu jung ist – nein, das Publikum ist großartig.
Viele schöne und sympatische Menschen. Durchweg freundlich. Die meisten Leute hier machen auch den Eindruck, als hätten sie sich irgendwann explizit dafür entschieden, Rapmusik zu hören. Das finde ich toll, das gefällt mir wesentlich besser als „Och, ich hör eigentlich alles, was halt so im Radio kommt“. Nee, ich will damit sagen, dass mir die Beine weh tun. So lange stehen ist kein Spaß mehr in meinem Alter. Sitzgelegenheiten gibt es wenige. Auf mehrtägigen Festivals hat man auch lange anstrengende Tage, aber da gibts immer mal wieder die Möglichkeit, sich irgendwo hinzuflaggen oder auf dem Zeltplatz rumzuhängen. Das geht hier leider nicht. Draußen isses zu kalt und zu nass. Auch keine Option. Durchhalten.
Spätestens jetzt haben wir auch den Punkt erreicht, auf dem für mich auch die zweite Stage interessant wird. Auf der Mainstage spielen Hiob und Dilemma, gefolgt von den Funkverteidigern und Zugezogen Maskulin. Auf der Nebenbühne spielen Döll, Prezident und Mädness. Das mit der Nebenbühne ist insgesamt suboptimal umgesetzt. Geht aber möglicherweise nicht besser zu machen: Um von der Hauptstage zur Second Stage zu gelangen, muss man das Festivalgelände verlassen, und 50 Meter durch die Nasskälte laufen. Da man das Gelände verlassen hat, hat die Nebenbühne einen eigenen Einlass, an dem man erneut von freundlichen Mitarbeitern der Securityfirma durchsucht wird. Auf die Suche nach der dritten Bühne habe ich mich den ganzen Abend nicht gemacht. Aber ich bin ja mit den beiden anderen Bühnen auch schon gut bedient.
Der Platz vor der Nebenbühne hält sich im übrigen grundsätzlich stark in Grenzen, spätestens bei Döll, der durchaus auch als Lokalmatador zählen darf, platzt der Raum aus allen Nähten. Von nun an muss als normaler Besucher ohne Presseprivilegien genaustens geplant werden, welchen Act man wann sehen will. Kurzes zwischen den Stages hin und her springen ist nicht mehr drin, da die Nebenbühne Einlassstop hat. Wer einmal drin ist bleibt eigentlich drin, weil ein erneutes Betreten mit langen Wartezeiten in der Kälte verbunden ist. Eines meiner persönlichen Highlights folgt. Mädness betritt zu den Klängen von Maggo die Nebenbühne. Das ist ja eh so ein Überbrett, dazu ein vollbepackter Raum mit vielen Fans – Gänsehautmoment.
Der nächste auf meinem Zettel ist Edgar Wasser. Solider Gig mit unterhaltsamen Überleitungen zwischen den Liedern. Es wird sogar kurz mal wieder politisch (wie auch schon bei Damion Davis). Als Featuregast hat er heute Marz mit dabei. Der lustigerweise auch schon auf der Nebenbühne zuvor einen Track mit Döll gespielt hat. Er bekommt wohl den Award für „Präsenz auf beiden Bühnen ohne auf dem Flyer zu stehen“. Jedesmal, wenn mir Edgar Wasser nach einem Auftritt über den Weg läuft, laber ich ihn so Fan mäßig dumm von der Seite an, dass mir sein Auftritt gefallen hat. Und er freut sich. Glaub ich zumindest.
Das Lineup ist wirklich großartig. Mach One spielt auf der Mainstage, auf der anderen spielen Schaufel und Spaten, Blut und Kasse, Sonne Ra und der Plusmacher. Aufgrund der überfüllten Nebenbühne ist es dem normalen Besucher leider unmöglich, von allen Künstlern etwas mitzunehmen. Irgendwie habe ich auch den Eindruck, dass nicht nur ich müde geworden bin. Vielleicht täuscht es mich auch, aber es könnte durchaus sein, dass die ersten Leute schon wieder heimgegangen sind. Seltsam, denn die Headliner stehen uns ja noch bevor.
