Deichbrand 2012: Vom Kampf um den Spaß

News am 3. August 2012 von Konzertheld

Das Deichbrand-Rockfestival am Meer verspricht wirklich viel: Großartige Bands, ein geniales Konzept mit abwechselnder Bühnenbespielung, so dass man die Bands auch alle sehen kann, und ein schönes Gelände. Noch dazu zu einem vergleichsweise niedrigen Preis – wir waren begeistert. Mit Marina (aka Zombina) und zwei Freunden machten wir uns am Donnerstag auf den Weg, begleitet von dem offiziellen Hinweis, doch bitte erst Freitag anzureisen, da das Gelände unter Wasser stand. Am Donnerstag Abend sollten aber schon Bands spielen – also ließen wir uns nicht abschrecken.

Möglicherweise war das ein Fehler. Das Gelände war tatsächlich unglaublich matschig, aber wir waren mit entsprechenden Schuhen ausgerüstet, so dass wir immerhin nicht hinfielen. Allerdings kamen wir durch verschiedene Umstände erst abends an (das Gelände hatte ohnehin erst ab 17 Uhr geöffnet), so dass wir unseren 6-Mann-Palast im Dunkeln aufbauen mussten. Dadurch verpassten wir Grossstadtgeflüster – laut Plan. Später erfuhren wir, dass nicht um 23 Uhr Ende war wie geplant, sondern im Gegenteil erst nachts um 1 angefangen wurde, die Orsons deshalb unverrichteter Dinge wieder abreisen mussten und Grossstadtgeflüster um halb 3 noch spielten.

Vom Tourbus wurden wir indes durchgehend mit schlechten, sich ständig wiederholenden synthethischen Samples beschallt, die uns noch bis halb 5 morgens begleiten und unsere Nerven vollends zerfetzen sollten. Meine Schwester ging mit einer Freundin noch feiern, wir legten uns schlafen, soweit das ging. Kurz nach dem Einschlummern wurden wir aber von Getöse am Nachbarzelt wieder geweckt – das Zelt meiner Schwester wurde von einer nackten Frau besetzt, die offensichtlich einen schlechten Trip von harten Drogen hatte und hart Schläge austeilte, weil sie glaubte, sie sei in ihrem Zelt und wir hätten ihre Unterhose geklaut. Nicht so lustig wie es sich anhört, zumal wir schon merkten, dass Hilfe von offizieller Seite hier nicht zu erwarten ist – Securitys, Ordner oder Rotes Kreuz waren nicht auffindbar, nur Besucher in Warnkleidung.

Nun denn, ein bisschen Schlaf lässt immer alles besser aussehen und so sind wir am Freitag Vormittag zwar wegen des abartig lauten und vor billigen Bässen dröhnenden Tourbusses angeschlagen, aber zuversichtlich, da inzwischen die typische Festivalcampingstimmung aufgekommen ist. Zwei Zelte weiter laufen zwischen „Lemon Tree“ und „Sky And Sand“ immer wieder „Listen And Repeat“-Lektionen für Ruhrpott: „Listen and repeat. Waren Sie die Currywurst? – Nein, ich war das Schaschlik.“ Schön, Gleichgesinnte neben sich zu haben. :) Außerdem ein Klassiker: „Hallo, wir sind die Cantinaband! Falls ihr irgendwelche Songwünsche habt, schreit sie einfach rein! – Spielt den selben Song nochmal! – Ok, den selben Song nochmal, los geht’s!“

Als Warm-Up gibt’s dann erstmal Le Fly auf dem Tourbus. Die hauen uns ihre „St. Pauli-Tanzmusik“ um die Ohren, eine Mischung aus Rock, HipHop und Ska mit viel guter Laune. Trotz des immer noch andauernden Regens haben sich auch etliche Leute versammelt und es kommt reichlich Stimmung auf, so dass der Matsch zwischen den Stiefeln fliegt. Stoffschuhe trägt hier keiner mehr – wer welche mit hatte, hat sie inzwischen im Sumpf verloren. In jedem Song geht die Band mehrfach auf das Publikum ein, es wird reichlich getanzt und ein bisschen gemosht und gelegentlich erblickt man schon Crowdsurfer.

