Groezrock 2012 – Von Rancid über Hot Water Music zu Refused

News am 2. Mai 2012 von timo & friends

Als wir Anfang des Jahres entschieden, die langjährige Groezrock-Tradition auch in diesem Jahr wieder zu begehen, war ich noch skeptisch, ob und für welche Acts sich die in diesem Jahr wieder erhöhten Ticketpreise von 125€ für das Combiticket inklusive Campingplatz rentieren würden. Aber der Moment, in dem sich 60.000 Fäuste in den Himmel strecken, sich 30.000 Stimmen in den Chor, der von der Bühne schallt, einreihen, die Gänsehaut wieder die ganze Nacht hält und du das Grinsen nicht aus dem Gesicht bekommst, zeigt nicht nur, dass sich das Geld, die An- und Abreisestrapazen und die Kopfschmerzen drei Tage hintereinander gelohnt haben, sondern vorallem, wofür wir alle leben und was Musik zu der schönsten und wichtigsten Sache der Welt macht.

Aber zurück zum Start. Freitag, 27.April 2012. Da das letzte Aprilwochenende(traditionell Groezrockzeit) in diesem Jahr einen Brückentag zum 1.Mai lieferte, verlegten die Organisatoren die Konzerte auf Samstag und Sonntag. Freitag war also reiner Anreise- und Campingplatzpartytag. Dies war dann auch spätestens am Campingplatzeinlass klar, wo sich die ersten Tausend Menschen in unendlichen Schlangen und Gruppen von Wegelagerern tümmelten. Wieso man bei den Organisatoren auch im 21. Jahr des Festivalbestehens nicht auf die Idee kommt, diese ewige Stresssituation am ersten Tag durch einen zweiten Zugang am anderen Ende des Geländes zumindest ein wenig zu entzerren, bleibt die offene Frage des Wochenendes. So war man dann erstmal zwei Stunden mit „einchecken“ beschäftigt. Nachdem das Zeltlager errichtet war, kamen die ersten, zweiten und dritten Getränke zum Einsatz, während man sich für Getränke vier bis acht ins Partyzelt begab, wo DJs Klassiker aus dem Lineup und den ewigen Hitlisten der Punk- und Hardcoregassenhauer(Bsp: Pennywise – Bro Hymn) der Meute, die ziemlich bunt gemischt daherkam, einheizten. Ob oder wie man violent dancing zu Offspring beurteilt ist in dem Fall den Tänzern vorbehalten, was die Stimmung allerdings nicht zerstörte. Für die nächsten Getränke wird dann durch die direkte Nachbarschaft des Zeltlagers gezogen, neue Leute aus der ganzen Welt(von Brighton bis Wien und von Bitburg bis Novosibirsk) kennengelernt, unglaublich viel Blödsinn geredet, versprochen, gewettet, getrunken und wieder vergessen. Schöner erster Tag, der auf dem vom Regen ordentlich aufgeweichten, aber nie schlammigem Ackerboden mit bester Laune endet.

Am nächsten Morgen dann nicht nur bei uns die Feststellung, dass neben der ein oder anderen Erinnerung an den gestrigen Abend wohl auch der ein oder andere Wertgegenstand(wir hörten von Stühlen, Tischen, Bargeld, diversen Alkoholika, und Kameras) von wem auch immer geklaut wurde. Wie man im Schlaf sein Vorzelt im Auge behalten soll, bleibt schleierhaft. Aber immerhin ging es heute ja auch mit Livemusik los. Den Anfang machten Banquets, die in Deutschland auf dem ur-sympathischen Label Coffeebreath and Heartache erscheinen,  auf der Etnies-Stage mit ebenso sympathischem Pop-Punk, wie es ihn an diesem Wochenende hier zuhauf zu hören gab. Der erste für mich interessante Künstler der Mainstage kam mit den Menzingers, welche ihren leicht verschlafenen Start noch vor der Hälfte des Sets zu einer wirklich guten Show ummünzen konnten. Die Stimme von Sänger Greg Barnett weiß wirklich zu begeistern, was das leider nur halbgefüllte Zelt mit ordentlich Applaus würdigte.

