In Holland gibt es Kühe, Grachten, Vla, Coffee Shops, Käse, Windmühlen, schiefe Häuser, Fahrräder… – …und das Summer Darkness.
Und da uns dieses Festival schon letztes Jahr vollständig begeistert hatte, machten wir uns freudig auf den Weg ins hübsche niederländische Städtchen Utrecht, um uns ins mittlerweile zum neunten Mal stattfindende Summer Darkness-Getümmel zu werfen. Auch diesmal gab es an den in der Stadt verteilten, zu Fuß gut erreichbaren Veranstaltungsorten einiges zu sehen und zu hören. Los ging es bereits Freitag am frühen Nachmittag auf dem Domplatz, der neben der Bühne auch ein paar Kleidungs-, Musik-, Accessoire- und Ess-Stände beherbergte (wenn auch zu unserem Bedauern weniger als im letzten Jahr).
Nett für alle schaulustigen Niederländer und/oder Unentschlossene: Der Domplatz kann von allen gratis besucht werden. Hier konnte man die Gewinner des Pagan Stage Contests und Ordo Rosarius Equilibrio bejubeln (und bei Gefallen am nächsten Tag gleich noch mal) und sich von Kelten Zonder Grenzen das Tanzen für das am Sonntag stattfindende Balfolk Fantasy Meeting beibringen lassen.
Übrigens noch eine schöne Idee für alle, denen ein ganzes Festival zu lang, zu teuer oder aber musikalisch zu gemischt ist: Die Auftritte einzelner Tage wurden thematisch gruppiert und konnten so auch als einzelne Veranstaltungen preisgünstig besucht werden. Kurz nach 22 Uhr öffnete das Tivoli Oudegracht seine Türen für den Bal Du Masque und wir reihten uns ein in die einzige Schlange des gesamten Festivals (ja wirklich!).
Drinnen drückten uns 2 rotgeflügelte Wesen einen farblich passenden Begrüßungssekt in die Hand und wir konnten erfrischt die phantasievollen Kostüme und Masken der Besucher bestaunen, zu einer wirklich guten Musikmischung das eine oder andere Tänzchen wagen und uns von den Darbietungen auf der Bühne in eine Fabelwelt entführen lassen.
Wer seinem nackten Gesicht angesichts all dieser Bilder doch noch eine hübsche Maske überstreifen wollte, hatte im Eingangsbereich die Gelegenheit, noch schnell eine zu erwerben. Oben auf den Tribünen wartete ein Stand mit den passenden Accessoires, saß eine leicht bekleidete Elfe mit Feder und Papier zum Karrikaturmalen bereit und lockten Spieltische das Publikum an.
Nach dieser zauberhaften Eröffnung bestens eingestimmt konnten wir dem leicht ungemütlichen Wetter am Samstag bestens trotzen und den Weg zum Tivoli de Helling antreten, wo SHIV-R, die relativ junge Band aus Australien, den Tag musikalisch eröffnete und das Publikum vor der gut besuchten Bühne trotz der frühen Uhrzeit zum Hüpfen brachte. Weiter ging´s hier für alle Freunde härterer Klänge mit Angelspit und Eisenfunk (über die uns nur Gutes berichtet wurde) und für uns im Tivoli Oudegracht mit Ordo Rosarius Equilibrio, die die von Rome begonnene ruhigere Linie fortsetzten, aber ihre „Songs 4 Hate and Devoltion“ mit thematisch passenden erotischen monochromen Filmen und einer Bühnenshow optisch untermalten.
In der Spiegelbar im selben Gebäude hatte der Tag mit der X-Rated Ambient / Witchhouse Stage mit den Künstlern Kristus Kut, Law-Rah und WikAn begonnen und ging nun mit einer Post Nuclear Steam Fashion Show weiter, mit der man den Nerv der Zeit so gut getroffen hatte, dass einige Interessierte leider nicht mehr reingelassen werden konnten. Die Kreationen wurden denen, die es vor den Laufsteg geschafft hatten, mit einer unterhaltsamen Mischung aus Tänzen, Showeinlagen und klassischem Laufsteg präsentiert.
