Das Quasimodo in der Berliner Kantstraße gehört zu den ältesten Jazz-Clubs Berlins und viele Jazz-Größen hatten hier schon mal das Vergnügen. Beim Betreten der Räumlichkeiten fühlst Du Dich sofort wohl. Hier herrscht eine verdammt angenehme Club-Atmosphäre. Man merkt jedoch, dass man direkt im Herzen Berlins ist…
Problematisch ist das jedoch keineswegs, ganz im Gegenteil, auch hier steigen ein paar schräge Vögel die Treppe hinab in den Club unter dem Theater. Die Wände des Clubs sind alle in schwarz gehalten, Portraitaufnahmen bekannter Musiker zieren die Tristesse (vermutlich handelt es sich hierbei um Aufnahmen bekannter Größen des Musik- und Show-Biz, die hier natürlich schon einmal aufgetreten sind – Dizzy Gillespie, Chet Baker, Art Blakey, Chaka Khan, Pat Metheny u.a.). Den Aufnahmen entsprechend vornehmlich Musikanten aus Blues und Jazz.
Als der Einlass endlich offen war, strömten die Massen direkt herein. Unglaublich, der Club füllte sich innerhalb weniger Minuten. Merkwürdigerweise waren kaum jüngere Leute darunter. Ich hatte eigentlich viel mehr junges Publikum erwartet, denn meiner Meinung nach sollte Hendrix-Hansen auch jüngere Leute anziehen… aber vermutlich ist das heutzutage nicht mehr so.
Wie auch immer. Heute steht Hendrix auf dem Programm. Jeder, der schon einmal versucht hat auf einer Gitarre etwas halbswegs anspruchsvolles hinzuzaubern, wird früher oder später über Hendrix gestolpert sein — im warsten Sinne des Wortes. „Randy Hansen plays Electric Ladyland“. Das ist auf jeden Fall mal eine Ansage.
Electric Ladyland — Jimi Hendrix — diese unglaubliche Expressivität seines Blues, gepaart mit psychedelischen Klängen aus Effektpedalen die man schon lange nicht mehr kaufen geschweige denn hören kann, …diese unglaubliche Leichtigkeit beim Spiel, vermischt mit gefühlt unenendlich lang im Raum umherwabernden Klangfassaden und hervorstechenden, gar schrillen Einzeltönen, als ob die Gitarre vor Schmerz und Freude gleichermaßen die Emotionen ihres Bedieners herausschreit, scheinen förmlich die Luft zu zerschneiden. Du wirst quasi eingeschlossen in einem Raum voll mit Klängen, die gleichermaßen Bewunderung und Genußfähigkeit von einem abverlangen.
Der Club füllte sich nach und nach mit älteren Herren, ausgestattet mit weißem Haupthaar, weißen Bärten und/oder beidem. Ein paar aufgeregte Erwachsene mittleren Alters kamen sogar in Begleitung ihrer Damen, obwohl diese nicht alle den Eindruck erweckten, dass sie selber auf die Idee kamen, sich endlich mal wieder „Electric Ladyland“ live reinzuziehen…
Schließlich warten alle auf den unvergleichlichen JMH-Sound und fingen ungeduldig, aber gemäßigt — anders geziemt es sich wohl nicht –, an, leise randalierend auf ihren Plätzen zu randalieren. Das nebenan liegende Theater muss seine Vorstellung erst beenden, bevor hier die Post abgehen darf. Na und dann auf einmal ging’s auch schon volle Kanne los. Die Theater Fuzzies wussten ja nicht was sie hier verpassen würden. Randy, Ufo und Manni betraten die Bühne, die ersten schrillen Akkorde schienen die Luft förmlich zu zerschneiden. Die Zuhörer wie elektrisiert. Randy & Band schießen förmlich einen nach dem Anderen Song in Richtung Menge, wobei sich die Musiker sichtlich wohl fühlen.
