Auf geht’s. Startschuss, Los. An einem Tag an dem man vom Wetter her tendenziell Morgens eher verdattert ans Fenster tapst, eine dichte Wolkenwand vor der anderen sieht und sich mit dem Gedanken „Mh. Ne. Lohnt sich nicht.“ wieder in die Federn schmeißt, machen wir uns trotz eher mittelmäßig bis schlechter Wettervorhersage auf den Weg nach Scheeßel zum Hurricane Festival 2014. Wäre ja auch irgendwie namensuntypisch wenn den ganzen Tag die Sonne scheinen würde. (Und wer will schon namensuntypisches Wetter?)
Vom meteorologischen Standpunkt her für das Hurricane also nichts ungewohntes. Die eine oder andere Änderung gibt es aber auf dem mittlerweile seit 18 Jahren am Scheeß’ler Eichenring stattfindenden Festival. Anstelle des bisher zentral auf dem Campingplatz verankerten Uncle Emma Ladens kann man sich nun beim LIDL-Rockshop mit Klopapier, Grillkohle und Tetrakpak-Wein eindecken. Auch wenn Uncle Emma als Marke irgwendwie cooler war, muss man ehrlich sagen, dass die Hütte schon recht schnieke aussieht und neben weiteren Zahlungsmöglichkeiten auch ein wesentlich breiteres Angebot mitbringt. Generell wird beim Camping vermehrt Wert auf Luxus gelegt.
Der Linie folgend trumpft das Hurricane Hurricane in diesem Jahr mit dem Hurricane Resort auf – dem Luxus auf den wir schon lange gewartet haben (kein Witz, steht wörtlich so auf der offiziellen Website). Mit befestigten Wegen, eigenen Sanitäranlagen, WLAN sowie Zelt- und Tiki-Hütten-Aufbau-Service können FDP-Wähler und die, die es mal werden wollen, in ihrem natürlichen Habitat campieren. Gott sei Dank hat sich das mal jemand zu Herzen genommen und eine Strategie entwickelt, mit der man sich von der asozialen Camping-Nachbarschaft abspalten kann. Ab 2015 dann bitte mit Polofeld und Pferdetränke. Wenn man das ein Bisschen sacken lassen hat kann und sollte man aber vielleicht doch mal drüber nachdenken, ob man das mit der Preisdifferenzierung nicht vielleicht doch ein Bisschen übertreibt.
Und weil wir uns jetzt schon so ein Bisschen in die linke Ecke geschrieben haben, beginnen wir unseren Tag passenderweise mit Feine Sahne Fischfilet. Auf der Red-Stage, die 2012 von einer Zeltbühne zur vollwertigen Freiluftbühne ausgebaut wurde, steht die vom Verfassungsschutz als linksextrem betitelte Punk-Band mit Gitarre, Bass, Drums, zwei Trompetern und Gesang vergleichsweise dicht gedrängt. Musikalisch bieten die Jungs genau das, was man erwartet. Eineseits nichts wirklich neues, andererseits genau das, was man in der Szene seit Jahren kennt und liebt.
In den Ansagen gibt sich Sänger Jan “Monchi” Gorkow angenehm politisch. So wird neben diversen Widmungen für enge Freunde und Lob für seine stagedivende Mutti auch exzessives Nazi-Bashing betrieben. Obwohl die Stimmung vor der Bühne recht gut ist, lichten sich die hinteren Ränge schon nach gut 5 Songs. Da auch wir relativ fix verstanden haben, dass Nazis doof sind und sich musikalisch nur relativ wenig Flexibilität abzeichnet folgen wir den Spaltern und dackeln ab in Richtung Blue Stage um uns in Kürze The Naked and Famous anzugucken.
Die frisch in Europa angekommene Elektro-Pop Formation beginnt ihren Auftritt mit einem breiten Ambient Intro. Getrieben von elektronisch angehauchtem Schlagzeug über satte Synthesizer-Klänge hin bis zur prägnanten Stimme von Sängerin Alisa Xayalith wird schrittweise die Soundkulisse aufgebaut, für die die Band spätestens seit Young Blood jedem bekannt sein dürfte, der auch nur im entferntesten mit dem Genre verbandelt ist. Mit Rolling Waves geben die Neuseeländer auch Material vom neuen Album zum Besten. Das kommt ganz gut an. Die Reaktionen sind aber stil- und wetterbedingt insgesamt eher verhalten. Zwar finden sich im vorderen Zuschauerbereich immer wieder kleinere Grüppchen, die locker vor sich hin tanzen, der Großteil des Publikums zeigt aber eine höhere Affinität zur Stationarität und beteiligt sich daher eher an Applaus und Armwedelei. Als von der Bühne gegen Ende des rund 45-minütigen Sets Young Blood erschallt, kappen allerdings auch die notorischen Klatscher ihre Wurzeln und Tanzen ausgelassen unter der dichten Wolkendecke. Kurz darauf ist Schluss und die Damen und Herren verabschieden sich von der Blue Stage. Unterm Strich ein guter Auftritt, der aber seine unter anderen Umständen möglicherweise herausragende atmosphärische Wirkung wetterbedingt nicht vollständig entfalten kann. Bei angenehm sommerlichen Klima sind The Naked and Famous sicherlich ein ganz anderes Kaliber.