Kräftig angeheizt und guter Dinge gehen wir dann auch direkt weiter zum direkt nebenan gelegenen Festivalgelände – und treffen auf die Ernüchterung: Es ist noch zu, obwohl jeden Moment die erste Band anfangen soll. Das ändert sich auch so bald nicht und es sickert die Info durch, dass die Bühnen vom Wetter beschädigt wurden. Unmut macht sich breit, zumal keiner der Festivalmitarbeiter eine Aussage dazu treffen kann, wie es weitergehen wird. Und damit beginnt das Chaos des Freitags – dem wir erstmal entfliehen, um den Grill anzumachen.

Bei unserem nächsten Besuch auf dem Gelände kann uns immer noch niemand sagen, was los ist. Die Bühnen sind offensichtlich beschädigt, aber die einzige Aussage, die herumschwirrt, ist dass Frittenbude irgendwann Open Air spielen sollen – aber mehr gerüchtehalber als offiziell. Frustriert machen wir uns wieder auf den Rückweg und bemerken dabei zufällig, dass im Zelt irgendwas läuft. Fiva & Das Phantom Orchester sind da. Großartige Performance. Am Fotograben gab’s Stress mit der Security, aber davon ließen wir uns den Konzertgenuss nicht nehmen. Endlich wieder Livemusik! Statt Rüde am Kontrabass war diesmal Julia am E-Bass dabei, die aber genauso viel Spaß an der Musik hatte wie die anderen und Fiva selbst war wieder einmal restlos begeistert von den vielen begeisterten Zuschauern. Wie könnten wir sie auch nicht lieben für wunderbare Songs wie „Mein Herz tanzt Farben“ oder nicht feiern, wenn es heißt „Glotz nicht schüttel dich“! Der Holzboden des Zeltes bebte, hielt der Begeisterung aber stand.

Der Bauzaun stand danach allerdings immer noch und von Frittenbude, die nun planmäßig dran wären, wusste keiner mehr was. Die vielgepriesene Smartphone-App weiß auch nichts – die Newssektion wurde zuletzt einige Tage vor dem Festival aktualisiert. Dass zurvor schon Vierkanttretlager im Zelt waren und Luftpost auf dem Tourbus, erfahren wir erst nach dem Festival auf Facebook.

Gegen 18 Uhr, Frittenbude sollte inzwischen vorbei sein, wird der Zaun gestürmt und zwangsweise geöffnet. Weit vor den Bühnen steht aber noch einer und dahinter werden Wellenbrecher aufgebaut (man bemerke, es ist Freitag Abend) und Bagger schichten den Boden um. Die Fire Stage ist heruntergefahren und die Boxen abgebaut, auch die Water Stage sieht mitgenommen aus. Von den Ordnern kann man nichts erwarten, die wissen nichtmal, wo die Klos sind, geschweige denn, wann welche Bands spielen. Ein Ende der Bauarbeiten ist nicht absehbar, es sieht nichtmal so aus, dass das Gelände an sich fertig gewesen wäre, von den beschädigten Bühnen ganz zu schweigen. Viele offene Fragen und Ärger, vor allem: Wieso sind die Bühnen so schwer beschädigt worden, wo das Wetter doch im letzten Jahr schon so schlecht war, und wieso beginnen die Reparaturarbeiten erst jetzt?

Wir hängen also erstmal wieder auf dem Zeltplatz ab, lernen unsere Zeltnachbarn kennen und amüsieren uns über die, die anscheinend noch gar nicht mitbekommen haben was los ist, weil sie den ganzen Tag die gleiche Musik hören („spielt den selben Song nochmal!“). Irgendwann kommt die Info durch, dass Frittenbude wohl abgereist sind, sehr ärgerlich. Am häufigsten hört man die Aussage, alle Bands bis auf den Headliner Deichkind seien abgesagt. Da aber niemand Offizielles etwas dazu sagen kann, ärgern wir uns nur und trinken mehr Bier.

Irgendwann hören wir plötzlich Samy Deluxe. Nicht ganz deutlich, ob es live ist, der Sound ist mies, aber eh wir ihn verpassen, auf zum Gelände – und tatsächlich. Die erste Welle ist gesperrt und je weiter man sich Richtung Zaun vorkämpft, desto schlechter wird der Sound, aber ja, da steht Samy Deluxe auf der Bühne. Der fühlt sich allerdings ziemlich verarscht davon, dass er vor einem leeren Platz spielt, an dessen Ende ein Zaun steht…

Immerhin: Die Water Stage ist bespielbar und wir erwarten die Fortsetzung des Programms. Die H-Blockx-Fans bekommen aber Sunrise Avenue vorgesetzt – offenbar treten die Bands jetzt wild durcheinander auf. Da bin ich gerade auf dem Jägermeister-Aussichtsturm und erkenne zunächst gar nicht, wer da spielt, aber der Song hört sich nach Sunrise Avenue an. Die Band wirkt total betrunken, rotzt „Fairytale Gone Bad“ und einige andere Songs hin und ein grausiges Medley, in dem unter anderem sogar „Call Me Maybe“ vorkommt.