Dieser trockene und impulsive Klang, unglaublich. Ich versuche krampfhaft noch etwas zu finden um Randy im Vergleich zu meinem Idol schlecht aussehen zu lassen. Diese Nummer scheint wohl auf Selbstbetrug hinauszulaufen. Vergebens. Dieser Mann hat sich trotz aller Aktionen auf der Bühne im Griff und voll und ganz dem einzigartigen Hendrix-Sound verschrieben. Have You Ever Been (To Electric Ladyland), Crosstown Traffic – Hansen spielt sie alle, alle Hits der Electric Ladyland LP – Rainy Day und schließlich 1983… . Spieltechnik, Grimassen und Gesten erinnern fortwährend an das Original. Dieses Konzert ist einfach unglaublich geil. Das ist nicht irgendeine Hendrix-Coverband. Laut Aussage von Randy waren sie sogar die erste richtige Tribute Band des Planeten (siehe Interview). Die Zuschauer lassen ihre Emotionen frei heraus, und so soll es sein! Hansen überzeugt mit technischer Raffinesse, wie er so lässig die schrägen Rückkopplungen und schrillen Töne förmlich aus der Stratocaster herauszaubert. Top. Also, liebe Freunde, nichts gegen Musiker wie Thomas Blug. Der macht das was er kann auch ziemlich gut, aber seine Hendrix Tour ist mit diesem Spektakel einfach nicht vergleichbar. Du musst Hendrix verinnerlichen und seine Musik einfach leben um ihn spielen zu können. Stevie Ray hat’s auch so gemacht.
Beim Hören dieser Musik bleibt immer etwas übrig. Wie bei einer Schallplatte hinterlässt eine Art diamantbesetztes Schneidwerkzeug Rillen und Furchen in Deinem Gehirn. Immer wenn diese Musik gespielt wird legt jemand den Hebel bei Dir im Hirn wieder auf die Platte. Falls das bei Dir nicht so ist, dann wird wohl auch diese Musik nix für Dich sein, dann wirst Du niemals diese Euphorie um die Musik von Jimi Hendrix verstehen können. Das kann man sicherlich irgendwie erklären – kann man aber auch sein lassen. Die meisten Leute die heute von Hendrix reden oder ihn hören (mich eingeschlossen) konnten ihn nie live hören. Das ist wie eine Last. Und um sich von dieser Last zu befreien und um etwas für die Linderung der eigenen Schmerzen zu tun, sollte man auf jeden Fall zu Hansen gehen. Die Rillen und Riefen im Gehirn sind zwar für immer da und sie gehen auch nicht weg… it’s not a cure, it’s a treatment… the best you could get!
Und dann die Pause. Schnell raus, eine halbe Schachtel Zigaretten durchziehen und mit Bier ablöschen. Auf dem Weg zum Platz noch schnell zwei kühle Blonde abgeholt (hier ist wieder Bier gemeint – über das Publikum hatte ich bereits etwas gesagt, oder?) — doppelt hält länger — und dann feuert Hansen wieder die Menge mit Gitarrensalven an. Müdigkeit? Quatsch, bei mir geht’s. Bei denen da vorne? Nee, auch nicht. Obwohl die Musiker die ganze Zeit das hohe Tempo gehen und Hansen auf der Bühne hin und her springt (er nutzt Biergläser und Mikrofonständer als Gitarrenslide). Absolut authentisch. Dieser Typ macht mich echt alle. Der geht auf seinen 60’sten Geburtstag zu, kommt wie Hendrix aus Seattle, singt wie er produziert einen derart authentischen Sound, dass Du Dir wünschst, Du könntest das auch.
Randy hat Spaß auf der Bühne. Er genießt es, wie die Leute ihn feiern. Er geht regelrecht auf beim Spielen und es ist eine wahre Freude zu sehen wie er sich über das Publikum freut, das seine Songs kennt und immer wieder ausflippt, wenn er sich wie Hendrix benimmt. Hansen ist halt kein emotionsloser Automat, der die verrücktesten Riffs in Lichtgeschwindigkeit herunterspielt, so wie man heutzutage einige auf Bühnen antreffen kann. Nee. Bei dieser Musik geht’s nur um Emotionen. So wie bei dem Typen, der sie damals geschrieben hat. Und Randy kann das transportieren.
Die Band rockt bis nach Mitternacht durch und im Anschluss hängen die Musiker ca. zwei Stunden mit den Fans im Eingangsbereich rum und quatschen, machen Fotos und Autogramme. Wenn ihr mich fragt, ein absolutes Muss für jeden Hendrix-Fan …therefore, ’scuse me, while I kiss the sky…
[Das Konzert zum Bericht fand am 10.11.2012 im Quasimodo Berlin statt.]
[Links: Randy Hansen Tickets, Electric Ladyland Tour 2012, Randy Hansen Interview, Woodstock 1969]
14. Juni 2013 um 09:21
[…] Am 10. und 11.11.2012 traten Randy Hansen & Band im Quasimodo Berlin auf (zum absolut lesenswerten Konzertbericht vom 10.11.2012!). […]