Unter dem Sammelbegriff „Der Ruhrpott Ist Unendlich!“ betreten Aphroe als Vertreter der RAG, Ercandize und Short als ABS und Mess, Kareem und Lakmann (Witten Untouchable) die Bühne. Es fühlt sich alles wieder so an wie vor 10 – 15 Jahren. Nur halt mit Schmerzen. Aphroe ist ja doch noch hin und wieder auf Bühnen in diesem Land zu finden, Witten Untouchable waren eben erst auf Tour – ich hätte vor einiger Zeit nicht mehr damit gerechnet, Mathematik und TNT noch einmal live zu sehen. Großartig. Witten, ha ha ha, Witten, Hip-Hops gutes Gewissen.
Auf diesen Moment habe ich besonders gewartet. Durch die Lautsprecher klingen die ersten Klänge von „Lass die Affen aus’m Zoo„. Im Loop, die Stimmung ist auf dem Siedepunkt. Die Drums setzen ein, und Baba Haft betritt die Bühne. Dass Benny Blanco aka. Bazzazian böse Bretter für das Album gezimmert hat, ist allgemein bekannt. Dass sie Live auch reinhauen, war zu erwarten, aber jetzt haben alle Gewissheit. Die Texte sitzen, auf der Bühne wie auch im Publikum.
Haftbefehl scheint seinen kurzen 30 Minuten Auftritt zu geniessen. Er ist auch der perfekte Headliner für so ein Event. So unerwartet, und doch so offensichtlich. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen sich die Deutschrapheads nicht mit Haftbefehl arrangieren konnten. Sein aktuelles Album führt die Jahresbestenlisten der Hip-Hop Medien im Jahre 2014 unangefochten an. Selbst hier, wo man möglicherweise mehr auf Scratches vom DJ und Realkeepern steht als auf Straßenweisheiten aus Frankfurt City – Haftbefehl ist eine Art gemeinsamer Nenner der doch mittlerweile sehr diversen Deutschrapszene.
Den Sack zumindest für uns zumachen dürfen die Spezializtz. Harris und Dean habe ich auch schon lange nicht mehr zusammen auf einer Bühne gesehen. Mein Akku ist leider leer, und auch die Zuschauerreihen haben sich bereits deutlich gelichtet. Bei einem solchen Monsterprogramm ist der finale Slot garnicht mal wirklich der begehrenswerteste. Aber das kennt man ja von jeder Untergrund Jam. Nach ein paar Songs der beiden machen wir uns auf den Heimweg. Vor uns liegen 3 Stunden Heimfahrt.
Die Tapefabrik ist eine besondere Veranstaltung. Ein Lineup dieser Güte findet sich in Deutschland nur ganz selten. Ist aber gleichzeitig auch extrem anstrengend. Das Publikum bleibt mir als besonders angenehm in Erinnerung. Ich mein, wo sonst steht man im Raum, und wird vom Nachbar gefragt, ob es einem etwas ausmachen würde, wenn er jetzt hier eine raucht? Und dann ein „Ja“ sogar respektiert wird, und man stattdessen zusammen weiter rein geht, um den Künstler auf der Bühne zu feiern? Mit dem Tag auf dem Rauchen Verboten Schild schließt sich der Kreis dieser kleinen Geschichte. Ich will da auf jeden Fall mal wieder hin. Beim nächsten Mal nehm ich einfach eine Hängematte mit.
Die Tapefabrik 2015 besuchten die Festivalhopper LyHo und Andi.
20. März 2015 um 11:50
[…] Worten kündigen die Veranstalter eine Fortsetzung der Erfolgsveranstaltung an, die zum letzten Mal am 24.01.2015 im Schlachthof Wiesbaden stattfand. Bereits am 15.05.2015 soll nun das Astra Kulturhaus Berlin Spielstätte für das […]
21. August 2015 um 14:28
[…] und ist auch bei dem vorerst letzten Event wieder Kooperationspartner, hier lest ihr einen Bericht von der Tapefabrik im Februar. Auch der Trailer ist mehr als […]
7. Februar 2017 um 19:20
[…] reden, waren wir doch selbst bei der letzten Festivalausgabe vor Ort, der Tapefabrik 2015: “Tapefabrik #5 – Und Deutschrap geht es immer noch gut“. So wie wir die Vorbereitungen auf die kommende Tapefabrik verfolgen, wird es wieder so […]
7. Januar 2020 um 15:37
[…] Hier geht es zu unserem letzten Tapefabrik Rückblick, 2015 waren wir auch mit am Start: “Tapefabrik #5 – Und Deutschrap geht es immer noch gut“. […]