Auf der heute von Hard-, Death- und Metalcorefans bevölkerten Impericon-Stage hatten es im Anschluss We are the in crowd mit einer von leider nur zwei weiblichen Frontsängerinnen (außerdem Vienna) im gesamten Lineup des 21. Groezrock entsprechend schwer, mehr Leute anzusprechen als die paar Dutzend , die auch später am Abend bei Yellowcard und am nächsten Tag bei Simple Plan in Reihe 1-10 vor sich hin kreischten. Yellowcard spielten indes wie etwa Bouncing Souls, Anti-Flag und verschiedene Sänger von anwesenden Bands gleich zweimal am Wochenende. Mit der Fender-Acoustic-Stage hatte man wie im vergangenen Jubiläumsjahr die Möglichkeit geschaffen, sich seine Idole, mitsamt eigenen oder von wem auch immer gecoverten Liedern, in heimeliger Atmosphäre(Kronleuchter, mehrere „Lichtsäulen“ als  Bühnendekoration und -beleuchtung) und nur mit geringster instrumentaler Unterstützung unplugged zu erleben. Das Zelt war jedoch oftmals bei den beliebten(etwa Anti-Flag) und den interessanten(etwa Chuck Ragan) Acts grenzenlos überfüllt, sodass man sich teilweise zu früh von anderen Bühnen verabschieden musste um überhaupt noch einen Platz zu ergattern. Ein ähnlich offenes Zeltkonzept wie bei den anderen Bühnen wäre hier vielleicht überlegenswert um auch allen gerecht zu werden.

Highlights auf der Acoustic-Stage am Samstag waren für mich die Auftritte von Mikey Erg(später noch mit Off with their Heads auf der Etnies Stage), Face Tomorrow, Garrett Klahn(u.a. Texas is the Reason) und, für mich die Überraschung des Tages, die bereits erwähnten Vienna mit einer unglaublich mitreißend emotionalen, alles erweichenden Stimme, die sich mit den, wegen des Alternativangebotes auf der
Mainstage mit Reel Big Fish leider doch eher spärlich gesäten Seelen im Zelt direkt zu unterhalten schien.

Reel Big Fish zeigten währenddessen wofür sie da sind: zum Tanzen. 5Mal das gleiche Lied in 5 verschiedenen Versionen mit 5 verschiedenen Tänzen. Und alle machen mit. Überhaupt war der Tag fürs Tanzen jeder Art wie geschaffen. Denn hiernach gings an die Etnies-Stage zu The wonder years, Set your Goals und Verse, wovon ein Auftritt größer war als der andere. Das Gute an der Etnies-Stage ist das Fehlen eines Konzertgrabens und aggressiver Security, was totales Konzerterlebnis möglich macht, inklusive Stagediven, Mic-Grabben und dem ganzen andern Zeug, das die coolen Kids so machen, wenn sie mal dürfen. Ebenfalls starke Konzerte lieferten hier Red City Radio(!), Such Gold, 7 Seconds und vermutlich auch Gorilla Biscuits, die jedoch aufgrund von Chuck Ragan parallel auf der Acoustic-Bühne leider für mich ausfielen. Und apropos Tanzen gab’s natürlich auf, von und vor der Impericon-Stage auf die Fresse, sowohl akustisch als auch oftmals physisch, wovon man sich bis Sonntag im ein oder anderen Gesicht überzeugen durfte. Für die, denen’s gefällt, gabs etwa die australischen Größen Parkway Drive, die vielleicht einzig linke Band aus Saalfeld(Thüringen) Heaven Shall Burn und die Chaoten und Herrscher über jede Materie Dillinger Escape Plan. Den krönenden Abschluss des ersten Musiktages markierten die ewigen Helden von Rancid. Ob der Name größer war als der Auftritt soll jeder für sich entscheiden, wenn sich jedoch bei „Fall back down“ all die Punks und Skins in den Armen liegen und sich schwören, sich immer Rückendeckung zu geben und auch in den schlimmsten Stunden Freunde zu sein, dann sind die Kids united und man kann sich endlich wieder zum Campingplatz aufmachen, wo’s so viel zu erzählen und trinken gibt und jeder, der Spaß sucht, ihn auch irgendwo findet.

