16. August 2013. 4:30 Uhr. Bepackt wie ein Muli. Das Zugticket sagt: Berlin – Amersfoort.
Destination: Lowlands Festival 2013. Am vergangenen Wochenende feierte man nahe dem kleinen, verschlafenen Biddinghuizen in der holländischen Landschaft wieder ausgelassene 3 Tage die Musik, das Theater und viele weitere performing arts. Die 21. Edition des Lowlands baute seine bunten Zelte wieder auf. Etwa 55.000 Besucher sagten dazu ‚Amen!‘.
Es sollte nicht so leicht werden, den Festivalkram nach Holland zu schleppen, das steht fest. 15 Kilo, inklusive Zelt, Schlafsack und Kamera-Ausrüstung wollten von einem Persönchen bewegt werden. 5:30 Uhr, Berlin Hauptbahnhof. Ich schwitzte und der ICE hatte verschlafen. 15 Minuten Verspätung. Den Anschlusszug in Hannover im Kopf dennoch erst mal Ruhe bewahrt. Ich sollte Recht behalten. Man holte auf dem Weg nach Hannover gute 10 Minuten raus und dafür hätte ich dann auch fast applaudiert, wäre der Stopp dann in Hannover nicht so unverschämt kurz gewesen, sodass ich den Zug auch hätte verlassen können. Die Türen waren nach 30 Sekunden zu. Ein Kinderwagen blockierte den Durchgang. Weltklasse. Wir fuhren an. Zugbegleiter waren nicht zu sehen und meine zuvor noch wütenden Rufe wurden nicht erhört. Nächster Halt: Bielefeld. (Ein Wimmern.)
Nach einiger Aufregung fädelte sich jedoch alles ein. Ich traf schließlich doch noch auf kauzige, aber überaus nette Zugbegleiter, man suchte mir eine Alternativroute und schrieb mein Ticket um. So entkam ich am Ende doch noch aus Bielefeld und landete mit gut zwei Stunden Verspätung in Amersfoort. Von dort ging es nach Zwolle, und dann nach Dronten, wo Shuttlebusse zum Festivalgelände warteten. Es hatte sich gezogen. Ein Blick auf den Timetable ließ mich schluchzen: Seasick Steve hatte ich verpasst und auch Tame Impala waren nicht mehr zu retten. Der Freitag war mehr oder weniger passé. Egal, es blieben noch zwei tolle Tage. Feuer frei!
Das Gelände war riesig. Ich betrat es und zack! – die pure Überwältigung. Da lag was in der Luft. Die gigantischen Zelte, die vielen bunt anmutenden Menschen dazu, der unwiderstehliche Duft von Pfannkuchen. Wie würde der Holländer sagen? Dat wordt en lekker ding!
Es gab unglaublich viel zu sehen, das Auge konnte nicht alles erfassen. Wo bin ich hier?, dämmerte es noch kurz. Na in jedem Falle bin ich richtig! Der Pressebereich stellte sich als eine fantastische ausgebaute Scheune heraus. Die Bedingungen für die arbeitenden Festivalbesucher waren bestens.
Es war schnell klar: Hier weiß man, wo der Hase läuft. Gewaltige Zeltkonstruktionen, viele bunte Stände, kunstvolle Installationen und eine derartig bunte Mischung an fröhlichen Menschen vieler verschiedener Altersgruppen wiesen darauf hin – Das Lowlands ist eine Institution. Dafür sprach nicht zuletzt auch die hohe Anzahl der Fotografen und professionellen Medienvertreter.
Was gab es denn nun zu sehen?
Neben tollen Konzerten, eindrucksvollen Zeltbühnen und Floors, jede Menge Spielereien. Das Lowlands fand nicht nur auf dem Gelände eines Freizeitparks statt – es war selbst einer! Ein riesiger Spielplatz, auf dem man es eine Woche ausgehalten hätte. Es fehlte eigentlich nur die Hüpfburg (und dennoch hat sie keiner vermisst). Am einen Ende des Geländes war man kreativ beim Cardboarding am werkeln, am anderen Ende des Geländes konnte man Postkarten vom Festival verschicken, seine Beine vom Steg im See baumeln lassen oder sich beim niedlichsten Café auf einen philosophischen Talk einlassen. Der Chillfaktor wird groß geschrieben. Plätze zum Verweilen gab es en Masse und zwar auch abseits der großen Besucherströme. Ein wichtiger Punkt, denn zuweilen wirkte es am Freitag doch sehr voll und es herrschte stockender Verkehr auf den Hauptwegen.
Zum Zeitvertreib spielte man eigens entworfene und konstruierte Spiele, die holländische Version von „Schlag den Michel“ mit grandioser politischer Message (Applaus!) – oder: man ging Freitagabend beim Wolkenbruch ins Echo, das Kino. Richtig, ein Kino auf einem Festival. Das muss man sich mal vorstellen. Im Programm unter anderem: Spring Breakers, Eraserhead, Greetings from Tim Buckley, Cinema Curioso, You’re Next (die Holländer synchronisieren ja nicht).
Da geht noch mehr: Scheiß Nacht gehabt im Zelt? Dann war man bei der Massage in allerbesten Händen. Frisch und entspannt, konnte man sich danach gegen eine kleine Spende ein Human Rights Tattoo machen lassen und wer noch Geld über hatte, der ließ es im Plattenladen. Abends gab es noch Karaoke und wahrscheinlich noch viele weitere berauschende Aktionen, die mir entgingen. Musik wollte ja irgendwie auch noch vernommen werden.
