Auch wenn Hünxe eher den wenigsten bekannt sein dürfte, lockt die kleine Gemeinde bei Bottrop seit 2008 jedes Jahr um die Pfingszeit bis zu 7000 Besucher an. Bei diesen dürfte es sich größtenteils um Anhänger der Punkszene handeln, denn die dort auftretenden Bands kommen ebenfalls zum großen Teil aus diesem Bereich.
Das Ruhrpott Rodeo besuchten die Festivalhopperinnen Sabrina und Lorena.
Nach, dem Pfingsstau geschuldeten langer, Anreise endlich angekommen, stürmten wir voller Vorfreude Richtung Festivalgelände. Schnell die Tickets gegen das rote Festivalbändchen eingetauscht und ab zur Einlasskontrolle. Schon dort das erste positive Erlebnis, denn im Gegensatz zu anderen Festivals wurden „verbotene Gegenstände“ wie Deos oder Flaschen nicht einfach weggeschmiessen, sondern kostenlos aufbewahrt. Später konnte man sich diese dann gegen Abgabe der zuvor erhaltenen Asservatenmarke wieder abholen.
Auf dem Festivalgelände selbst war dann jedoch noch nicht viel los, die meisten waren wohl noch damit beschäftigt ihre Zelte aufzuschlagen und ihr Proviant zum Platz zu schleppen. Wer früh da war, dürfte allerdings keinen allzuweiten Weg gehabt haben, denn Parkplatz und Zeltplatz lagen direkt gegenüber, das Festivalgelände links vom Zeltplatz. Der Weg hierhin war also angenehm kurz, so dass man nicht immer schon eine Stunde vor Konzertbeginn loslaufen muss wie man es von größeren Festivals kennt.
Während „Subhumans„ auf der Ruhrpott Stage, der größeren der beiden Bühnen, performten füllte sich der Platz langsam nach und nach. Auch als danach gegen 19 Uhr die „Blockflöte Des Todes“ die Rodeo Stage eröffnete versammelten sich nach und nach immer mehr Festivalbesucher vor der Bühne. Der Singer-Songwriter überzeugte das Publikum mit witzigen Sprüchen und guter Laune, und schaffte es sogar das Publikum im Kanon singen zu lassen: „Ich bin so müde denn, ich hab Chlamydien.“ Selbst als er Britney Spears „Evertime“ in seiner eigenen Version coverte sprang das Publikum voll darauf an. Auch der Schlagzeuger Olli von den abstürzenden Brieftauben befand sich unter den Zuschauern.
Schon wesentlich voller war das Gelände als Egotronic ihren Auftritt hatten. Hier entstand auch das erste mal ein größerer Circle Pit, das bisher eher zaghafte Hin- und Hergewippe wurde jetzt zu lebhafteren Tanzen, oder viel mehr zum „Raven gegen Deutschland.“ Das Publikum zeigte sich insbesondere bei Liedern wie „Bismarck“ oder „Die Band der Vollidioten“ textsicher und unterstützte die Aussagen solcher Lieder mit Zwischenrufen wie „Nie, nie, nie wieder Deutschland!“ Auch die ersten Bengalos wurden gezündet, die dann allerdings schnell nach vorne zu den Securitys wanderten und von diesen aus Sicherheitsgründen entsorgt wurden. Zum Abschluss lud die Band die kleine Laura mit auf die Bühne, die im Vorfeld äußerte unbedingt ein Foto mit Ihnen machen zu wollen.
Für die etwas „Härteren“ spielten später Total Chaos auf der kleinen Bühne, während auf der großen alles für Agnostic Front vorbereitet wurde. Auch hier war der Platz gut gefüllt, und die Stimmung blieb so wie auch bei den übrigen Bands wie Feine Sahne Fischfilet und Refused ausgelassen.
Nicht selten findet man auf Festivals auch den ein oder anderen in Verkleidung, diese gab es hier auch. Allerdings waren hier eher weniger Sumoringer oder Pikachu zu finden, sonder eher der Teufel und Schweinekopfmasken. Sogar eine Braut traf man an, doch diese war nicht verkleidet – sondern feierte tatsächlich in ihrem Brautkleid mit ihrem frisch angeheirateten Ehegatten. Ebenso eher ungewöhnlich war, dass es keine Pfandbecher gab. Für die Festivalbesucher zwar ansich sehr angenehm, aber dementsprechend sah auch das Gelände aus, denn Mülleimer gab es ausschließlich an den Bierbänken im Bereich der Essensstände.
Eine super Idee dagegen war der Spielplan auf den Pfandmarken. Wusste man also gerade nicht wer wann wo spielte und auch nicht zufällig Jemanden antraff, der sich den Spielplan mit Panzertape auf den Rücken geklebt hatte, so waren die Pfandmarken die ihren Hauptzweck in der schnellen Bezahlung der Getränke hatten, gleichzeitig sehr nützlich sein. Eine Pfandmarke kostete im übrigen 2,80€, eine Cola oder ein Bier bekam man für eine Pfandmarke. Für Wasser bekam man sogar noch 50ct zurück. Also für ein Festival recht humane Preise, auch wenn vereinzelte Leute selbst hier andere um „eine Kollekte“ baten.