Ganz anders verhält sich das mit The Subways, bei denen immer wieder aufs neue sch***egal ist, ob es bei Minusgraden hagelt oder das Thermometer an der 40°C Marke kratzt. (Hallo Highfield 2012!) Noch gute 200m von der Greenstage entfernt lässt sich bereits an der Staubwolke im und um den Zuschauerraum erkennen, dass hier wesentlich mehr Bewegung im Spiel ist. Die Subways sorgen schon seit einer guten Viertelstunde in althergebrachter Party-Manier durchgehend für ausgezeichnete Stimmung. Kiss Kiss Bang Bang, Rock & Roll Queen, We don’t need Money, 1AM, Celebrity – alles dabei. Da interessiert es auch nur wenig, dass die Wolken im Hintergrund mittlerweile so aussehen als hätte sie jemand während einer leicht aggressiven Phase mit einem ziemlich dicken Bleistift ausgemalt. Die Zuschauer im Subways-typischen Spring-/Tanz/Kreisel-Mob hüpfen trotz sich ankündigenden Schlechtwetters weiter im T-Shirt über den Platz bis sich Bodenstaub und Bühnennebel zu einer gemeinsamen Suppe vermischen.
Mit Taking all the Blame findet sich auch (endlich) mal wieder ein neuer Song in das Live-Set der Subways, die ja sonst eher für die Kombination „alt und bewährt“ stehen. Gerade wenn das Wetter nicht so ganz mitspielt ist aber genau das eine sehr wirkungsvolle Mischung – man tanzt halt eher zu der Musik die man sowieso schon kennt und gut findet. Nach einer guten Dreiviertelstunde Feierei endet das Set der Subways mit It’s a Party und dem mittlerweile fast obligatorischem Stagedive. Heiter gestimmt verlassen wir die Green Stage. Persönliches Fazit: Subways gehen eigentlich immer.
Nach ausgiebiger Essens- und Trinkenspause (man ist ja auch nur Mensch) steht mit You Me at Six eine weitere Dosis energiegeladener Rock auf unserer to-watch-list.
Voller freudiger Erwartungen lungern wir um um viertel vor Acht an der Red Stage herum und warten auf ein erstes Lebenszeichen der oben betitelten Band und – wer hätte es gedacht – da kämpft sich doch doch tatsächlich zum ersten Mal die Sonne durch! Wir nehmen das mal als gutes Zeichen. Wenige Minuten später stehen die fünf Jungs auf der Bühne und starren dem Feuerball entgegen und meine Fresse… wenn das mit der Sonne kein gutes Omen war! Mit dichten Bass-Fundament, füllender Rythmusgitarre und eierschneidermäßigen Lead-Akzenten bietet der Sound der Engländer alles, was wir jemals von ihnen erwartet haben. Fast als Bonus zu bezeichnen ist dabei die Stimme von Sänger Josh Franceschi.
Sowohl gesangstechnisch als auch vom gesamten Klangbild her erinnern You Me at Six etwas an Rise Against, nur dass der Klang nicht so stark darauf ausgerichtet ist zu einer einheitlichen Soundwand zu verschmelzen sondern die einzelnen Instrumente auch im Mix noch gut unterscheidbar sind. Zusätzlich zu dem ohnehin schon ziemlich genialen Sound der Band wird man auch durch die Bewegung auf der Bühne ausgezeichnet unterhalten. Vom Headbanging der Gitarristen in den härteren Parts der Sets bekommt man schon allein vom Zusehen Nackenschmerzen. Wenn die Bewegung auf der Bühne mal nicht ausreicht wird auch zum Crowdsurfing aufgerufen, wovon man aber nur etwas mitbekommt, wenn man es schafft an dem gut 2 Meter großen Typen im pinken Hasenkostüm vorbei zu gucken. (#Festivalprobleme) Trotz sichtfeldbeschränkender Schlappohren erblicken wir aber kurz nach der Ansage die ersten Torsos, die über die Zuschauerköpfe hinweg rauschen. Kurz darauf die Ansage „This is a Song for all the boys who came here to move. FUCK! SHIT! UP!“. Moshpit. Die Interaktion mit den Zuschauern macht einen sehr guten und vor allem authentischen Eindruck – und das prägt das gesamte Set. Insgesamt glauben wir in You Me at Six eine geniale Live-Band gefunden zu haben, die nicht nur gut klingt, sondern auch in allen anderen Belangen eine gute Figur abgibt. Anstatt an dieser Stelle weiter Lobeshymnen zu singen, die ohnehin in kurzer Zeit wieder vergessen sind, können wir nur empfehlen: angucken, anhören, gut finden!
