„I’m so sorry about the weather. So sorry!“ kommentierte Andrew Murphy aka „Mr. Summerjam“ mit den bodenlangen Dreads, Moderator der größeren Bühne, der Red Stage, das eher feuchte Wochenende am Sonntag Abend. Man merkte, dass ihm das Festival eine Herzensangelegenheit ist und er wirklich etwas enttäuscht vom Wettergott war. Das „Everlasting Festival“, wie Summerjam sich selbst betitelt, fand Anfang Juli nun schon zum 29. Mal statt.
Am Fühlinger See in Köln gelegen, ist die Location einladend, um ein eher entspannteres Festival zu feiern und einen kleinen Kontrapunkt zu hyper-aktiven Rock-Festivals. Auch, wenn der ursprüngliche Schwerpunkt des Festivals klar auf Reggae liegt, wurde das musikalische Spektrum in den letzten Jahren ausgeweitet – dieses Jahr gab es beispielweise einen starken Hip-Hop Einschlag.
Auch, wenn Roots-Fans teilweise wohl zu Veranstaltungen abwandern, die homogener Reggae sind, hat es Summerjam dennoch geschafft, eine Stammbesucherschaft zu erhalten. Das mag auch nicht zuletzt an der Atmosphäre des Campingplatz liegen, vielleicht auch an der Position des Festivalsgeländes auf einer Insel im See. So oder so bleibt Summerjam eine Institution im Reggae.
Freitag war allerdings erst mal vorwiegend Hip-Hop dran – zumindest auf der Red Stage, der Hauptbühne: „I know this is a Reggaefestival, but are there any motherfucking Hip-Hoppers here??“ stellte Left Boy ganz passend die Frage des Tages.
Richie Campbell wirkte deshalb auf der Bühne fast etwas deplatziert, auch, wenn er ein paar Hip-Hop Elemente in seinen Reggae mischt. Der Portugiese klang mit seiner Stimme gar nicht so weiß, wie er aussieht, und macht guten Reggae, der zeigt, dass nicht nur Menschen aus Jamaika stilecht Offbeat spielen können. Gegen Ende des Auftritts kam seine Backgroundsängerin nach vorn und sorgte für Abwechslung. Das hätte ruhig mehr kommen können! Marteria sollte Abends noch zeigen, wie eine Einbindung von BackgroundsängerInnen Langeweile auf der Bühne wirkungsvoll verhindern kann.
Mit Miss Platnum folgte nun die erste Vertreterin aus dem Marteria Dunstkreis, der am -noch sonnigen- Freitag die Rote Bühne beherrschte. Ertrank ihre Stimme zu Beginn noch im viel zu überladenen Bass, besserte sich der Sound nach einigen Songs. Mit einem bisschen positiven Protzertum sang sie außerdem ihren Part von „Lila Wolken“ über ein Sampel und verabschiedete sich mit den Worten „Summerjam, wir sehen uns wieder“ – mit Marteria als Headliner am Abend war relativ deutlich, was damit gemeint war. Ansonsten recht souverän, wirkte sie teilweise etwas verwirrt, wenn es um ihre elektronischen Geräte vor ihr ging, die sie ab und an bediente.
Kid Simius der junge Wilde mit einer Vorliebe für Schulterpads, hatte dann auch zwei Auftritte am selben Tag – tourt er doch momentan als Marterias Keyboarder & DJ durch Deutschland und Europa.
Beim Summerjam war er aber nachmittags noch mit seinem eigenen Programm dort. Wohl am weitesten von allen Acts vom Ursprung des Reggaes entfernt, schaffte der aufgedrehte Spanier es dennoch, das Publikum richtig zum Abgehen zu bewegen. Dennoch: Besser platziert wäre er als Late-Night Act gewesen, wie es ihn bei einigen Festivals gibt. Da man beim Summerjam allerdings vermutlich keine Konkurrenz zur Dancehall Arena anbieten will, schaffte es Kid Simius auch nachmittags, Begeisterung zu vermitteln. Er zeigte auch schon ein Trend auf, den man das Wochenende noch öfter sehen wird: Die E-Gitarre kommt zurück als Instrument im Hip-Hop und Elektro – als Musik-, aber auch als Poser-Instrument. Ein Gastauftritt einer Backgroundsängerin von Marteria verdeutlichte erneut, dass der Tag fest von diesem Freundeskreis dominiert wurde.
Eher verwirrend war dagegen die Show von Left Boy. Angefangen bei der Tatsache, dass immer wieder zwischendurch Songs abgespielt wurden, ohne dass der Rapper damit irgendwas gemacht hätte, so z.B. „Tausend mal berührt“ (Warum??) bis zu diversen „Wir-werfen-Dinge-ins-Publikum“ Aktionen, was unter anderem Klopapier mit einschloss. Auch hier wieder die Gitarre als einziges Instrument im sonstigen Musikmix, der vom Laptop kam. Es drängte sich der Begriff „populistisch“ für die Show auf, aber so richtig entscheiden konnte ich mich dann nicht, ob ich den Auftritt schwachsinnig fand oder eigentlich doch ziemlich gut.