Im Zelt spielt parallel Marsimoto – das erste Konzert nach Plan seit Le Fly. Das Zelt ist in dunkles, grünes Licht getaucht und mit kreischenden Fans gefüllt. Der Sänger ist sich seiner Beliebtheit bewusst und lässt sich kräftig feiern. Die Performance ist gut, aber mir gefällt die Musik nicht. Überhaupt ist meine Laune nach den ganzen Pannen im Eimer, so spare ich mir ASP und Deichkind, die dann am Ende noch verspätet auftreten.

An den nächsten beiden Tagen sollte es immer wieder schmerzliche Einschnitte geben, die es uns schwer machten, Spaß zu haben. So zeigte sich am Samstag die Unfähigkeit der Techniker ganz unverblümt, als der Soundcheck vor den Koletzkis eine Stunde dauerte und man währenddessen dem FOH-Pult-Techniker zuhören konnte, wie er seine Bühnentechniker zurecht wies, ob die eigentlich ihren Job nicht anständig machen könnten. Auch fiel während des Egotronic-Konzertes eine Box auf die Bühne, ein absolutes Unding, was nur deshalb nicht für Aufruhr sorgte, weil die Band ohnehin ziemlich betrunken war.

Und immer wieder wurde einem der Abend versaut. War die erste Welle voll, wurde sie komplett geschlossen und prinzipiell nicht während Konzerten geöffnet. Außerdem gab es dann nur noch die Notausgänge, ein Ausgang auf das Festivalgelände wurde schlicht nicht mehr geöffnet. Generell gab es nur einen sehr kleinen Einlass in die erste Welle. Auch am Zelt gab es immer wieder Aufstände wegen der Einlasskontrollen. Apropos Kontrollen: Kontrolliert wurde hier nur die Anzahl der Menschen, Taschen und später auch Bändchen wurden nur lasch oder gar nicht kontrolliert.

Den krönenden Abschluss gab in den Nächten auf Sonntag und Montag dann jeweils ein abrupter Abbruch der Party im Zelt. Supershirt mussten unterbrochen werden, weil es Gasalarm gab; als der sich als Fehlalarm herausstellte, ging es weiter, aber die Zeit wurde abgezogen und das Konzert verkürzt und die Band am Ende rausgeworfen. Ähnlich bei Spit Spit Club, den DJs der Aftershowparty, die ebenfalls gegen Ende des Sets rausgeworfen wurden. Und Montag wurden mit abgeschlossenen Klos und abtransportierten Dixis verabschiedet…

Es gab aber auch Lichtblicke wie die feiernden Fans oder den Vegetarierstand, der während der Supershirt-Unterbrechung fetten Dubstep auflegte und außerdem das beste Essen verkaufte, was ich je auf einem Festival gegessen habe. Grund genug also, sich kräftig zu ärgern, aber auch immer wieder Licht am Horizont. Deshalb geht es im zweiten Teil unseres Deichbrand-Berichtes nur noch um die Bands, denn die, die wir dann tatsächlich gesehen haben, waren eine Reise wert, auch, wenn das Licht am Horizont nie ganz durchgebrochen ist.

8 Kommentare zu “Deichbrand 2012: Vom Kampf um den Spaß”

  1. Nummer 1: Marcel sagt:

    Nachdem ich letztes Jahr beim Deichbrand war, wundere ich mich nicht über die von euch beschriebenen Zustände.

  2. Nummer 2: Guido sagt:

    Naja, ein sehr ausführlicher Bericht der hier serviert wird, die Fakten stimmen auch soweit. Aber hier scheint es sich ja um eine Besucherin zu handeln, die noch nie in ihrem Leben etwas organisiert hat. Statt schlechte Laune zu schieben konnte man, wie wir, auch nach und nach in Erfahrung bringen, was für eine Verkettung von unglücklichen Umständen zu der, richtig Beschriebenen Probleme geführt hat. Ich sage an dieser Stelle ein ganz Dickes Danke schön an die Verantwortlichen Organisatioren, die nicht einfach das Festival am Donnerstag abend abgesagt haben. (Was zu dem Zeitpunkt bei der Ausgangslage einfach nur nachzuvollziehen wäre) Zusammen mit den unzähligen Helfern habe sie es geschafft, das Festival doch noch abzufahren. Mir hat´s, trotz der ganzen Einschränkungen gefallen. Vielleicht lernt die Berichtschreiberin ja auch noch, dass es halt trotz aller Informationstechnologien und App´s und weiss der Geier was, immer noch Situationen gibt, in denen man Improvisieren und nach Menschlichem Ermessen entscheiden muss, da kommt auch die Beste IT dann nicht mit!