Dank der ziemlich stumpfen Zuschauerverkehrsführung an der Red Stage und dem doch recht großen Andrang bei You Me at Six können wir unsere Pläne, irgendwie doch noch die letzten Minuten von Elbow mitzubekommen schon ziemlich bald in die Tonne treten. An der Red Stage geht nach You Me at Six viel rein aber nur wenig raus. Einige Sachen ändern sich halt auch dann nicht, wenn man das Zelt drumherum weg lässt. Als wir uns nach gefühlten Acht Jahren, Neunzehn Tagen, Vier Stunden und Drölf Minuten durch die Schleuse gequetscht haben sind Elbow natürlich längst von der Green Stage verschwunden. Das ermöglicht uns aber zu den Klängen von Thees Uhlmann entspannt dem Sonnenuntergang entgegen zu trotten, während der Mann von der Blue Stage her irgendwas über die Straßen dieser Welt singt. Ganz passend also.
Bei all der Wetterromantik dürfen wir unser Ziel aber nicht aus den Augen verlieren: Wir sind auf dem Weg zu The Kooks. Die britischen Indie-Pop-Rocker sind mit einem Lastwagen voll neuem Material angekommen und lassen das auch gleich zu Beginn über die Lautsprecher erschallen. London und Around Town sind zwei Kandidaten, die eher so mittelprächtigen Anklang beim Publikum finden.
Bad Habit hingegen kommt aus der Schublade mit der Aufschrift „hochgradig tanzbar“ und passt somit ausgezeichnet in das ansonsten eher hitlastige Programm der Kooks. Das findet auch das Publikum, das den im Song hintergründig gesungenen Chor mit Seven Nation Army-Fussballstadion-Tauglichkeit partout als Hymne adaptiert und nach Ende des Songs einfach weiter gröhlt. So wünscht man sich das doch wenn man einen neuen Song vorstellt. Da kann sich auch der sonst so coole Herr Pritchard am Mikrofon ein kurzes Grinsen nicht verkneifen. Genau das macht die Kooks aber auch aus. Taktbetonte Tanzmusik mit dem einen oder anderen ruhigen Einschub.
Mit Sofa, Verneigung und Händewinken verabschieden sich die Kooks vom Hurricane 2014 und lassen nebenbei durchblicken, dass sie große Arcade Fire Fans sind. Die eher ruhige Musik von Arcade Fire, die nach den Kooks auf der Green Stage erhallt, passt uns aber gerade nicht in die Klamotte. Zu kalt um einfach nur in der Landschaft zu stehen. Ein Risiko, dem wir zu späterer Stunde bei Bring me the Horizon definitiv nicht ausgesetzt sind.
Bring me the Horizon ist so eine Band, die am Anfang alle Verstärker auf Elf dreht und es für den gesamten Auftritt auch bei dieser Einstellung belässt. Dynamik steht da eher nicht so auf der Tagesordnung. (Wer die Filmreferenznicht nicht erkannt hat schaut sich bitte schleunigst This is Spinal Tap an) Nach einem satten, breiten Intro beginnt der erste Song mit einem Schrei von Lead-Sänger Oli Sykes, der durch Mark und Bein geht. Das hat selbst Chester Bennington in seinen guten Tagen nicht besser hingekriegt. Mit Eintritt von Double-Bassdrum-Geballer und Stackato-Gitarrenriffs wird aber schnell klar, dass das auch die einzige Analogie ist, die man zur Musik des Linkin Park Frontmanns ziehen kann. So richtig metalmäßig sehen übrigens auch die Dreißig (!) rund 1×1 Meter großen Lautsprecherboxen mit Marshall Schriftzug aus, die der Band als Bühnenbild dienen.
Nachdem uns allein der nicht nachlassende Ansturm an Bassfrequenzen bereits weitestgehend kampfunfähig gemacht hat bittet Frontmann Oli zur koordinierten körperlichen Ertüchtigung. „Right there, we need a circle pit! Round and Round. Show us a fucking circle pit!“ Momente später werden vor der Red Stage Schuhe gegen Schubser und Hackentritte getauscht. Nichts für Oma.
Nachdem wir uns eine gute Stunde der durchgehenden Bassmassage hingegeben haben und sich die Kollegen in den Moshpits gegenseitig zum Schnitzel geklopft haben gehen die Lichter aus. Von der Blue Stage hören wir noch den Herrn Macklemore irgendwas über seinen Geburtstag faseln. Das könnte uns in diesem Moment aber nicht weniger interessieren. Vom frühen Aufstehen, Anreise, Zeltaufbau und jeder Menge Pipapo auf dem Festivalgelände sind wir für heute schlichtweg fertig mit der Welt und verziehen uns mit der Hoffnung auf besseres Wetter in Richtung Luftmatratze. Gute Nacht.
22. Juni 2014 um 21:24
Sehr geiler Bericht, werte/r Kollege / Kollegin. Wortgewandt mit Witz, bildlich und schön ausführlich. Und ja, Subways gehen immer.
23. Juni 2014 um 09:09
[…] mit vielen Fotos und zahlreichen Berichten zurück – die ersten sind bereits online: “Warum eigentlich keine Pferdetränke? – Der Hurricane Freitag 2014” und “Sonniger Start zum Southside […]