                    

Der so unglaublich lange ersehnte Sonntag des 2012er Groezrock machte sich mit dem Hahnenkrähen zum Sonnenaufgang, der durch die ländlichen Gegenden von Meerhout schallte, bemerkbar. Hot Water Music, Alkaline Trio, Chuck Ragan und natürlich DER Auftritt von Refused. Wieso hat der Tag nur 24 Stunden? Und wieso keiner dieser Acts mehr als 45 Minuten Spielzeit, von Refused mit einem lächerlich-kurzen 1-Stunden-Slot mal ganz zu schweigen? Aber zurück zum Morgen, meinen Start in den Konzerttag machten die überragenden Red City Radio, die schon am frühen morgen(11:40 ist wirklich zu hart) ähnlich bärtig daherkamen, wie man es den gesamten Tag über auf allen Bühnen des Festivals beobachten konnte. Neben den haarigen gab es auch musikalische Gemeinsamkeiten zu den später thronenden Hot Water Music und Alkaline Trio. Die Ähnlichkeit der Stimmen, die durch Mark und Bein gehen, ähnlich wie eine Horde Braunbären, die sich morgens um 5 nach der zweiten Gallone Whisky und dem dritten Zigarettenautomaten über Freundschaft und die Liebe, und das Gefühl der Geborgenheit, ihre Wunden, ihre Narben, die richtigen und vorallem die falschen Entscheidungen unterhalten.

Dazu diese Melodien, diese vertrauten Akkorde, die dich schlagartig an diese eine Geschichte denken lassen, die für dich die Welt bedeutet, auf diesem einen Festival damals. Diese Beschreibung könnte nicht besser zu Dave Hause und Tommy Gabel passen, die auf der Acoustic-Stage in Revival-Tour-und-Folk-Manier an den Mikros hin und her wechselten was das Zeug hält, nur muss man sich bei ihnen keine Sorgen machen, dass sie einen im nächsten Moment fressen könnten. Das Publikum zeigte sich nur wenig beeindruckt von dem Gebrülle und hat ordentlich gegengehalten, was sich bei dem Großteil jedoch nach 2 Festivaltagen als eher nicht so erfolgreich herausstellte. Doch noch war da noch ein bisschen Stimmband über, das noch ein hohes Krächzen ermöglicht. Und so schließt sich der Kreis zum großen Headliner, der ausschlaggebend für meinen Ticketkauf war und der mich nicht enttäuschte. Nachdem sich die Horden aus dem Acoustic-Zelt über die mittlerweile wiedermal komplett planierte Wiese zur Mainstage geschoben, zum letzten Mal den fiesen Geruch ebendieser braunen Ekelhaftigkeit eingeatmet, zum letzten Mal einen ordentlichen Platz gesucht, zum achtletzten Mal den Timetable überprüft hat stehe ich vor einem schwarzen Nichts. Ein riesiger black bloc, der über der Bühne hängt, dazu merkwürdig anstrengende Soundfragmente. Im gesamten Zelt, vom Merchzelt bis zur Monsterbühne, von dem Jupiler-Rodeo-Stand bis zum Ausgang stehen die Leute um eine der wenigen Bands zu sehen, die es geschafft haben, Gesellschaftskritik konsequent umzusetzen, ohne jedoch zu plakativ zu sein und diese auch noch mit den entsprechenden Emotionen zu untermalen. Wenn dir da bei „Rather be dead“ nachdem sich der schwarze Kasten als riesige Refused-Schablone herausstellte der altgewordene Mann auf der Bühne immer und immer wieder erzählt, wie sehr er normative Zwänge, Unterdrückung und Traditionen verabscheut, dann muss man ihm das zum einen glauben, weil man seine eindringliche Stimme nie mehr wieder aus dem Kopf bekommt und zum anderen, weil er immer seine Glaubwürdigkeit bewahrt hat.

