„Es ist viel zu heiß zum Reden, aber wir müssen ja auch nicht reden„, ließ Sophie Hunger ihre Fans beim Greenville Festival am Sonntag wissen. Ähnlich ging es uns – die Hitze verhindert so manchen klaren Gedanken und sorgte für eine gewisse Trägheit, so dass wir Euch von den beiden letzten Greenville Tagen nur ein paar Eindrücke präsentieren und nicht solch einen super Rückblick wie auf den Greenville Freitag: „Bewegt Euch ihr Bauern“.
Nach ihrem Konzert am Sonntag eilte Sophie Hunger übrigens nicht zur RadioEins Bühne wo ihre Freunde von Tocotronic spielten, sondern wurde von uns in der Halle vor der Greenville Stage bei Efterklang gesichtet. Andersrum schaute Tocotronic Frontmann Dirk von Lotzow sich sehr wohl Sophies Konzert an, wie er kurz zuvor im Interview bei RadioEins verriet. Uns fiel die Entscheidung allerdings auch schwer, der Weg zwischen der Halle und RadioEins-Bühne war aber glücklicherweise nur kurz.
Wer sich am Festivalsonntag gegen 19Uhrauf der Bühne vor der Visions Stage befand, hörte plötzlich einen Helikopter anfliegen – zu sehen war aber keiner, die PA ließ ihre Rotorenblätter als Intro für die Kaiser Chiefs kreisen, die sozusagen virtuell anflogen. Es folgte eine energetische Liveshow, deren erstes Opfer ein Fingernagel von Frontmann Ricky Wilson wurde. Das Publikum ging gut mit – trotz der lichten Massen vor der Bühne probierten es viele mit Crowdsurfing, kleinere Moshpits gab’s sogar auch.
Ricky Wilson lief derweil nicht nicht auf der Bühne auf und ab, er rannte auch quer durchs Publikum, kletterte an dem kleinen FOH herum, woraufhin er erneut das Publikum auf seinem Weg zurück querte. Ein gelungener Gig bei Sonnenuntergang, alle feierten mit den Kaiser Chiefs ein wirklich gutes Festival.
Kvelertak feierten anschließend auf der Greenville Stage eine Rockshow, die sich sehen lassen konnte. Ganz im Gegensatz dazu gab es anschließend den Mädchenchor Scala unter Leitung der Kolacny Brothers auf der RadioEins Bühne.
Im Programm hatten sie diverseste Coverversionen mit enormer Genrereichweite von Coldplay bis Rammstein. Die Besetzung wechselte von Chor mit Piano bis zu Chor mit Piano und Band (Akustikgitarre, E-Gitarre, Bass, Schlagzeug und männlicher Engelsgesang).
Zum Schluß gab’s ein Die Ärzte Cover mit „Schrei nach Liebe“ – es ist schon ein besonderes Erlebnis, wenn gut 30 elegant gekleidete Sängerinnen zwischen 14 und 24 „Ohoho – Arschloch! Arschloch! Arschloch!“ singen. Mit den Zugabeforderungen war sich das Publikum dann auch einig.
Zurück auf der Greenville Stage feuerte dann Comeback Kid die nächste Ladung härtere Musik ab. Soviel Scheiß und Speichel wie mit Kvelertak und Comeback Kid hatte die kleine Bühne in der Halle vermutlich das ganze Wochenende nicht gesehen. Die kanadische Hardcore-Punk Band hatte zudem noch viele Fans vor der Bühne. So ging’s dann auch schnell ab mit Circle-Pits, wo erstaunlich viele kleine Mädels kräftig mitmischten. Einige Comeback Kid Shirts und sehr viel tätowierte Haut war zu sehen, soviel gab’s wohl ansonsten nur bei Atari Teenage Riot am Festival-Freitag.
Nick Cave startete dann mit The Bad Seeds etwa 15 Mitunen hinter dem Zeitplan. Auf der Bühne wurde es dann immer heißer, während sich draußen so langsam der folgende Temeratursturz ankündigte – ein Glück für die Band, deren Mitglieder alle mit Jackett nicht nur fein, sondern auch recht warm angezogen waren. Nick Cave selbst legte dann aber doch kurz nach elf das Jackett ab. Als dann auch noch Petrus‘ riesige Windmaschine angeworfen wurde und der Nebel effektvoll im Licht der Bühne verwirbelte, war die Stimmung perfekt. Auch die Wetterleuchten über dem Gelände mischten sich optimal in die Atmosphäre, gerade weil das Donnergrollen von The Bad Seeds gleich noch nachgeliefert wurde.
Ein druckvoller, klarer, fein arrangierter und bestens abgemischter Sound hallte auf das Greenville Publikum herunter, das sich hier so zahlreich wie bei keinem anderen Konzert des Wochenendes zusammen fand. Überhaupt waren am Sonntag bemerkenswert viele Tages-Bändchen an den Handgelenken zu sehen. Auch wenn Songs und Arrangements von 5-10 Minuten Länge eigentlich nicht so recht festivaltauglich sind, traf diese Show den Herzschlag der meisten Besucher.
Nicht so präsent wie Nick Cave, aber ebenfalls eine schillernde Figur auf der Bühne machte Multiinstrumentalist Warren Ellis. Seine Violine findet in fast jedem Song Beachtung, eben streicht er noch gefühlvoll über die Saiten und gleich schmeißt er extatisch den Bogen in die Bühnen-Katakomben, nimmt dann die Violine zur Brust und hämmert auf sie ein wie auf eine E-Gitarre. Bei der Zugabe bläst er in eine Querflöte.
Eine weitere Zugabe wollte Nick Cave wohl auch geben, wurde aber von einem Mitarbeiter mit erklärenden Worten von der Bühne geführt. Kurz darauf kam die Durchsage, dass man eine Unwetterwarnung erhalten habe, alle das Gelände und den Campingplatz verlassen und die Autos aufsuchen sollen. Mit dieser Evakuierung endete das Hitzefestival Greenville 2013. Menschenmassen warteten dann auf den Shuttlebus, Zuganreisende wurden in der Halle untergebracht in der zu diesem Zeitpunkt die Aftershowparty starten sollte – das einzige, aber gut zu verschmerzende musikalische Unwetteropfer.
Zwei Stunden eher, und wir hätten ein grandioses Festivalfinale verpasst, das durch die heranfliegenden Blitze und Windböen aber auch eine unverhofft mystische Vollendung fand. Mancheiner mag vielleicht der The Bad Seeds-Zeit hinterhertrauern, als Mick Harvey noch prägender Teil des Sounds war – als druckvolle Untermalung dieser Melancholie würden wir dann aber gleich den ’neuen‘, aktuellen Bad Seeds Sound empfehlen.
Gefühlt war Nick Cave während des halben Konzerts im Bühnengraben zu Hause und bestieg hier und da den Wellenbrecher. Ganz nah auf einer Hand aus dem Publikum stützend sang er den Higgs-Boson Blues – „Can you feel my heartbeat?“.
(Leider fehlen uns vom Greenville-Sonntag einige Fotos, Bilder von Comeback Kid und Nick Cave sind PR-Material oder entstammen früheren Konzerten.)
Hier gibt’s weitere Bilder von Greenville Freitag, Samstag und Sonntag 2013.
1. August 2013 um 11:10
[…] 1: Greenville Sonntag – “can you feel my heartbeat?” sagt: 31. Juli 2013 um […]