    VG
    Guido

  3. Nummer 3: Guido sagt:

    Oh, ich habe aus Marcel ein Mädel gemacht, tschuldigung, hab´s falsch gelesen!

  4. Nummer 4: kati sagt:

    ich kann leider nur zustimmen-
    bin nach schlechtwetterlage und fastabsage am freitag angereist und habe mich schon mal über die „kurzen wege“ gewundert und mich durch den matsch und camp unendlich weit bis zum greencamp durchgekämpft-
    mit zunehmendem alkapiegel der camper wurde der weg immer mehr durch zwangsbespielung und müll schwer begehbar..
    dann aufgebaut und auf zur mucke: ja und dann war sie da-
    die so sichere absperrung- an der rechten seite zur rechten bühne geschlossen!!??-
    links ein meter eingang und durch dieses nadelöhr quetschte nun alles nach vorn-
    fühlte sich atemberaubend an… :-(
    ja, dann ging’s langsam los.. naja- sie proben wohl noch…
    als dann sunrise vorgezogen und h-blockx abgesagt wurde war mein hals
    sooooo dick… besser: ohne worte *motz* *grummel*

    aber, ich muss wiedersprechen: ich wurde kontrolliert und musste eine kleine plastik-wasserflasche abgeben, denn- ich könnte sie ja als wurfgeschuss benutzen- ja, ne, is klar!- mit tetrapack treff ich auch viel besser :-D

    mit dem wetter wurde die stimmung und der ablauf und meist auch der sound besser… manchmal durfte man mit überredungskunst sogar mal rechts, durch den kurz gelüfteten eingang nach vorn… queeetsch…. 8)

    das mit dem nicht mehr raus lassen, ausser aus’m notausgang wurde dann auch ’nem mädel, die hinter mir, hinterm wellenbrecher stand zum verhängnis- sie kippte in der menge um- wurde dann über‘ zaun nach vorn gehoben…

    insgesamt sicher nicht einfach solche massen zu organisieren und ich hatte auch viel spass mit den band’s, leut’s und zum glück hatte ich mich ja für’s green campen entschieden und musste nicht im, am schluss nach abriss aussehenden und riechendem, camp hausen *huahhh*
    aber die orga mit den wellenbrechern sollte echt nochmal überdacht werden
    und bessere ansagen bei änderungen- bei allem verständnis…

    mit tierisch lg

    kati :-)

  5. Nummer 5: Die Sonnenseite des Deichbrand 2012 mit Dick Brave, Skindred & Russkaja | Festival News sagt:

    […] ziehen über den babyblauen Himmel und es scheint, als wären alles Unglück der letzten Tage [wir haben darüber in Teil 1 des Deichbrand-Bericht geschrieben] vergeben […]

  6. Nummer 6: Deichbrand 2013 mit den Headlinern Die Toten Hosen und In Flames! | Festival News sagt:

    […] wird das aktuelle Lineup mit zwei Bands, die ihre wegen der schlechten Wetterbedigungen (wir berichteten vom Deichbrand 2012) in diesem Jahr ausgefallenen Auftritte im nächsten Jahr nachholen werden: die H-BLOCKX und […]

  7. Nummer 7: Brennende Hitze am Meer beim Deichbrand 2014 – Freitag sagt:

    […] Jahr hat das Festival am Meer dieses Mal aber wieder ziemlich Glück mit dem Wetter (das kann auch anders laufen im Norden!) und so knallte die Sonne mit Temperaturen über 30 Grad bei dem in diesem Jahr […]

  8. Nummer 8: Bericht vom Hurricane 2016: Ein Festival der Gegensätze sagt:

    […] mal wieder passiert: 2011 musste das Pukkelpop abgebrochen werden, weil Bühnen eingestürzt waren, 2012 war das Deichbrandfestival mit harten Stürmen konfrontiert, welche Bühnen beschädigten – Unwetter & Regen machen eben bei Festivals keine […]

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