Als sie etwa 1998 mit ihrem Erfolg und dem politischen Desinteresse ihrer Fans zu kämpfen hatten, gaben sie ihre Auflösung bekannt. Die Konzerte in diesem Jahr seien nötig, um den Menschen zu zeigen, dass die Lieder und vorallem ihre Texte immernoch relevant und vorallem aktuell sind, proklamierte Sänger Dennis Lyxzén von der Bühne. Und wenn dann die ganze Menge nach 50 Minuten kompletter Extase, an jedem Wort ihres Helden hängend, bei „New Noise“ einstimmig in eine der legendärsten Textstellen der 90er-Jahre-Rockmusik einstimmt und einen neuen Rhythmus fordert, der nicht führt, sondern gegen den Takt tanzt, denkt man sich, dass auch heute eine Bandauflösung nur konsequent wäre. Wollen wir hoffen, dass sich das ändert. Mit dem Eindruck des vielleicht besten Groezrock-Konzertes leert sich das Gelände zum letzten Mal für dieses Jahr. Die Bierdosen tun’s ihm gleich und am nächsten morgen auch der Campingplatz. In den nächsten Tagen werden auch die riesigen Zirkuszelte aus dem Landschaftsbild verschwinden und mit ihnen auch die Kopf- und Gliederschmerzen der letzten Tage, das ewig-flaue Gefühl im Magen und vielleicht auch irgendwann das Grinsen im Gesicht und die Erinnerungen an diese Wochenenden im Leben. Und falls das passieren sollte, gibt es immernoch diese Melodien, diese vertrauten Akkorde, die dich schlagartig an diese eine Geschichte denken lassen, die für dich die Welt bedeutet, auf diesem einen Festival damals.

 Text: Thorsten Astheimer/ Bilder: Timo Ringelstein

(Wir berichteten im Voraus über das Groezrock Programm, in unserer Galerie gibt es weitere Groezrock Bilder von 2012, Anm.d.Red.)

3 Kommentare zu “Groezrock 2012 – Von Rancid über Hot Water Music zu Refused”

  1. Nummer 1: Maifeld Derby – feiern mit Ente, Wall of Love und Panda | Festival News sagt:

    […] Die Essenspreise waren vor allem für die recht üppigen Portionen auf jeden Fall angemessen. Allerdings waren 3€ für ein 0,5L Softdrink oder 0,4L Bier doch etwas viel. Möglicherweise sind wir aber nur vom „Groezrock Festival“ mit 5€ für 3 Bier verwöhnt. […]

  2. Nummer 2: Traffic Jam 2012 – Zwischen Hitze, Schlamm-Pit und Gummibärchen | Festival News sagt:

    […] Neben den vielen Besuchern die Set Your Goals zuschauten und aktiv ausrasteten, gesellte sich noch ein nicht flugfähiges Geflügeltier aus Gummi in die Luft. Die nicht vorhandene Flugfähigkeit, konnten wir eindeutig an den ständigen Abstürzen in die Menge erleben.Nicht nur mit ihrer Show und Stimmung konnte Set Your Goals überzeugen. Sondern auch die zwei Sänger, die so unterschiedlich im Gesang nicht anders sein könnten, beeindruckten uns wie wohl auch ein Großteil der Zuschauer.Allerdings konnte die Show leider nicht an den Bühnensturm auf dem diesjährigen Groezrock Festival anknüpfen. […]

  3. Nummer 3: Groezrock Bandwünsche + Termin 2013 | Festival News sagt:

    […] der Hinweis zu unserem Rückblick auf das vergangene Groezrock “Von Rancid über Hot Water Music zu Refused“, weiteres zum Groezrock hier bei uns und auf http://www.groezrock.be, die deutsche Infoseite findet […]

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