Mit Marteria als Headliner tat sich Summerjam schwer. Er wurde nie so groß angekündigt wie Jimmy Cliff oder Seeed, man hatte beinahe das Gefühl, dass man lange Zeit die Option hatte, noch einen „größeren“ Headliner an Land zu ziehen. Irgendwann wanderte Marteria dann jedoch auch auf den Plakaten auf die erste Reihe zu Jimmy Cliff und Seeed. Letztlich dürfte dies Summerjam nicht wirklich bereut haben.
Denn nach zwei Malen beim Summerjam ist Marteria mittlerweile mit einer enorm starken Bühnenshow auf Tour, die den Headlinerslot definitiv ausfüllen konnte. Nachdem er unter anderem bei Rock am Ring und beim Rock-A-Field begeisterte, schaffte er es auch beim Summerjam, die Menge auf seine Seite zu ziehen – auch wenn das etwas länger dauerte, als beim Rock-A-Field Festival das Wochenende zuvor.
Interessant war vor allem, wie stark das Summerjam Publikum seine kurzzeitige Verwandlung zu Marsimoto feierte, die begleitet wurde von mehreren grünen Rauchbomben der Marsimoto Crew – möglicherweise, weil sein Alter Ego Marsi noch deutlich progressiver das Thema Marihuana anspricht als Marteria (z.B. in „Grüner Samt“)? Für „Feuer“, bei dem Marteria beim Crowdsurfen mit dem Schlauchboot kollidierte, das über das Publikum surfte, steuerte das Publikum chaotisch-anarchische Zustände an, die das Schlauchboot, in dem der Gewinner eines Gewinnspiels von Marteria saß, schließlich auch kentern ließen.
Der Sinn sollte eigentlich sein, dass die Besucher ihre Pfandbecher dort hinein werfen, die dann Viva con agua zukommen. Nachdem der Gewinner im Schlauchboot und Marteria in der Menge versanken, ließ sich nur Marteria wieder auf die Menge heben. Wo sind jetzt die Becher? Die Aktion wirkte etwas halbherzig, zeigte jedoch auch, dass eine gewisse Portion Chaos gegen Ende von Marterias Bühnenprogramm durchaus gewollt, ja sogar gefördert wird. Und das kann im gewissen Maße viel Spaß machen. Bei den „letzten 20 Sekunden“ von Marteria zeigte das Summerjam Publikum noch mal, dass es auch abgehen kann wie große Rockfestivals.
Während sich einige Tagesgäste wieder mit dem ziemlich labilen Shuttlebussystem auf den Weg zur nächsten U-Bahn Haltestelle machten, wollte ich dann noch mal in die Dancehall Arena und die restliche Energie loswerden. Die Fläche wirkte dank Beschallung von vier Seiten tatsächlich eher wie eine Arena als eine Bühne und spielte bis um ca. 4 Uhr Dancehall, Dub und andere tanzbare Reggae Auswüchse. In der Dancehall Arena wurden übrigens nachmittags auch die beiden WM Spiele übertragen, die während des Festivals stattfanden. Beim Deutschlandspiel war auch eine große Anzahl an Festivalbesuchern eher am Spiel interessiert als an der Musik und verfolgte begeistert das Spiel gegen Frankreich.
Abends war dann aber eher Programm á la ’nomen est omen‘ mit feierwütigen Festivalbesuchern in der Dancehall Arena. Etwas nervig, aber scheinbar durchaus Kultur im Dancehall-DJ Bereich: Ständig dazwischenrufen („EVERYBODY PUT YOUR HANDS UP!“; „SUMMERJAAAAAAAAM!“) in einem solchen Maße, dass der Song eher wie schmückendes Beiwerk wirkt, Songs, die nur 20 Sekunden gespielt werden, dann unterbrochen werden und ein anderer Beat einsetzt. Es schien, als ob man das entweder mögen muss oder ziemlich betrunken sein müsste. Am besten beides.
Ebenfalls eine Eigenart des Reggaes: Die Band spielt einen Song, der Sänger/die Sängerin gibt ein Zeichen und die ganze Band hört auf zu spielen. Meist mit „Someone said ‚Pulo!'“ begleitet, fängt die Band den selben Song wieder von neuem an. Ursprünglich dazu benutzt, den Song zu unterbrechen, um was wichtiges zu sagen, wird es mittlerweile eher spielerisch gebraucht. Für alte Reggae Hasen sicherlich nichts neues, für Neulinge eher irritierend
Das war’s zunächst vom trockenen Part des Summerjams. Im zweiten Teil dann, wieso Reggae im Regen nicht so funktioniert, wie Rock funktionieren kann, Lichtblicke und ein Abschlussfeuerwerk im Regen.
11. Juli 2014 um 11:06
[…] Festivalhopper Antonia und Aaron berichteten ebenfalls bereits vom SummerJAM Auftakt 2014. […]