Die akustischen Highlights des Wochenendes
Seeed suceed. Immer und Überall. Gab es je eine schlechte Performance? Ich weiß von nix. Die Holländer gingen recht steil dazu, das war schön anzusehen. Die Herren setzten sich wieder einmal eindrucksvoll in Szene und performten kurzerhand auch MIA’s Paper Planes und Justin’s Sexy Back. Ein herrliches Stück Heimat auf holländischen Bühnen in altbewährt groovender Form.
Empire Of The Sun belohnten die Lowlander mit einer visuell beeindruckenden Bühneninszenierung und nicht zuletzt natürlich in persona. Luke Steele war vortrefflich kostümiert und ließ die Fotografen im Bühnengraben staunen. Das war exorbitant toll und nicht von dieser Welt. Ein perfektes Zusammenspiel von Optik und Sound. Empire Of The Sun erschließen sich in Gänze nur live. Nach wie vor ein Phänomen.
Major Lazer stellten sich als DIE Partygranaten heraus und brachten mit ihrem treibenden, von Moombahton beeinflussten, Dancehall/Reggae Projekt das Zelt zum Kochen. Die Bühne ist ihr zu Hause, man hatte es mit den geborenen Entertainern zu tun. Es regnete Luftschlangen und bereits bei Titel zwei gab es den Stagedive. Doch es wurde noch eins draufgelegt. Diplo, Urheber von Major Lazer, stieg im Anschluss in einen dieser gigantischen Gummibälle und rollte über die Köpfe des Publikums hinweg. (Selbstverständlich hatte ich das falsche Objektiv auf der Kamera. Ihr müsst es euch ziemlich cool vorstellen.)
Zudem nie im Leben als so gut erwartet: die Mädels der Band HAIM. Himmel, was haben die ihr Haar geschüttelt und ihre Gitarren in die Luft gehoben, als seien sie die größten Rocklegenden. Zu Recht! Frech, charmant und überaus begabt an den Instrumenten, das sind Rockröhren unserer Zeit. Und zwischendrin eine kleine Jam Session. Chapeau!
Der Oberkracher sollte jedoch am Sonntag auflaufen. Es war mein letzter Act an diesem tollen Wochenende. Ladies & Gentleman: The Knife. Zunächst schon die große Spannung im Fotograben, als alle Fotografen auf Anweisung zurückgehalten wurden. Es dauerte gut 10 Minuten, die wir vor den Boxen seitlich der Bühne ausharren mussten, wobei die gigantischen Bässe bereits signalgebend waren für das, was folgen sollte. Auf die Freigabe folgte der Wow-Moment: Außerirdisch kostümierte Tänzer, surreales Licht und Instrumente, die ich im Leben noch nicht gesehen habe. Es war eine Art-Performance allererster Güte, ein Fest für die Augen, ein berauschendes Erlebnis für die Sinne. The Knife lieferten irgendwas zwischen neumoderner Aerobic und schrillem Ausdruckstanz. Das mag grotesk klingen, doch es war verdammt genial. Kraftvolle elektronische Sounds wurden durch eine mitreißende und energetische Performance auf eine völlig neue Ebene gehoben. Geendet wurde jubelnderweise mit The Silent Shout – unvergesslich und eine ab.so.lu.te Live-Empfehlung.
Über die Musik hinaus, gab es derart viele Eindrücke, dass nebst den Konzerten keine Zeit blieb, alles zu erkunden. Philosophie, Theater, Comedy, Literatur – all das ist Teil des Festivals und seiner insgesamt 11 Bühnen, höchst professionell und dabei immer noch höchst liebevoll organisiert. Es gibt so viel Schönes und Skurriles zu entdecken und an jeder Ecke begegnet einem der tolle holländische Humor. Das ganze Artwork-Konzept verdient einen Orden. Es verleiht dem Festival einen ureigenen Spirit, den es so in Deutschland nicht gibt. In Holland feiert man ein bisschen kreativer, irgendwie verrückter. Man ist, wie man ist. Ohne große Posen. (Den Jutebeutel dürfen die Berliner trotzdem mitbringen. Der ist bereits Weltkulturerbe.)
Mir bleibt nur zu raten, den hübschen Festival-Hintern mal über die Grenze zu buchsieren und die lohnenswerten 180 Taler zu investieren. Die Holländer sind super herzlich und spendieren einem auch mal einen Dusch-Chip im Wert von 2,60€, wenn man gerade keinen mehr hat (Danke an Unbekannt!). Warmes Wasser gab es dafür auch zu jeder Tageszeit, hört hört!
Merke: Das Festival ist sehr sehr früh ausverkauft. Line-Up-technisch muss man also einfach ein bisschen mutig sein. Große Namen hat man aber in jedem Falle immer parat. Darüber hinaus ist der Mix bunt und man bekommt die Gelegenheit auch ein paar holländische Größen zu entdecken.
Fahrt nicht zum fünften Mal aufs Hurricane. Fahrt zum Lowlands und schnappt mal wieder über. Ihr habt mein Wort.
[Noch nicht überzeugt? Dann schaut doch mal hier vorbei.]
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