Am nächsten Tag war die Besucherzahl anfangs aucheher übersichtlich, doch je später es wurde, desto mehr Besucher fanden sich zusammen. Spätestens als Knorkator die Bühne betraten füllte sich der Platz mit Interessierten. Das es sich nicht um eine Durchschnittsband handelt wurde wohl schon am Outfit des Sängers „Stumpen“ klar, denn dieser betrat die Bühne lediglich in einer sehr knappen, schwarzen Lackpanty. Auch seine fast vollständig schwarz tätowierte linke Körperseite sowie sein Tanzstil dürften für den ein oder anderen wohl gewöhnungsbedürftig sein. Für die Besucher des Ruhrpott Rodeos aber wohl eher weniger, denn diese mochten Knorkator und feierten kräftig zu „alter Mann“, „Wir werden (alle sterben)“ und co.
Dass Die Kassierer ebenfalls zahlreiche Zuschauer anlockten ist wohl wenig überraschend. Ebenso wenig wohl, dass Wölfi, der Sänger, bereits reichlich betrunken schien. Einige male musste er auf einen Zettel schauen, um Texte oder Zwischenreden abzulesen. Dennoch tat dies der Stimmung keinen Abbruch. Zu Beginn des Konzerts hatte er ein „Wölfi wählen“ T-Shirt an, denn zur Zeit kandidiert er als Oberbürgermeister für Bochum. Das war auch an den Plakaten im Publikum zu bemerken, die Inhalte wie „Oberbürgermeister Wölfi“ beinhalteten. Auch sprach Wölfi das Publikum wie gewohnt mit „Sehr geehrte Damen und Herren“ an. Insbesondere Klassiker wie „Das schlimmste“, „großes Glied“ oder „Blumenkohl am Pillemann“ sorgten für Erheiterung und gute Stimmung, poggende und lachende Menschen. Natürlich ließ es sich Wölfi auch nicht nehmen, seinen Hüllen fallen zu lassen. Als er die Hose jedoch nach wenigen Sekunden wieder anzog, zeigten sich die Fans enttäuscht, pfiffen und buhten ihn aus. Daraufhin fragte er das Publikum, wer sich denn auf der Bühne ausziehen wolle. Am Anfang war es nur ein einzelner Mutiger, als später jedoch vor einem Lied der Einspieler „Das nächste Lied eignet sich hervorragend zum Nackttanzen“ ertönte, wollte man plötzlich gar nicht mehr so genau hinschauen, denn auf der Bühne tanzten jetzt an die zehn nackten Männer und eine quasi nackte Frau. Zum Song „vegane Pampe“ hatte Wölfi sich weibliche Unterstützung mitgebracht und stimmte zu einem anderen Zeitpunkt den Kanon „stimmt ein, stimmt ein, Sexismus ist gemein“ an.
Auf der Nebenbühne bereiteten sich in der Zwischenzeit Agnetha vor – eine ABBA Coverband. Wer hier einen leeren Vorplatz erwartete, hatte sich geirrt. Stattdessen fand man eine Horde Punks vor, die zu ABBA feierten, klatschten, Feuerzeuge rausholten. Die Punks zeigten sich mehr als tolerant gegenüber der Band in ihren weißen Glitzerkostümen. Diese hatte wohl selbst nicht mit einem solchen Erfolg gerechnet, umso besser war die Stimmung, am Ende gabs Zugabe-Rufe. Aber auch bei Danko Jones und Stiff little Fingers war die Stimmung natürlich überragend, es wurde bis spät abends gepoggt und mit bester Laune gefeiert.
Wer in der zwischenzeit Hunger bekommen hatte aber keine Lust oder Zeit hatte, sich auf dem Zeltplatz selbst etwas zu grillen, konnte sich an einem der Stände auf dem Festivalgelände stärken. Dort gab es Pizza, Crêpes, Steak und Wurst, so wie Pommes, gebratene Nudeln und dergleichen. Zur Freude aller Vegetarier gab es auch einen eigenen Veggie-Food-Stand, direkt daneben wurden zudem veganische Fallafeln angeboten. In der Mitte all dieser Stände wurden reichlich Bierbänke aufgebaut, so dass man immer einen Platz fand. Von dort hatte man außerdem gute Sicht auf die Rodeoreitenden Besucher. Häufig ließ sich erahnen, dass der ein oder andere vielleicht schon mehr als nur ein Bier konsumiert hatte, meistens wenn diese beim Aufsteigen bereits auf der anderen Seite wieder herunterpurzelten. Wollte man gerade mal keine Band sehen, konnte man sich die Zeit auch an einem der Stände rechts vom Eingang vertreiben. Dort konnte man zwischen reichlich Schallplaten stöbern, T-Shirts verschiedenster Bands erwerben oder sich sonstige Aufnäher oder Accessoirs zulegen. Natürlich durfte auch ein „Gegen-Nazis“ Stand nicht fehlen, ebensowenig wie die Möglichkeit, sich „FCK CPS“ Taschen oder ähnliches zu kaufen.
