In den letzten Jahren habe ich gemerkt, dass ich die kleinen den großen Festivals vorziehe. Beim „Jenseits von Millionen“ verrät der Name ja schon, dass keine Massen zu erwarten sind. Seit 10 Jahren findet das kleine Festival in Friedland in der Niederlausitz südlich von Berlin statt. Welch‘ schönes Bild entstand da in meinem Kopf von einem kleinen Festival in einem noch kleineren Dorf irgendwo in Brandenburg.
Und als ich erfuhr, dass die Bühne für die Bands auf einer Burg steht, stieg meine Vorfreude noch einmal deutlich an. Bei solchen Erwartungen wird man ja bekanntlich manchmal ein wenig enttäuscht. Das ist mir definitiv nicht passiert. Ganz im Gegenteil.
Am Freitagnachmittag kamen wir nach langer Fahrt in der Niederlausitz an. Glücklich trugen wir unsere sieben Sachen über den kleinen, überschaubaren Zeltplatz und bauten unser Lager auf.
Es sind die charmanten Kleinigkeiten, die dieses Festival für mich zu einem ganz besonderen gemacht haben. Der Zeltplatz mit den Bäumen am Rand und krähenden Hähnen um die Ecke. Die Duschkonstruktionen mit einer Gießkanne. Der See direkt um die Ecke, der zwar ein bisschen algig war, aber dennoch Erfrischung am Vormittag brachte.
Die immerzu freundlichen Organisatoren. Die Kooperation mit Raise a Smile, eine Organisation, die verschiedene Projekte für Kindern in Sambia unterstützt (2 Euro des Ticketpreises gingen als Direktspende an sie). Das entspannte und angenehme Ambiente auf der Burg. Die Aftershow-Party im Rittersaal. Das leckere Essen von [la ka:rot] aus Halle und Fhainheiten aus Berlin. Das perfekte runde Kugeleis aus der Eisdiele des Ortes. Und natürlich die tollen Menschen, mit denen ich dort war und die wundervolle Musik.
Insgesamt war das Line-Up klein, aber sehr fein. 17 Acts gab es an den zwei Tagen, verteilt auf zwei „Bühnen“ (aber dazu später mehr).
Nach einem erfolgreichen Zeltlageraufbau taperten wir also die wenigen hundert Meter zur bereits erwähnten Burg und hörten uns die ersten Bands an. Neben Zelf und The Animen, mochte ich besonders Intergalactic Lovers und Talking to Turtles.
Intergalactic Lovers kommen aus Belgien, sind zu viert und machen Musik, die man – passend zum Namen – vielleicht als sphärisch beschreiben könnte. Mit ihren instrumentalen Melodien und den schönen Texten nahmen sie das Publikum im Nu mit auf eine kleine Reise durch die Galaxien. Wir schwebten durch Raum und Zeit und waren doch ganz und gar in Friedland.
Der Musik von Talking to Turtles lausche ich, seitdem „Beam me up Scotty“ erschien und habe sie dennoch nie live gesehen. Umso mehr habe ich mich auf sie gefreut. Sie bezauberten mit Altem und Neuen und immer mit Inhalt, machten glücklich und waren so ein schöner Abschluss eines ersten schönen Tages.
Den Samstag eröffnete leider die traurige Nachricht, dass Woods of Birnam wegen einer Erkrankung des Keyboarders ihr Konzert absagen mussten. Dabei hatten wir uns schon auf Verrücktes (schaut euch diese Videos an!) gefreut, ist die Band doch nicht nur nach dem Wald aus Shakespeares Macbeth bekannt, sondern wirkte auch schon an Theaterinszenierungen mit.
Die Trauer hielt aber nicht lange, und es wurde dennoch ein sehr schöner Tag.
Wir begannen mit einer von insgesamt drei séjour-Sessions. Séjour (www.sejour-berlin.de) machen eigentlich Wohnzimmerkonzerte in Berlin. Für dieses Wochenende hatten sie das Wohnzimmer gegen eine Kirche getauscht – und das war so ungewöhnlich wie toll! Drei Singer-Songwriter verzauberten das Publikum, das auf dem Boden und auf den Bänken saß und andächtig lauschte.
Am Ende konnte man sich gar nicht recht einig werden, wer von den dreien am tollsten war:
Ryan O’Reilly, der so schön voller Emotion und Inbrunst sang und das nicht nur mit seiner Stimme und Gitarrenklängen zeigte, sondern auch mit einer unglaublich ausdrucksstarken Mimik? Der so glücklich lächelte bei jedem Applaus?
Oder lúisa mit ihren englischen und französischen Liedern und ihrem schönen Satz “Mir fällt es schwer, Lieder zum Dancen zu schreiben“? Die fast zu Tränen gerührt war, als das Publikum ihr singend die Loop-Station ersetze, die sie sonst immer dabei hat?
Oder doch Ian Fisher, der wunderschöne Country-Songs sang? Und so unheimlich sympathisch war, als bei einem traurigen Lied ein paar kleine Kinder vorn in der ersten Reihe lachten und er daraufhin das Lied abbrach, weil man da lieber keine traurigen Lieder singe und wieder zu einem der Country-Klänge griff?
Zwischen den einzelnen Auftritten in der Kirche gingen wir immer wieder zurück zur Burg, überschaubare zwei Minuten dauerte der Weg.
Dort spielte erst Der Ringer und dann Parasite Single. Zu zweit sind letztere aus Hamburg angereist und machten elektronische Musik, untermalt von der wunderschönen Stimme der noch wunderschöneren Sängerin. Barfuß tanzten wir im Staub und ließen uns hinfort tragen von den schönen Klängen und dem sanften Pop.
Als wir uns eigentlich brangelina anhören wollten, fing es an zu regnen. So machten wir stattdessen die Zelte regenfest, verbrachten die Zeit des Schauers unter unserer Plane und lauschten für eine Weile dem Trommeln der Tropfen statt den Klängen von brangelina und aloa input. Zum Glück weilte der Regen nicht ewig und bald waren wir wieder im Burghof und bekamen noch die zweite Hälfte des Konzerts von Saalschutz mit. Meinen Geschmack haben die beiden Rave-Punker nicht ganz getroffen, aber in den vorderen Reihen sprangen die Menschen freudig tanzend herum.
Die Abschlussband Fenster war definitiv ein bisschen skurril, aber auf schöne Art; und das lag nicht an dem ungewöhnlichen Namen, den diese deutsch-US-amerikanisch-französische Band da ausgesucht hat. Zu viert betraten sie die Bühne, alle in goldenen und silbernen Kostümen, die wahlweise an Zukunftsvisionen oder abgedrehte Jesus-Musical erinnerten. Überhaupt glitzerte und glänzte es auf der Bühne. Nach fast jedem ihrer langen Electro-Popsongs mit wenig Gesang wurden die Instrumente getauscht. Am Ende verkündeten sie noch, dass ihr Schlagzeuger sie leider verlassen werde, um eigene Wege zu gehen. Als sie sich zu viert in den Armen lagen, schaute ich in den Himmel voller Sterne und Seifenblasen, ließ mich vom Nachklang der Musik treiben und dachte: „Wie schön es ist, so Jenseits von Millionen.“
Oder um es mit den Worten von Eli, eine meiner charmanten Festivalbegleiterinnen, zu sagen: „Wie könnte man es hier nicht toll finden? Hier gefällt es doch jedem!“
Fotos: Max Richter
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