Danach wurde es im Hauptraum des Tivoli Oudegracht elektronischer: Mit Komor Kommando und Rotersand, die trotz Krankheit ihres Sängers auftraten, allerdings aus diesem Grund nur ein DJ-Set präsentieren konnten, wurden die Besucher für den Headliner des Tages, VNV Nation aufgewärmt. Es wurde voll im Tivoli. Ronan Harris hatte das Publikum gut im Griff, animierte es zum Mitsingen (oder Schreien…), wurde ausgiebig beklatscht und lieferte einen souveränen Auftritt mit einer halbstündigen Zugabe. Im Tivoli der Helling hatte währenddessen der dortige Headliner Kirlian Camera seinen Auftritt schon hinter sich, bei dem die stimmgewaltige und langbeinige Sängerin Elena Fossi zur Freude der Menschen hinter den unermüdlich auf sie gerichteten Kameras beides gut in Szene setzte, Frontmann Bergamini gegen Ende tatsächlich die Sturmmaske ablegte und eigentlich alles da war, was ein guter Auftritt so braucht.
Auch auf dem Domplatz hatte der Tag kaum Raum für Langeweile gelassen – Modenschauen, Bandcontestgewinner, OMDULÖ und Bacio di Tosca boten Augen und Ohren jede Menge Abwechslung und wer wollte, konnte sich in der Leeuwenbeergh Kirche den Filmklassiker Nosferatu anschauen. Für alle Nachtaktiven war der Tag aber noch lange nicht vorbei, denn schließlich konnte noch getanzt werden.
Im Tivoli de Helling drehte sich bei der Industrial Night mit abwechselnden Live Acts und DJs alles um Noise und Industrial, im Tivoli Oudegracht wurde es klassisch bei Alternative Eighties in der Spiegelbar mit echtem Schuldisco-Flair und im Hauptraum amüsierte man sich bei der elektronischeren Cyberia XL.
Der Sonntag wurde sonnig und brachte erneut Menschen bei der X-Rated Mabient / Witchhouse Stage zusammen – diesmal mit For Greater Good, Akoustik Timbre Freakuency und Machinist.
In der Leeuwenbergh Kirche konnte man am selben Nachmittag seine Tanztechnik noch einmal beim Balfolk Fantasy Meeting auffrischen und dann zu Kelten Zonder Grenzen, Orfeo und Ball Noir direkt anwenden oder sich auf dem Domplatz von Modenschauen und der burlesken Featherfantastic Show unterhalten lassen.
Freunde der Elektronik kamen auch Sonntag wieder auf ihre Kosten: Im Tivoli de Helling gaben Freak Angel, Destroid, Julien-K, Tying Tiffany und Faderhead ihr Bestes. Im Tivoli Oudegracht dagegen war Zeit und Gelegenheit für Nostalgie: Der Classic Sunday begann mit The Wars, Ulterior, The Neon Judgement und Nitzer Ebb und fand mit Killing Joke seinen Höhepunkt und reichlich Anklang bei den zahlreichen Besuchern. Danach konnte noch getanzt werden, für uns wurde es allerdings leider schon Zeit, den Heimweg anzutreten.
Unser Fazit: Das Summer Darkness ist definitiv eine Reise wert!
Internationales Flair durch viele weit gereiste Besucher, eine wunderschöne Kulisse aus Grachten, Cafés, Shops und Backsteinhäusern, relativ kurze Wege, Veranstaltungsräume, die selten zu voll sind und kaum Gelegenheit zum Schlange stehen bieten sowie durchweg gut gemischte Klänge sind nur einige der Dinge, die uns erneut begeistert haben. Kleine Kritikpunkte wären lediglich die fehlenden Sitzmöglichkeiten in den Veranstaltungsräumen der Tivolis, wo nur im Raucherraum Bänke stehen und die irgendwie immer leicht eigenartige Atmosphäre im Tivoli de Helling. Auch die Essensstände sind äußerst dürftig, was aber nur ein Problem ist, wenn man Standbetreiber ist und nicht länger weg kann (wie wir eine Betreiberin klagen hörten), ansonsten kommt man durch die unzähligen Restaurants in der Innenstadt gar nicht auf die Idee etwas zu vermissen.
Von der entspannten Organisation könnten einige deutsche Festivals etwas lernen und obwohl wir jetzt ein Jahr Zeit hatten, über diese Fragen nachzugrübeln, wissen wir immer noch nicht, wie die das machen, so ohne Taschenkontrollen, Mitbringbeschränkungen und Becherpfand. Tja, sieht ganz so aus, als müssten wir nächstes Jahr wiederkommen. Wir freuen uns schon mal drauf und können nur sagen: Kommt doch auch! Es lohnt sich.
die Nuss und der Cutter
18. Juli 2012 um 13:47
[…] dritten Mal nun in Folge (Bericht 2010 und 2011) zieht es uns nach Utrecht, die gotische Universitätsstadt nahe Amsterdam. Und dies […]