Am Sonntag Mittag traten Dritte Wahl, angekündigt als „Die Fliegen“ auf. Das hatte sich aber wohl unter den Besuchern herumgesprochen, für die frühe Uhrzeit war es ungewöhnlich voll. Wer es jedoch nicht mitbekommen und erst später davon erfahren hatte, dürfte sich geärgert haben. Alle anderen wurden nicht enttäuscht und bekamen das, was man auch sonst von der seit 86 bestehenden Band erwarten kann.
Beachtlich am Ruhrpott Rodeo ist die Handyfreiheit. Ich habe seit langer, langer Zeit nicht mehr so wenig Handys gesehen. Obwohl vom Schüler mit grünen Haaren bis zum Punker kurz vor der Rente wirklich jedes Alter vertreten war, schienen sich die Leute eben irgendwie doch sehr zu ähneln. Natürlich sah man einige Leute, die man rein äußerlich nicht der Punkszene zuordnen würde, doch das Interesse für die Musik und die politische Einstellung der meisten vereinte. Hier gab es keine Gruppen, die an „Generation Head down“ erinnerte, die permanent am Handy hingen und kaum mitbekamen was um sich herumpassierte. Wenn mal ein handy gezückt wurde, dann höchsten um mal ein Foto zu machen, doch selbst das war selten der Fall. Dafür waren alle viel zu sehr damit beschäftigt, zu tanzen, zu trinken, sich zu unterhalten, eben einfach Spaß zu haben. Hatte man seine Freunde beim Poggen verloren und zuvor vergessen, einen Treffpunkt auszumachen, wurde man innerhalb weniger Minuten angequatscht und in eine neue Gruppe integriert, auf eine äußerst sympatische, keine plumpe Art.
Die Hip-Hop-Gruppe „Antilopen Gang“ fiel wohl musikalisch etwas aus der Reihe, fand aber dennoch reichlich Zuhörer, die gefallen an ihrer Musik und ihren Texten fanden. Zumindest bei „Beate Zschäpe hört U2“ wurde deutlich, dass viele die Antilopen Gang auch vorher schon kannten, weitere Pluspunkte smmelten sie durch das covern eines Songs von „Knochenfabrik“, die bereits ein pr Stunden früher ufgetreten waren.
Als die Sonne langsam verschwand, fingen die ersten an ihre sieben Sachen zu packen und ihre Zelte abzubauen. Doch als Sondaschule ihr Banner aufspannten, füllte sich der Platz noch einmal. Die Stimmung war grandios, es wurde gepoggt, getanzt, gerudert und gesungen. Zumindest gefühlt das Konzert mit den meisten Crowd-Surfern. Sie spielten auch bereits drei Lieder ihres im Juli erscheinenden Albums, die zumindest beim überwiegenden Teil der Besucher auf Begeisterung stoßen. Außerdem zeigte sich die Band spontan, als sie beschlossen ein ruhiges gegen ein schnelles Lied auszutauschen, als das Publikum sich davon mehr angesprochener fühlte.
Auch als New Model Army und die Lokalmatadore später auftraten bemerkte man kaum, dass viele sich bereits auf den Heimweg begeben hatten. Die Übriggebliebenen feierten bis zum Schluss und nutzen die letzten Konzerte, um noch einmal alles zu geben.
Wer im übrigen das Auto stehen gelassen hatte, konnte vom Bahnhof Feldhausen für 3€ mit dem Shuttle zum Gelände fahren. Dieser fuhr von Donnerstag bis Montag, an den relevanten Tagen jedoch nur bis 23 Uhr. Die letzten Bands konnte man dann also nicht sehen, das ist aber wohl dem ganz einfach dem geschuldet, dass so spät auch keine Züge mehr fuhren und der Shuttle somit überflüssig wäre. Stattdessen standen gegen Abend reichlich Taxen vor dem Parkplatz, so dass eine Alternative geboten wurde.
Zusammenfassend lässt sich demnach sagen: Dieses Festival ist empfehlenswert! Wer also Interesse an solcher Musik, super netten und aufgeschlossenen Menschen und guter Laune hat, sollte das Ruhrpott Rodeo 2016 nicht verpassen. Auch wenn hier schnell klar wird, dass bunte Haare, verrückte Frisuren und ein bestimmter Kleidungsstil, sowie Tattoos und Piercings nicht nur ein Klischee sind, sollte sich dadurch niemand abgeschreckt fühlen, auch „Normalos“ sind hier willkommen – Voraussetzung hierfür ist einzig und allein Aufgeschlossenheit.
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